Anfragebeantwortung zum Iran: Derzeitige Situation der Hazara (Khawari); wie hat sich deren Situation seit 2011 geändert? [a-9357]

16. Oktober 2015

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Die unabhängige, in Kabul ansässige Forschungseinrichtung Afghanistan Research and Evaluation Unit (AREU) erwähnt in einem Bericht vom Juli 2009 die Khawari als eine vorwiegend im Gebiet von Maschhad (Provinz Razavi-Chorasan) angesiedelte ethnische Minderheit im Iran, deren Angehörige ein Jahrhundert zuvor aus dem afghanischen Hazaradschat eingewandert seien. Die Khawari hätten seither versucht, sich in die iranische Gesellschaft zu assimilieren. Wie die AREU anmerkt, handle es sich bei der Mehrzahl der im Iran aufhältigen AfghanInnen um Hazara. (AREU, Juli 2009, S. 28)

 

Niamatullah Ibrahimi, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für geographische Wissenschaften der Freien Universität Berlin, schreibt in einem Artikel von 2012, dass die Hazara des iranischen Chorasan zunächst als „Barbari“ bezeichnet worden seien, was eine persische Bezeichnung für „Barbaren“ sei. In den 1930er Jahren habe Reza Shah per Dekret verfügt, dass die Hazara fortan die Bezeichnung „Khawari“ tragen würden. Wie die meisten IranerInnen würden die Hazara des Chorasan Persisch sprechen und den schiitischen Islam praktizieren:

„The Hazaras of Iranian Khurasan appear to have been the least enthusiastic about maintaining their ethnic identity. Initially, they became known as Barbari, a Farsi form of barbarian referring to foreign and uncivilized peoples apparently used by other Iranians to describe them when they first arrived. In 1936, a Hazara officer in the Iranian army presented a petition to Reza Shah that the name Barbari be changed into Khavari or Hazara as tribal name. The following year, Reza Shah promulgated a decree declaring the Hazaras as Khavaris (Khavari 2003:169-70; Owtadolajam 1976:203). This important shift on the one hand indicates an attempt by these communities to overcome the burden of a persecuted and marginalized ethnic identity and on the other also shows the influence of the social and political environments of the Iranian society. Like most Iranians, the Hazaras of Khurasan spoke Farsi and practiced Shia Islam which made it easier for them to integrate into the host society. Furthermore, most of them settled in the rural countryside where they engaged in farming and animal husbandry and unlike Hazaras in cities elsewhere had little contacts with other Hazara communities.” (Ibrahimi, 2012, p. 7)

Die Dänische Einwanderungsbehörde (Danish Immigration Service, DIS), der Dänische Flüchtlingsrat (Danish Refugee Council, DRC) und das norwegische Herkunftsländerinformationszentrums Landinfo schreiben in einem gemeinsamen Fact-Finding-Mission-Bericht vom Februar 2013 unter Berufung auf eine internationale Organisation in Teheran, dass das Wort „khawar“ mit „Osten“ und „Khawari“ mit „Person aus dem Osten“ zu übersetzen sei. Bei den Khawari handle es sich um eine Gruppe von Menschen, die afghanische Hazara- bzw. „Barbari“-Wurzeln hätten. Die meisten von ihnen seien schiitische Muslime. Historisch seien die Khawari in den Grenzgebieten zwischen Iran und Afghanistan hin- und hergezogen. Erst nachdem die beiden Staaten begonnen hätten, Staatsbürgerschaftsgesetze durchzusetzen, seien für solche Gruppen Probleme in Zusammenhang mit der Staatsbürgerschaft aufgetreten. Der Bericht führt unter Berufung auf dieselbe internationale Organisation weiter aus, dass einige Khawari über sogenannte Amayesh-Karten[1] verfügen würden und im Iran als Flüchtlinge registriert seien. Einige dieser Personen hätten angegeben, dass sie keine AfghanInnen seien, und diejenigen unter ihnen, die nachweisen konnten, dass sie Wurzeln im Iran hätten, seien in der Folge als iranische Staatsbürger registriert worden. Laut Angaben der Quelle seien für die meisten Khawari die Anforderungen in Bezug auf den Nachweis der iranischen Herkunft nicht sehr streng.

Indes zitiert der Bericht den Direktor für Staatsbürgerschafts- und Flüchtlingsangelegenheiten des iranischen Außenministeriums mit der Aussage, dass aus iranischer Sicht die Khawari aus Afghanistan stammen würden. Erfahrungsgemäß würden viele von ihnen über afghanische Identitätsdokumente verfügen, diesen Umstand jedoch verheimlichen und versuchen, die iranische Staatsbürgerschaft zu erlangen. Laut Auskunft des Direktors könnten Khawari, die über Dokumente verfügen würden, die ihre iranische Herkunft belegen, auf dem gewöhnlichen Behördenweg die Staatsbürgerschaft beantragen. Auf die Frage, wie Khawari ohne entsprechende Dokumente die iranische Herkunft beweisen könnten, habe der Direktor geantwortet, dass die betreffende Person den Nachweis über einen iranischen Vater, Großvater oder Urgroßvater väterlicherseits erbringen solle. Falls die Person über keinerlei Dokumente verfüge, könne sie sich über ihre männlichen Verwandten an die Behörden wenden. So könne das Familienoberhaupt vor dem Familiengericht erscheinen, um die entsprechende Familienbeziehung zu bestätigen. Falls das Gericht dem stattgebe, werde die iranische Staatsbürgerschaft verliehen. So obliege es den Gerichten, zu entscheiden, welche Formen des Nachweises angemessen seien. Zahlreiche Fälle dieser Art seien indes auf Basis von DNA-Nachweisen entschieden worden:

„According to an international organization in Tehran, the word ‘khavar’ means ‘east’ and ‘Khavari’ means ‘person from the east’. The organization stated that ethnically, the Khavaris are a group of people with Afghan Hazara or Barbari origins, mostly Shia Muslim.

Khavaris have historically moved across the borders between Iran and Afghanistan. Issues with regard to nationality for such a group have surfaced at some point when countries started enforcing nationality laws.

The organization further stated that some of the Khavaris are registered as refugees in Iran. Some however, are able to provide evidence of their ancestry in Iran, for example by providing witnesses who can testify to a family’s presence in the area. It was considered by the source that documentation of ancestry and roots in Iran would not be heavy on most of these people. It was added that those that can demonstrate Afghani identity and roots can apply for a status of Afghani national via the Afghan embassy [in Iran].

The Director of Citizenship and Refugee Affairs Department, Ministry of Foreign Affairs stressed that from an Iranian point of view, the Khavaris are from Afghanistan. Iran does not consider them to be stateless. Experience has shown that many do have Afghan ID-documents, but attempt to hide this fact and try to obtain Iranian citizenship instead.

The Director could not give any figure of how many Khavari families have been given Iranian nationality. He emphasized that after the first Gulf war (1991) so many people have been living in Iran without proper documentation. This is also the situation in the border areas. […]

Asked if Khavaris can become Iranian citizens, the Director replied that if they have documents which prove they are of Iranian origin, they can apply in the usual manner according to current procedures.

The Director stressed that according to the Civil Code, a foreigner who has lived in Iran for five years with authentic documents and visa can apply for citizenship.

Asked how Khavaris without proper documents can prove their Iranian roots, the source informed that if they had a father or a grandfather or great-grandfather on the father’s side of the family, they should be able to submit some written documentation to prove it. In case they have no documentation at all, they can approach the authorities through their male relatives. The head of the family may appear in the Family Court to confirm the family relation. If the court approves, Iranian nationality will be granted. It is up to the courts to decide what evidence is sufficient, however many cases have been settled with use of DNA evidence. […]

Some Khavaris have Amayesh [cards] and are registered as refugees. Some of these persons claim that they are not Afghans and those who are able to demonstrate that they have roots in Iran, were then registered as nationals of Iran. For those who took part in the Iran-Iraq war (1980-1988) on the Iranian side or are married to Iranians, it may be easier to prove connection to, and be registered as Iranian nationals.” (DIS/DRC/Landinfo, Februar 2013, S. 78-79)

Eine im Februar 2015 verfasste Anfragebeantwortung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH), eines unabhängigen Dachverbands von Flüchtlingshilfswerken in der Schweiz, geht folgendermaßen auf die Lage von Khawari ein:

„Aktuell gebe es nach Angaben einer Kontaktperson in Iran insgesamt rund 2.5 Millionen Personen, welche als Angehörige der Khawari betrachtet werden. […]

Nach Angaben einer Kontaktperson würden Angehörige der Khawari oft gewisse eindeutige physiologische Merkmale aufweisen, welche auf ihre afghanischen Hazara-Wurzeln hindeuten würden. Aufgrund dieser Merkmale würden sie oft Opfer rassistisch motivierter Diskriminierung. Nach Angaben einer Kontaktperson werden Khawari in Iran in ähnlicher Weise wie Personen aus Afghanistan diskriminiert. Dies sei unabhängig davon, ob sie die iranische Staatsbürgerschaft besitzen oder sich illegal in Iran aufhalten. […]

Doktor Alessandro Monsutti [Dozent für Anthropologie am Graduate Institute of International and Development Studies in Genf, Anm. ACCORD] berichtet, dass er vor einigen Jahren in Mashad verschiedene Quartiere mit Khawari-Familien besuchte. Neuankömmlinge aus Afghanistan würden oft in denselben Quartieren wie Khawari leben, aber die Khawari würden in Distanz bleiben, da sie Angst hätten, von der iranischen Bevölkerung als Afghanen wahrgenommen zu werden. […]

Zwar habe es in den letzten Jahrzehnten durchaus einige wenige Khawari gegeben, die hohe Positionen innerhalb der iranischen Behörden innegehabt hätten. Nach Angaben eines kontaktierten Wissenschaftlers mit Forschungsfokus auf Iran erleben aber sogar Khawari mit iranischer Staatsbürgerschaft eine gewisse Diskriminierung, wenngleich diese nicht systematisch sei. Obwohl ihnen gesetzlich die gleichen Rechte wie anderen iranischen Staatsbürgern zustehen, würden sie dennoch teilweise als ‚Staatsbürgerinnen und -bürger zweiter Klasse‘ behandelt und würden sich sowohl gesellschaftlich als auch ökonomisch benachteiligt und mit Vorurteilen konfrontiert sehen. Für Khawari, welche keinen legalen Aufenthaltsstatus in Iran haben, ist die Situation deutlich schwieriger. Wie oben erwähnt, können Khawari, die ihre Herkunft nicht beweisen können, von Behörden als afghanische Hazara und illegale Migranten eingeschätzt werden. Nach Angaben einer Kontaktperson sind viele Khawari in Iran faktisch staatenlos. […]

Afghanische Personen, deren Aufenthalt von den Behörden aus verschiedenen Gründen als illegal eingestuft wird, können abgeschoben werden. Nach Einschätzung einer Kontaktperson kann auch für Khawari die Gefahr einer Deportation nach Afghanistan bestehen. Dabei könnten laut der Kontaktperson sowohl Personen mit als auch ohne gültige Papiere davon betroffen sein. […]

Gemäss verschiedenen Quellen scheint es für Khawari für den Antrag einer iranischen Staatsbürgerschaft in der Regel notwendig zu sein, iranische Vorfahren nachweisen zu können. […]

Ein lokales Amt für Immigration in der Provinz Alborz in Iran gab auf Anfrage im Februar 2015 an, dass für eine iranische Staatsbürgerschaft Voraussetzung sei, dass die Person aus Iran stamme oder der Vater die iranische Staatsbürgerschaft besitze. Um dies zu beweisen, müsse man die entsprechenden Dokumente vorlegen und zudem einen DNA-Test machen. […]

Nach Angaben eines Wissenschaftlers mit Forschungsfokus auf Iran vom 4. Februar 2015 sei die iranische Staatsbürgerschaft nur sehr schwer zu erhalten. Dies sei fast unmöglich, wenn der Vater nicht Iraner ist. Dies gelte für alle Personen und nicht nur für Khawari. So gebe es zum Beispiel die sogenannten ‚Moaved‘. Dies seien Iranerinnen und Iraner, die in den Irak migriert waren und dann ausgewiesen wurden. Ihnen wurde der irakische Pass abgenommen und die iranische Staatsbürgerschaft verweigert. Diese lebten nun in Iran seit Jahrzehnten als Staatenlose. Die Anforderung, einen Nachweis für eine Familiengeschichte in Iran über drei bis vier Generationen (vor der Flucht nach Irak) zu erbringen, ist nach Angaben einer weiteren Kontaktperson für die meisten Khawari nicht zu erfüllen. Nur für wenige Khawari mit genügend finanziellen Mitteln oder politischen Verbindungen sei es unter den aktuellen Bedingungen möglich, die Staatsbürgerschaft zu erhalten. […]

Nach Angaben verschiedener Quellen ist eine unbekannte Zahl von Khawari als Iraner integriert und eingebürgert worden.“ (SFH, 11. Februar 2015, S. 2-8)

In einem Artikel vom Februar 2014 beschreibt die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) die Lage von Afghanen im Iran, darunter Hazara, wie folgt:

„Als die ersten Flüchtlinge während der sowjetischen Besetzung Afghanistans 1979 die Grenzen überquerten, empfing die Islamische Republik noch alle, die dem gottlosen kommunistischen Regime zu entfliehen versuchten, mit offenen Armen. Bis Anfang der neunziger Jahre strömten über drei Millionen Flüchtlinge ins Land. Eine neue Migrationswelle lösten schliesslich Mullah Omar und seine Taliban aus, die 1996 Kabul eroberten. Trotz dem repressiven Charakter des theokratischen Regimes stellte Iran für viele Afghanen einen Ort des Friedens dar, wo ein selbständiges Leben möglich war.

Doch obwohl die billigen afghanischen Arbeitskräfte bald schon zu einem wichtigen und unentbehrlichen Pfeiler der iranischen Wirtschaft wurden, verschlechterte sich die Situation der illegal Anwesenden. Auch die Beziehungen zur iranischen Bevölkerung wurden zunehmend gespannt und erreichten schliesslich unter Ahmadinejads Präsidentschaft den bisherigen Tiefpunkt. Weil die Regierung offiziell um die Sicherheit im eigenen Land fürchtete, wurde es Migranten verboten, Mietverträge zu unterschreiben oder ihre Stadt zu verlassen. […]

Für jene, die keine Personalpapiere besassen oder denen iranische Sicherheitskräfte sie abgenommen hatten, sei auch der Kauf eines Mobiltelefons oder eines Autos zu einem Ding der Unmöglichkeit geworden, berichten Betroffene. Zudem wurde allen Ausländern – dies betrifft in erster Linie Afghanen – der Zugang zu 28 von insgesamt 31 Provinzen Irans teilweise oder vollständig untersagt, und auch für Pärke in grossen Städten wie Isfahan wurden offizielle Zutrittsverbote eingeführt. […]

Auch im zivilrechtlichen Bereich sind Afghanen von enormen Diskriminierungen betroffen. Ehen zwischen Iranern und Afghanen werden nicht anerkannt, und ihre Kinder erhalten entsprechend dem iranischen Gesetz keine iranische Staatsbürgerschaft. Deshalb bleibt auch der zweiten Generation der Zugang zur staatlichen Schule verwehrt. Laut Vertretern der afghanischen Flüchtlinge in Iran werden so schätzungsweise jährlich über 400 000 Kinder vom Unterricht ausgeschlossen.

Die Diskriminierung der Afghanen beschränkt sich jedoch nicht auf staatliche Institutionen, sondern wurde mittlerweile von vielen Iranern übernommen. Hazara-Frauen, die aufgrund ihrer Gesichtszüge gut erkennbar sind, berichten von Belästigungen auf der Strasse. Männliche Afghanen werden gerne für die Zunahme der Kriminalität und die Verbreitung von Drogen verantwortlich gemacht. Im iranischen Vokabular hat sich mittlerweile ‚Afghani‘ als gängiges Schimpfwort für etwas Wildes und Primitives durchgesetzt. […]

Wie die internationale Gemeinschaft erhofften sich auch die afghanischen Migranten in Iran durch den Abgang des Hardliners Ahmadinejad und den Sieg des moderaten Rohani einen Politikwechsel, hatte der pragmatische Geistliche doch bereits kurz nach seiner Wahl eine Normalisierung der Beziehungen zu Irans Nachbarstaaten versprochen. Doch bereits kurz nach Rohanis Amtsantritt vermeldete die Nachrichtenagentur Mehr, dass alle nichtregistrierten Afghanen bis zum 6. September 2013 das Land verlassen müssten. In Anbetracht der Sicherheitslage in Afghanistan und des Fehlens eines fairen Asylprozesses verstiessen diese Massenausweisungen gegen internationales Recht, erklärten Menschenrechtsorganisationen.

Auch die afghanische Regierung war wenig erfreut über die Nachricht und entsandte eine Delegation nach Teheran, die einen Aufschub verlangen sollte. Obwohl sie der iranischen Führung keine Zusicherung entlocken konnte, verstrich die Frist ohne weitere Konsequenzen. Die Hintergründe dafür sind unklar, es zeichnet sich jedoch ab, dass Iran auch unter Präsident Rohani die afghanischen Flüchtlinge zum Spielball seiner Nachbarschaftspolitik macht.“ (NZZ, 1. Februar 2014)

Zuzanna Olszewska, Dozentin am Institut für Sozial- und Kulturanthropologie der Universität Oxford, schreibt in einem wissenschaftlichen Zeitschriftenartikel aus dem Jahr 2013, dass es im Iran – im Unterschied zu Afghanistan und Pakistan – bislang keine durch Hazara angeführten Protestbewegungen gegeben habe. Ungeachtet ihrer großen Zahl würden sich die im Iran lebenden Hazara bzw. afghanischen Flüchtlinge im Allgemeinen darum bemühen, unsichtbar zu bleiben. Grund dafür sei die staatliche und gesellschaftliche Diskriminierung, die diese Gruppe im Land erlebe. (Olszewska, Frühjahr 2013).

 

In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche keine Informationen zu Veränderungen der Situation der Hazara bzw. Khawari seit 2011 gefunden werden.

 

Folgende Berichte thematisieren allgemein die Lage afghanischer Flüchtlinge und MigrantInnen im Iran:

 

Der im Jänner 2015 veröffentlichte Jahresbericht von Human Rights Watch (HRW), der das Jahr 2014 behandelt, bemerkt, dass die afghanischen Flüchtlinge und MigrantInnen im Iran, deren Zahl auf 2,5 bis 3 Millionen geschätzt werde, weiterhin von schweren Misshandlungen betroffen seien (HRW, 29. Jänner 2015).

 

Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS), schreibt in seinem Länderbericht zur Menschenrechtslage vom Juni 2015 (Berichtsjahr: 2014), dass Flüchtlinge im Iran in ihrer Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes eingeschränkt seien. Laut einem UNO-Bericht vom Oktober 2013 hätten die Behörden afghanischen Staatsangehörigen das Wohnen in 16 der insgesamt 31 Provinzen des Landes gänzlich, sowie von 13 weiteren Provinzen teilweise untersagt. Im Dezember 2013 habe der Leiter des Amts für Ausländer- und Migrantenangelegenheiten erklärt, dass afghanische Kinder ohne legale Dokumente nicht an Schulen angemeldet werden könnten. Weiters habe die Menschenrechtsorganisation Justice for Iran berichtet, dass die Behörden gelegentlich von Kindern registrierter afghanischer Flüchtlinge Schulgebühren erheben würden, was dazu geführt habe, dass manche Flüchtlingskinder illegale, privat betriebene Schulen besuchten. Derartige Schulen seien zuweilen von den Behörden geschlossen worden. Die Wohnbeschränkungen der meisten Provinzen würden beinhalten, dass Flüchtlingen in diesen Provinzen kein Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen wie etwa Sozialwohnungen gewährt werde. Iranische Frauen, die mit Ausländern verheiratet seien, seien nicht dazu berechtigt, ihre Staatsbürgerschaft an ihre Kinder bzw. ihren Ehemann weiterzugeben. Laut Medienberichten aus dem Jahr 2013 seien offiziellen Angaben zufolge 30.000 Iranerinnen mit Afghanen verheiratet, wobei die tatsächliche Zahl solcher Paare vermutlich höher liege. Es habe im Jahr 2013 mehr als 32.000 Kinder gegeben, die über keine Flüchtlings-Identitätskarten verfügt hätten und damit als faktisch Staatenlose willkürlichen behördlichen Maßnahmen ausgesetzt gewesen seien. Sie seien zwar zum Besuch staatlicher Schulen berechtigt gewesen, hätten jedoch nicht die Möglichkeit gehabt, Bestätigungen über ihren Schulbesuch zu erhalten. Des Weiteren gebe es auf Baustellen, in der Hausarbeit sowie in der Landwirtschaft zuweilen Anzeichen auf Zwangsarbeit, wovon in erster Linie junge afghanische Männer betroffen seien. Berichten zufolge würden in den Ballungszentren zudem zahlreiche Kinder, vor allem solche afghanischer Herkunft, als Straßenverkäufer arbeiten:

„Refugees faced restrictions on in-country movement. According to the UN special rapporteur’s October 2013 report, authorities prohibited Afghan nationals from residing in 16 of the country’s 31 provinces and in parts of 13 other provinces. […]

In December 2013 the head of the Bureau for Aliens and Foreign Immigrants’ Affairs reportedly said that Afghan children lacking legal documents could not register in schools. Justice for Iran, a human rights advocacy group, reported the government sometimes charged school fees to the children of registered Afghan refugees, prompting some refugee children to study in illegal, self-governed schools that the government sometimes closed. Most provinces’ residency limitations on refugees effectively denied them access to public services, such as public housing, in those provinces. […]

Women may not transmit citizenship to their children or to a noncitizen spouse. According to media reports in 2013, there were officially 30,000 citizens married to Afghan men, although the number was likely much higher. There were more than 32,000 children without refugee identification cards in 2013, making them effectively stateless and subject to inconsistent government policies. They could attend formal government schools but could not receive certification for their attendance.” (USDOS, 25. Juni 2015, Section 2d)

„The law prohibits all forms of forced or compulsory labor, but the government did not effectively enforce the law. Conditions indicative of forced labor sometimes occurred in the construction, domestic labor, and agricultural sectors, primarily among adult Afghan men.” (USDOS, 25. Juni 2015, Section 7b)

„Reportedly significant numbers of children, especially of Afghan descent, worked as street vendors in major urban areas.” (USDOS, 25. Juni 2015, Section 7c)

Laut dem im Juli 2015 Länderbericht des USDOS zu Menschenhandel (Berichtszeitraum: April 2014 bis März 2015) würden Menschenhändler afghanische Migranten, darunter männliche Minderjährige, zur Verrichtung von Zwangsarbeit auf Baustellen und in der Landwirtschaft zwingen. Afghanische Jungen seien einem hohen Risiko ausgesetzt, Ziel von sexuellen Übergriffen durch ihre Arbeitgeber oder von Schikanen bzw. Drohungen durch die iranischen Sicherheitskräfte und andere Beamte zu werden:

„Traffickers subject Afghan migrants, including boys, to forced labor in construction and agricultural sectors in Iran. Afghan boys are at high risk of experiencing sexual abuse by their employers and harassment or blackmailing by the Iranian security service and other government officials.” (USDOS, 27. Juli 2015)

Wie Human Rights Watch (HRW) berichtet, habe die iranische Regierung im Dezember 2014 angekündigt, 450.000 von unmittelbarer Abschiebung bedrohten AfghanInnen eine sechsmonatige Verlängerung ihrer Aufenthaltstitel zu gewähren. Dieser Plan würde vorsehen, dass AfghanInnen, die sich illegal im Land aufhalten würden, nun die Möglichkeit hätten, befristete Aufenthaltstitel zu beantragen und Arbeit zu suchen. Bereits zuvor habe die Regierung die Aufenthaltstitel von mehreren Hunderttausend Afghanen mit befristetem Aufenthaltsstatus verlängert. Zwischen 2010 und Juni 2012 habe die Regierung den sogenannten „Plan zur umfassenden Legalisierung“ (Comprehensive Regularization Plan, CRP) umgesetzt, der es undokumentierten AfghanInnen ermöglicht habe, sich offiziell registrieren zu lassen und um befristete Aufenthaltstitel und Arbeitsgenehmigungen anzusuchen, allerdings ohne die Garantie, dass diese Dokumente später verlängert würden. Wie HRW bemerkt, hätten lediglich 840.000 der insgesamt rund drei Millionen Afghanen im Land einen legalen Status als Flüchtlinge. Die übrigen AfghanInnen, darunter jene, deren befristeter Aufenthaltsstatus nun verlängert wurde, sowie jene mit befristetem Aufenthaltstitel bzw. AfghanInnen ohne jegliche Dokumente, hätten keinen Zugang zum Asylverfahren:

The Iranian government’s December 13, 2014 announcement that it will grant a six-month visa extension to 450,000 Afghans is a helpful move to prevent their imminent deportation, Human Rights Watch said today. However, the visa-extension plan is no substitute for an asylum system that will allow newly arriving Afghans to lodge refugee claims. An Iranian foreign ministry official described the visa extension plan as a reflection of Iran’s ‘brotherly relations’ with Afghanistan. The official said that the Afghan government had agreed to devise an assistance plan for reintegrating the 450,000 Afghans when they return to Afghanistan. Under the Iranian plan, the previously undocumented Afghans will be able to apply for temporary visas and work. […]

Iranian authorities have previously extended the visas of several hundred thousand Afghans who have temporary residence status in Iran. From 2010 to June 2012, the Iranian government operated a Comprehensive Regularization Plan (CRP), which offered undocumented Afghans in Iran an opportunity to register officially and apply for temporary visas and work permits with the possibility, but not the guarantee, that they would be extended.

The process required Afghan men without families to return to Afghanistan to apply for visas, while families could apply without leaving Iran. The process was difficult and costly for indigent migrants, in part because it required all applicants first to obtain Afghan passports. The Iranian authorities have also encouraged Afghans who have legal status as refugees to exchange refugee status for Iranian residential visas.

For the last three decades, Iran has hosted one of the largest refugee populations in the world, according to the United Nations high commissioner for refugees. But at present, only 840,000 of the approximately 3 million Afghans estimated to live in Iran have legal status as refugees. The Iranian government has excluded the remainder from accessing asylum procedures, including the Afghans whose temporary legal status has now been extended by the Iranian government, as well as the many others who have temporary visas or are undocumented.” (HRW, 21. Dezember 2014)

Wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) in seinem Jahresbericht vom Mai 2015 bemerkt, hätten afghanische Flüchtlinge und MigrantInnen ohne regulären Status im Iran Schwierigkeiten, Zugang zu sozialen Diensten zu erhalten (IKRK, Mai 2015).

 

Ausführliche Informationen zur Lage afghanischer Flüchtlinge und MigrantInnen im Iran finden sich weiters in einem älteren Bericht von HRW vom November 2013:

·      HRW - Human Rights Watch: Unwelcome Guests: Iran’s Violation of Afghan Refugee and Migrant Rights, 20. November 2013 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1385029141_iran1113-forupload.pdf

 

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 16. Oktober 2015)

·      AREU - Afghanistan Research and Evaluation Unit: Searching For My Homeland, Dilemmas Between Borders – Experiences of Young Afghans Returning «Home» from Iran and Pakistan, Juli 2009
http://www.areu.org.af/UpdateDownloadHits.aspx?EditionId=442&Pdf=932E-Experiences%20Of%20Young%20Afghans%20Returning%20Home%20SP%202009%20web.pdf

·      DIS/DRC/Landinfo - Danish Immigration Service/Danish Refugee Council/Landinfo: Iran; On Conversion to Christianity, Issues concerning Kurds and Post-2009 Election Protestors as well as Legal Issues and Exit Procedures; Joint report from the Danish Immigration Service, the Norwegian LANDINFO and Danish Refugee Council’s fact-finding mission to Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom; 9 November to 20 November 2012 and 8 January to 9 January 2013, Februar 2013 (veröffentlicht vom DIS)
http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/A8C2C897-1CA9-49D1-BA32-EC3E599D646D/0/Iranendeligudgave.pdf

·      HRW - Human Rights Watch: Unwelcome Guests: Iran’s Violation of Afghan Refugee and Migrant Rights, 20 November 2013 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1385029141_iran1113-forupload.pdf

·      HRW - Human Rights Watch: Iran: Let Afghans Seek Refugee Status, 21. Dezember 2014
http://www.hrw.org/news/2014/12/21/iran-let-afghans-seek-refugee-status

·      HRW - Human Rights Watch: World Report 2015 - Iran, 29. Jänner 2015 (verfügbar auf ecoi.net)
https://www.ecoi.net/local_link/295450/416498_en.html

·      Ibrahimi, Niamatullah: Shift and Drift in Hazara Ethnic Consciousness, The Impact of Conflict and Migration. In: Crossroads Asia Working Paper Series, No. 5, 2012
www.crossroads-asia.de/fileadmin/user_upload/publications/deliverables/wp05_final.pdf

·      IKRK - Internationales Komitee vom Roten Kreuz: Annual report 2014 – Iran, Mai 2015 https://app.icrc.org/files/2014-annual-report/files/2014_ar_iran.pdf

·      NZZ - Neue Zürcher Zeitung: Keine Spur von islamischer Solidarität, 1. Februar 2014
http://www.nzz.ch/keine-spur-von-islamischer-solidaritaet-1.18233532

·      Olszewska, Zuzanna: Quetta's Sectarian Violence and the Global Hazara Awakening. In: Middle East Report No. 266, Frühjahr 2013
http://www.merip.org/mer/mer266/quettas-sectarian-violence-global-hazara-awakening?ip_login_no_cache=6f214bcae57f779e57801b87adc682bb

·      SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe: Iran: Khawari/Barbari, 11. Februar 2015 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1433747036_150211-irn-khawari.pdf

·      USDOS - US Department of State: Country Reports on Human Rights Practices 2014 - Iran, 25. Juni 2015 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/306266/443538_de.html

·      USDOS - US Department of State: Trafficking in Persons Report 2015 - Country Narratives - Iran, 27. Juli 2015 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/308776/446615_de.html

 

[1] Der Begriff Amayesh” (zu Deutsch: „Logistik“ bzw. „Vorbereitung“) bezeichnet laut Human Rights Watch (HRW) das im Jahr 2003 eingeführte System zur Wiederregistrierung afghanischer  Flüchtlinge, denen bereits in den 1980er und 1990er Jahren aufgrund ihrer afghanischen Staatsangehörigkeit ein Niederlassungsrecht im Iran gewährt worden sei (HRW, November 2013, S. 5).