Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Situation für AfghanInnen (insbesondere Hazara), die ihr ganzes Leben im Iran verbracht haben und dann nach Afghanistan kommen (u.a. mögliche Ausgrenzung oder Belästigungen); Verhalten der Taliban gegenüber Hazara, die aus dem Iran zurückkehren [a-9219]

12. Juni 2015

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Situation für AfghanInnen (insbesondere Hazara), die ihr ganzes Leben im Iran verbracht haben und dann nach Afghanistan kommen (u.a. mögliche Ausgrenzung oder Belästigungen)

In der im Mai 2014 veröffentlichten Ausgabe der Forced Migration Review (FMR), einer Publikation des Refugee Studies Centre der Universität Oxford, findet sich ein Artikel von Armando Geller und Maciej M. Latek, Mitbegründer von Scensei, einem Unternehmen zur Unterstützung der Entscheidungsfindung und Durchführung von Analysen. Darin gehen die Autoren auf die Motivationen und die Lage von afghanischen Flüchtlingen im Iran ein, die nach Afghanistan zurückkehren. Wie der Artikel anführt, würden RückkehrerInnen bei ihrer Ankunft in Afghanistan nach einer Abwesenheit von sieben bis 30 Jahren bemerken, dass sie weitgehend von den Verwandtschafts-, Geschäfts- und Patronage-Beziehungen, die sich in den vergangenen zehn Jahren entwickelt hätten, ausgeschlossen seien. So würden RückkehrerInnen beispielsweise berichten, dass sie keine Jobs über Verwandte oder Freunde bekommen könnten, da sie keinem Patronage-Netzwerk mit Zugang zu Ressourcen angehören würden. Dies führe nicht nur dazu, dass ihr neues Leben wirtschaftlich unhaltbar sei, sondern auch zu vielen Anzeichen einer Identitätskrise bei den RückkehrerInnen. Nach ihrer Rückkehr nach Afghanistan seien sie Fremde im eigenen Land, die Mühe hätten, ihre schwachen sozialen Beziehungen, die sich weder materiell auszahlen noch Schutz bieten würden, neu zu beleben:

„Once they are back in Afghanistan, returnees realise that, after being away for anything from seven to thirty years, they have been largely excluded from the kinship, business and patronage relations that have emerged in Afghanistan in the past decade. For example, returnees report that they cannot secure jobs through kin or friends, because they do not belong to a patronage network with access to resources. Not only does this make their new lives economically untenable but it also triggers many signs of identity crisis among returnees. They used to be foreigners struggling to establish roots in Iranian society; now they are strangers in their own country, struggling to revive frail social relations that neither pay material dividends nor offer protection.” (Geller/Latek, Mai 2014, S. 26)

In einem Entscheidungstext des österreichischen Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 20. April 2015 (Geschäftszahl: W107 2008241-1) finden sich folgende Informationen eines namentlich nicht genannten länderkundigen Sachverständigen:

„Auf Ersuchen der Richterin erstattete der länderkundige SV [Sachverständiger] im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Lichte des Vorbringens des BF [Beschwerdeführer] folgendes Gutachten zur aktuellen Sicherheitslage und zur Versorgungslage von Jugendlichen, die keine Ausbildung haben, im Herkunftsland des BF:

‚[…] Die Versorgungslage für die jungen Rückkehrer nach Kabul ist ebenfalls prekär. Die meisten Jugendlichen die aus dem Iran und Pakistan zurückgekehrt sind, sind arbeitslos, wenn sie keine Fachausbildung haben. Nach meiner Schätzung sind 60% der afghanischen Jugendlichen arbeitslos, dazu trägt auch die unsichere Lage bei, welche die Unternehmer zwingt ihre Firmen zu schließen, bzw. keine Firmen zu gründen. Mit dem Abzug der ISAF-Truppen gehen tausende Arbeitsplätze verloren. Diese Arbeitsplätze waren von jungen Menschen besetzt. Das führt dazu, dass tausende junge Menschen derzeit sich auf den Weg gemacht haben außerhalb Afghanistan Möglichkeiten nach wirtschaftlichen Überleben zu suchen. Ich habe im Jänner diesen Jahres beobachten können, dass hunderte junge Menschen, die aus dem Ausland zurückgekehrt sind, in die Drogenszene geraten sind, sie leben in Parkanlagen und in den Abbruchhäusern in Kabul. Auch in anderen Provinzen Afghanistans leben junge Menschen, die zurückgekehrt sind, in einer wirtschaftlich prekären Situation. Dadurch hat die Kriminalität unter den jungen Menschen zugenommen. Diese Situation der jungen Rückkehrer hat UNHCR und das afghanische Flüchtlingsministerium dazu gezwungen, offiziell besonders die Nachbarländer Afghanistans zu bitten, die afghanischen Flüchtlinge nicht abzuschieben und ihre Aufenthalte in ihren Ländern zu verlängern.‘“ (BVwG, 20. April 2015)

In einem im August 2014 veröffentlichten Artikel für die British & Irish Agencies Afghanistan Group (BAAG), ein Dachverband von in Afghanistan tätigen britischen und irischen Hilfsorganisationen, berichtet die freiberufliche Forscherin und Autorin Vanessa Thevathasan über die Lage junger afghanischer RückkehrerInnen aus dem Iran und Pakistan. Laut Thevathasan seien viele nach ihrer Rückkehr aufgrund des anhaltenden Konflikts und der schlechten Sicherheitslage zu Binnenvertriebenen geworden. Sie seien gezwungen, in Zelten zu leben, und hätten nur geringen Zugang zu Nahrungsmitteln und Wasser.

Die Mehrheit der AfghanInnen sichere sich den Lebensunterhalt durch Subsistenzlandwirtschaft und informellen Handel. In den Städten seien die meisten entweder selbstständig oder GelegenheitsarbeiterInnen. Die Verankerung dieses informellen Sektors sowie der Mangel an grundlegenden Diensten habe Afghanistans Fähigkeit untergraben, der Forderung der internationalen Gemeinschaft nach einer organisierten Rückkehr und Reintegration afghanischer Flüchtlinge nachzukommen. Die Situation sei besonders für zurückkehrende afghanische Jugendliche hart:

„For those who have returned, many have encountered serious obstacles to picking up the pieces of their lives they were forced to leave behind. Those without assistance are increasingly vulnerable and many have returned only to then become internally displaced by the ongoing conflict and insecurity. They are forced to live in tents, barely insulating them from the harsh winter months, with little access to food and water. […]

The majority of Afghans survive on subsistence agriculture and informal trade. In the cities, most are either self-employed or casual wage labourers, both of which deliver low and unreliable income. The embeddedness of this urbanised informal sector and lack of basic services has undermined Afghanistan’s ability to absorb the greater international push for the organised return and reintegration of Afghan refugees. This is particularly harsh for returning Afghan youths, many of the problems for the less educated and low-income relate to material survival as they struggle to find dependable employment and cover the debilitating costs of education that will help stabilise their future.” (BAAG, 12. August 2014)

Stars and Stripes, eine Nachrichtenwebsite, deren Aufgabe es laut eigenen Angaben ist, die US-Militärgemeinde mit unabhängigen Nachrichten und Informationen zu versorgen, schreibt in einem Artikel vom Jänner 2015, dass sich immer noch mehr als 2,5 Millionen afghanische Flüchtlinge im Ausland aufhalten würden, vor allem in den Nachbarländern Pakistan und Iran. Angesichts wirtschaftlicher Probleme und der zunehmenden Gewalt sei das Ausmaß der freiwilligen Rückkehr auf 16.000 Personen im Jahr 2014 zurückgegangen. Im Jahr zuvor seien noch mehr als doppelt so viele Personen zurückgekehrt.

Zurückkehrende Flüchtlinge hätten Zugang zu einer Reihe internationaler Hilfsmaßnahmen, etwa Zuschüssen von rund 200 US-Dollar als Hilfe zur Deckung von Transport- und Reintegrationskosten, temporären Unterkünfte, Unterweisungen in den Bereichen rechtliche Hilfe und (Aus-)Bildung, sowie Impfungen für Kinder. Die afghanische Regierung habe zurückkehrenden Flüchtlingen und anderen vertriebenen Personen Land zugewiesen, allerdings sei die Fähigkeit der Regierung, andere Dienste wie (Aus-)Bildung und Gesundheitsversorgung bereitzustellen, begrenzt.

Einem für die Provinz Herat zuständigen Offiziellen zufolge würden Flüchtlinge alles verlieren, wenn sie versuchen würden, wieder nach Afghanistan zu kommen. Die afghanische Regierung verfüge nicht über die nötigen Ressourcen, um allen zu helfen.

Einer in Kabul ansässigen Mitarbeiterin der norwegischen NGO Norwegian Refugee Council (NRC) ziehe es viele zurückkehrende AfghanInnen aufgrund der Aussicht auf bessere wirtschaftliche Möglichkeiten in die Städte. Die Wirklichkeit sei allerdings, dass es dort nur selten mehr Möglichkeiten gebe. Es setze sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass die Mehrheit der Flüchtlinge nicht mehr zurückkehren wolle. Sie hätten Afghanistan oftmals wegen des Krieges oder anderer Schwierigkeiten verlassen und würden nun aufgrund der wirtschaftlichen Lage nicht mehr zurückkehren wollen:

More than 2.5 million Afghan refugees still remain in other countries, mostly neighboring Pakistan and Iran. But as NATO’s international military coalition continues its drawdown, economic concerns and rising violence have slowed the voluntary return flow to just 16,000 in 2014, less than half of what it was the year before. […]

Returning refugees have access to a range of international aid programs such as grants of about $200 to help with transportation and other reintegration costs, shelters to stay at temporarily, briefings on legal aid and education, and vaccinations for children. The Afghan government has been allocating land to returning refugees and other displaced people, but it has a limited ability to provide other services like education and health care.

‘Many of the refugees lose everything when they try to come home,’ said Hamidullah Khatibi, an official who oversees refugees in Herat province. ‘Our government doesn’t have the resources to help them all, and now we’re competing with places like Syria and Palestine for international aid.’

Many Afghans who do return are being drawn to cities by the prospect of better economic opportunities, even though the reality is there are rarely more options, said Danielle Moylan, a Kabul-based Protection and Advocacy manager with the Norwegian Refugee Council. ‘There is often a perception that refugees want to return to their places of origin, but it is becoming widely accepted that the majority don’t want to go home,’ she said. ‘They often left because of conflict or other hardship but now don’t want to return because of the economy.’” (Stars and Stripes, 2. Jänner 2015)

Die Afghanistan Research and Evaluation Unit (AREU), eine unabhängige Forschungsorganisation mit Sitz in Kabul, geht in einem Bericht vom Juli 2009 auf die Erfahrungen junger AfghanInnen bei ihrer Rückkehr aus Pakistan und dem Iran ein. Wie der Bericht anführt, sei die soziale Ablehnung durch AfghanInnen, die während der Konfliktjahre in Afghanistan geblieben seien, eine schwierige Erfahrung für einige RückkehrerInnen der zweiten Generation gewesen. Es gebe zwei wichtige Gründe, warum Flüchtlinge der zweiten Generation bei ihrer Rückkehr in ihr Heimatland mit dieser sozialen Exklusion konfrontiert seien: Zum einen könnten einige Flüchtlinge als „Eindringlinge“ in die afghanische Gesellschaft angesehen werden, zum zweiten könnte es sich um das erste Mal handeln, dass sie als AfghanInnen mit tiefgreifenden ethnischen und Stammes-Unterschieden unter ihren Landsleuten konfrontiert würden.

Rund ein Viertel der befragten RückkehrerInnen, die meisten aus dem Iran, aber auch einige aus Pakistan, hätten berichtet, dass sie bzw. Familienangehörige oder Freunde von anderen AfghanInnen wegen ihrer Rückkehr aus einem anderen Land geächtet worden seien. Bei den RückkehrerInnen, die dies berichtet hätten, habe es sich vor allem um alleinstehende, gebildete und weibliche Personen gehandelt. Zurückgekehrte Frauen seien relativ einfach anhand ihrer Kleidung auszumachen und ihre Erscheinung und ihr Verhalten könnten im Widerspruch zu den lokalen kulturellen Erwartungen und sozialen Codes stehen. Bei diesen RückkehrerInnen handle es sich eindeutig um „AußenseiterInnen“, die leichte Ziele für Schikanierungen seitens anderer AfghanInnen darstellen würden. Insbesondere dann, wenn Flüchtlinge der zweiten Generation sich sehr stark in die pakistanische oder iranische Lebensweise integriert hätten und nicht wüssten, was für AfghanInnen „normal“ sei, bzw. sich nicht dementsprechend verhalten könnten, könnten sie als „verwöhnt“, „Nichtstuer“ oder „nicht afghanisch“ betrachtet werden.

Im Großen und Ganzen scheine es eine generelle negative Einstellung gegenüber einigen RückkehrerInnen zu geben, denen von einigen in Afghanistan verbliebenen Personen vorgeworfen werde, ihr Land im Stich gelassen zu haben, dem Krieg entflohen zu sein und im Ausland ein wohlhabendes Leben geführt zu haben. Einer der Gründe für diese Vorwürfe sei Angst im Zusammenhang mit der Konkurrenz um Ressourcen. RückkehrerInnen der zweiten Generation, bei denen es wahrscheinlich sei, dass sie sich in einer besseren sozioökonomischen Lage befinden würden als Personen, die in Afghanistan geblieben seien, würden von ihren Landsleuten, die ihr „Territorium“ in den Bereichen Bildung, Arbeit, Eigentum und sozialer Status bedroht sehen würden, manchmal als unerwünschte Eindringlinge angesehen. Darüber hinaus scheine es eine stereotype Wahrnehmung von zurückgekehrten Mädchen und Frauen zu geben, wonach diese „freier“ seien. Dies hänge mit der generellen Wahrnehmung der AfghanInnen von pakistanischen und iranischen Frauen zusammen. Afghanische Flüchtlinge der zweiten Generation würden diese Frauen oftmals als „freier“ ansehen, sowohl in negativer (z.B. Scham in Verbindung mit einem weniger moralischen Verhalten) als auch in positiver Hinsicht (z.B. besserer Zugang zu Bildung und Arbeit). Die jungen RückkehrerInnen, die in Pakistan und im Iran aufgewachsen seien, würden von den in Afghanistan Verbliebenen ähnlich betrachtet.

Wie der Bericht weiters anführt, werde Diskriminierung aus ethnischen, religiösen und politischen Gründen von Flüchtlingen der zweiten Generation noch intensiver erlebt als von Flüchtlingen der ersten Generation oder AfghanInnen, die bereits Erfahrungen in Afghanistan gemacht hätten und sich dieser Realität bewusster seien:

„The external environment – social acceptance or rejection.

Social rejection by fellow Afghans who had remained during the years of conflict was another difficult experience for some second-generation returnees. This was because the motivation to return to Afghanistan was in many cases related to negative experiences being ‘outsiders’ among the majority populations of Pakistanis and Iranians. There are two major reasons why second-generation refugees experience this social exclusion on return to their homeland: firstly, some returnees may be seen as ‘intruders’ into Afghan society and, secondly, it may be the first time that, as Afghans, they have experienced profound differences among their compatriots based on ethnic or tribal identity

Social rejection of returnees

Around a quarter of returnee respondents, mostly from Iran but some from Pakistan, spoke of their experiences (or recounted those of their family or friends) of being socially ostracised by fellow Afghans on the basis of having returned from other countries. The respondents who spoke of these incidents were primarily single, educated and female. Returnee women are relatively easily identified by what they wear, and their appearance and behaviour can be at odds with local cultural expectations and social codes. These returnees are clearly ‘outsiders’ and make easy targets for harassment by their peers –both male and female. In particular, where second-generation refugees have been highly integrated into the Pakistani or Iranian way of life, and cannot do, or do not know, what is ‘normal’ for Afghans, they may be perceived with contempt as ‘spoiled,’ ‘loafers’ or ‘not Afghan.’

By and large, there appears to be a general negative attitude shown towards some returnees, who are seen by some of those who remained in Afghanistan to have abandoned their country, fled war and enjoyed a prosperous life in exile. One of the reasons linked to such experiences was fear related to competition for resources. The second generation, who are likely to be in a better socioeconomic position than those who remained, are sometimes seen as undesirable intruders by their country fellows whose ‘territory’ in education, work, property ownership and social status is threatened by the large-scale return of refugees. In addition, there seems to exist some stereotypical perceptions toward girls and women who came back to Afghanistan and were exposed to other worlds as tending to be ‘freer’ in the eyes of some ‘remainees’. This is linked to the general perceptions of Afghans towards Pakistani and Iranian women. In the eyes of second-generation Afghan refugees, Pakistani and Iranian women were often seen as more ‘free’. This includes both in a negative sense (e.g. shame related to less moral behaviour) and positive sense (e.g. more access to education and work). These young returnees who grew up in the Pakistani and Iranian sphere were seen in a similar way by those who remained.

Unequal treatment in the Afghan context

[…] For second-generation refugees, encountering discrimination based on various sectarian lines (ethnic, religious and political) is felt even more intensely than by first-generation refugees or Afghans who had prior experience in Afghanistan and were more aware of this reality.” (AREU, Juli 2009, S. 41)

In einem im Februar 2011 von den beiden Denkfabriken Middle East Institute (MEI) und Fondation pour la Recherche Stratégique (FRS) veröffentlichten Bericht geht Bruce Koepke, der aktuell beim Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) tätig ist und zuvor für die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UN Assistance Mission in Afghanistan, UNAMA) in Nordafghanistan, Kabul und Teheran gearbeitet hat, auf die Lage von AfghanInnen im Iran ein. Wie Koepke anführt, habe der Umstand, dass die Mehrheit der im Iran geborenen AfghanInnen, vor allem Dari-/Farsi-sprechende sunnitische TadschikInnen und schiitische Hazara, über Schule und Arbeit die iranische Kultur und Lebensweise aufgenommen habe, ihre kulturelle Anpassung erleichtert. Gleichzeitig werde dadurch aber auch ihre Repatriierung erschwert. Für viele sei die Vorstellung, in ländliche Gebiete Afghanistans zurückzukehren, die meist („most commonly“) nur ein sehr grundlegendes Maß an Infrastruktur, sozialen Diensten und Beschäftigungsmöglichkeiten bieten würden, beängstigend. Darüber hinaus seien im Iran ausgebildete AbsolventInnen bei ihrer Rückkehr nach Afghanistan nicht selten mit unterschiedlich stark ausgeprägten Vorurteilen konfrontiert:

„The fact that the majority of Iranian-born Afghans, especially Dari/Farsi-speaking Sunni Tajiks and Shia Hazaras, have been exposed to and largely absorbed Iran’s culture and way of life through schooling and employment has helped their acculturation but at the same time, complicates their repatriation. For many, the idea of returning to rural areas in Afghanistan which most commonly offer extremely basic infrastructure, social services and employment opportunities, is daunting. In addition, Iranian-educated graduates are not infrequently exposed to varying degrees of prejudice upon their return to Afghanistan.” (MEI/FRS, 4. Februar 2011, S. 6)

In einem im Jänner 2012 veröffentlichten Meinungsartikel auf der Website des US-amerikanischen Nachrichtensenders Fox News berichtet Fariba Nawa, eine in den USA ansässige afghanisch-amerikanische Journalistin und Autorin eines Buches zu den Auswirkungen der Opium-Produktion in Afghanistan, über aus dem Iran zurückkehrende afghanische Flüchtlinge. Wie Nawa anführt, würden diese AfghanInnen die Identität Afghanistans ändern und das Land iranischer machen. Diese Änderungen hätten zu Spannungen zwischen AfghanInnen, die das Land nie verlassen hätten, und den afghanischen RückkehrerInnen geführt. Den qualifizierten RückkehrerInnen werde übel genommen, dass sie bessere Jobs bei Hilfsorganisationen und der afghanischen Regierung bekommen würden. Konservative Personen würden die afghanischen Frauen, die im Iran aufgewachsen seien, verachten, da diese liberaler und mutiger erscheinen würden. Wie Nawa weiter anführt, würden Hazara, bei denen es sich historisch betrachtet um die ärmste der Minderheiten in Afghanistan gehandelt habe, reicher, gebildeter und geeint zurückkehren.

Dem Artikel zufolge würden die RückkehrerInnen als „Afghan-e badal“ oder falsche AfghanInnen bezeichnet. Nur wenige von ihnen hätten politische Verbindungen in den Iran, aber aufgrund ihrer Zeit im Iran seien sie in den Augen der AfghanInnen, die das Land nicht verlassen hätten, kulturell nicht authentisch und politisch verdächtig:

„These Afghans are changing Afghanistan’s identity to be more Iranian – for better or worse. […] These changes have given rise to tension between the Afghans who never left home and the Afghan returnees. The skilled repatriates are resented for getting better jobs with aid companies and the Afghan government.

Conservatives view the Afghan women who grew up in Iran with disdain because they appear more liberal and courageous--they sing on TV, they’re news broadcasters, business owners, and government workers. They voice their opinions loudly in a male dominated country. The Hazara ethnic group in Afghanistan who were historically the poorest of minorities return richer, more literate, and united. They have made unprecedented advances in Afghanistan, including in the arts and in the government.

These returnees are called ‘Afghan-e badal,’ or counterfeit Afghans. Few of them have political connections to Iran, but their time living in the Islamic Republic taints them in the eyes of the Afghans who didn’t leave as culturally inauthentic and politically suspect.” (Fox News, 25. Jänner 2012)

In einer im Jahr 2014 eingereichten Masterarbeit an der University of Ottawa geht Masuma Moravej auf die Situation junger afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran nach Afghanistan zurückkehren, ein. Unter anderem basiert die Arbeit auf Angaben von zwölf afghanischen RückkehrerInnen in Kabul (im Alter zwischen 19 und 34, davon sechs Hazara), die sich bereit erklärten, mit der Autorin über ihre Erfahrungen zu sprechen. Wie Moravej anführt, habe es InterviewpartnerInnen gegeben, die sich diskriminiert und geringgeschätzt gefühlt und angegeben hätten, als „verwöhnt“, „Nichtstuer“ oder „nicht afghanisch“ bezeichnet zu werden. Obwohl einige Interviewte der Aussage, es komme zu Diskriminierung, nicht zugestimmt hätten, habe ungefähr die gleiche Anzahl an Interviewten dieser Aussage beigepflichtet.

Ausgrenzung aufgrund des Status eines/r Rückkehrers/Rückkehrerin sei nur eine der negativen Erfahrungen gewesen, die die InterviewpartnerInnen gemacht hätten. Eine weitere sei die Diskriminierung aufgrund persönlicher Merkmale (so wie Ethnie, Religion und Geschlecht) gewesen. Eine(r) der Interviewten habe mitgeteilt, dass man als RückkehrerIn aus dem Iran mit verschiedenen Arten von Diskriminierung und einem gewissen Grad an Stereotypisierung durch die lokale Gemeinschaft (andere AfghanInnen) konfrontiert werde. Deshalb müssten sich RückkehrerInnen mehr anstrengen, um bei der Arbeit oder in anderen Lebensbereichen erfolgreich zu sein.

Drei Interviewte hätten angegeben, dass die BewohnerInnen Kabuls ihnen gegenüber ein unfreundliches Verhalten an den Tag gelegt hätten. Die BewohnerInnen hätten sie als OpportunistInnen und SchwindlerInnen angesehen, die während des Krieges geflüchtet und nun nach Afghanistan zurückgekehrt seien, um von der teilweise stabilisierten Lage im Land zu profitieren. Das Problem der ethnischen Diskriminierung sei von zehn der Interviewten genannt worden. So habe eine der Interviewten (eine Hazara) angegeben, dass sie im Iran wegen ihres Afghanisch-Seins beleidigt worden sei und nun in Kabul wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert werde. Wie Moravej anführt, hätten die den Hazara angehörenden Interviewten berichtet, mit einem größeren Ausmaß ethnischer Diskriminierung konfrontiert worden zu sein:

„On the other side of the spectrum, there were participants who said they feel discriminated against and looked down upon by the community of those who stayed in Afghanistan. They claimed to be subject to contempt, labeled as ‘spoiled,’ ‘loafers’ or ‘not Afghan.’ Although there were respondents who did not agree with the statement about the presence of discrimination, almost the same number remarked that they agreed there was discrimination. Facing exclusion because of one’s returnee status was only one of the discouraging experiences for respondents. Encountering discrimination based on one’s background (such as ethnicity, religion, and gender) was another stressful experience for returnees in their native land. […]

One of the participants said that being a returnee from Iran meant experiencing various types of discrimination and withstanding a certain degree of stereotyping by the local community (other Afghans). Thus, most of the time, returnees need to try harder to be successful in their work and other sectors of their life in the new environment. […]

Three participants claimed that the residents displayed a non-welcoming behavior towards them. The residents viewed them as opportunists and carpetbaggers who escaped during the war time and now repatriated to Afghanistan to gain benefit from the partial stabilized situation of the country; a situation where more job opportunities were created mainly through international donation and support. Ethnic discrimination was another problem the majority (10 out of 12 participants) referred to. Participant 4 described his experience regarding ethnic discrimination, as, ‘when I was in Iran, I was insulted because of being an Afghan and now in Kabul City, I am being discriminated again because of my ethnicity. […]

The returnees’ need to adaptation and their awareness of improving the cultural and language knowledge, expanding network in the host society directed them to communicate with Afghan people regardless of their ethnicity, language and religious background. However, the social structure of the Kabul City, extreme and well-rooted ethnic belonging and ethnic discrimination was perceived as disruptive factor for the process of adaptation of returnees. Participants from Hazara ethnic group reported that they had experienced more ethnic discrimination.” (Moravej, 2014, S. 88-92)

Wie Moravej in der Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse anführt, hätten die meisten RückkehrerInnen erklärt, sie würden sich in erster Linie als AfghanInnen betrachten und erst danach als Angehörige einer bestimmten ethnischen Gruppe. Die afghanische Gesellschaft hingegen richte ihr Verhalten gegenüber den RückkehrerInen eher an deren ethnischer Zugehörigkeit aus:

„The majority of returnees explained that they perceived themselves as being an Afghan and then as individuals who belong to a specific ethnic group such as Tajik, Hazara, Pashtun or Uzbek, while the Afghan society recognized and treated the returnees mainly based on their ethnicity rather than as being an Afghan.” (Moravej, 2014, S. 99)

In einer im September 2013 eingereichten Masterarbeit an der japanischen Ritsumeikan Asia Pacific University geht Ahmadi Yaser Mohammad Ali ebenfalls auf die Lage afghanischer RückkehrerInnen aus dem Iran ein. Die nötigen Informationen für die Arbeit wurden unter anderem mittels Interviews mit 17 Haushaltsvorständen (im Alter von 24 bis 70) in zwei Stadtvierteln von Kabul, in denen viele RückkehrerInnen aus dem Iran leben würden, gesammelt. Wie Ali anführt, hätten sich viele der Befragten darüber beschwert, dass die afghanische Gesellschaft eine negative Wahrnehmung von RückkehrerInnen aus dem Iran habe. Allerdings sei dieses Problem vor allem von Flüchtlingen der zweiten Generation angesprochen worden.

Mit Verweis auf den weiter oben bereits zitierten AREU-Bericht von 2009 erläutert Ali, dass Flüchtlinge der zweiten Generation aufgrund der Diskriminierung, mit der sie im Iran konfrontiert gewesen seien, unter großem Druck gestanden hätten, in der Öffentlichkeit iranisches Persisch zu sprechen. Wegen ihres Akzents würden sie bei ihrer Rückkehr leicht als RückkehrerInnen ausgemacht, was zu sozialer Ausgrenzung führen könne. Einem Bericht der Afghanischen Unabhängigen Menschenrechtskommission zufolge seien diese RückkehrerInnen auch mit Diskriminierung und Erniedrigung seitens einiger staatlicher Einrichtungen, darunter auch Bildungseinrichtungen, konfrontiert. In manchen Fällen seien sie aufgrund ihres Akzents und ihrer Kleidung ihrer Rechte beraubt worden.

Wie Ali weiters anführt, habe die afghanische Regierung im Jahr 2001 ein Dekret erlassen, das die Diskriminierung von RückkehrerInnen verbiete. Trotz dieses Dekrets seien sich alle Befragten einig gewesen, dass RückkehrerInnen aus dem Iran von der Bevölkerung und der Regierung diskriminiert und schikaniert würden. Im Gegensatz dazu sei in der nationalen afghanischen Entwicklungsstrategie der afghanischen Regierung aus dem Jahr 2008 angeführt worden, dass es kein Muster von Diskriminierungen von RückkehrerInnen gegeben habe, auch wenn die Reintegration dieser Personen eine Herausforderung darstelle:

„The major characteristic of the second generation is that they highly adapt the Iranian or Pakistani lifestyle and after return their attitude might be perceived with contempt by other Afghans. Several respondents complained that Afghan society has negative perceptions about returnees from Iran and consider this as serious problem which returnees face. However, this issue was raised mainly by second generation respondents. […]

Many second generation Afghan refugees have acquired the culture and lifestyle of the host societies and their return is associated with difficulty. Saito (2009) claims that due to discrimination which second generation refugees’ faced in Iran they were under great pressure to speak Iranian Persian in public. Therefore, upon return they are easily identified as returnees due to their accent. This might lead to their social exclusion. According to Afghanistan Independent Human Rights Commission report (2011), this might cause mental problem and marginalization of some of young returnees. Afghanistan Independent Human Rights Commission report (2011) also points out that these returnees face discrimination and humiliation by some state institutions including education and higher education institutions. Sometimes their accent and clothing deprived them of their rights and caused them to feel losing their belonging to their country and society. […]

The government of Afghanistan has issued a decree which forbid discrimination against returnees. The President of the Afghan Interim Administration issued Decree 297 in 2001. First article of the decree states that ‘Returning Afghan nationals, who were compelled to leave the country and found refuge in Iran, Pakistan and other countries of the world, will be warmly welcomed without any form of intimidation or discrimination’. In addition article 9 mentions that ‘the implementation of the provisions of this decree is the responsibility of the Ministry of Refugee and Repatriation; law and order organs are obliged to assist the Ministry of Refugee Repatriation in this task’ (Afghan Interim Administration, 2001, p. 1). Despite this decree, all respondents of this study agreed that returnees from Iran are discriminated and harassed by people and government. In contrast, according to Afghan National Development Strategy (2008), though the social reintegration of returnees is challenging there has been no pattern of discrimination against returnees.” (Ali, September 2013, S. 96-99)

Die International Crisis Group (ICG), eine unabhängige, nicht profitorientierte Nicht-Regierungsorganisation, die mittels Informationen und Analysen gewaltsame Konflikte verhindern und lösen will, schreibt in einem Bericht vom August 2009, dass viele afghanische SunnitInnen, genauso wie Mitglieder der internationalen Gemeinschaft, Teherans Verbindungen zu einigen ethnischen oder bewaffneten Gruppen, die während des anti-sowjetischen Dschihad im Iran Zuflucht gesucht hätten, misstrauisch gegenüber stehen würden. Obwohl die Unterstützung des Iran für Mudschaheddin-Gruppen in den 1980er-Jahren begrenzt gewesen sei, habe die iranische Regierung im Jahr 1991 bei dem Zusammenschluss von Hazara-Gruppen zu einer einzigen Partei, der Hezb-e Wahdat Islami Afghanistan, geholfen. Die Partei habe sich später der Nordallianz beim Kampf gegen die Taliban angeschlossen. Der vermutete mittels der Hezb-e Wahdat ausgeübte Einfluss Teherans auf die Hazara, die die meisten afghanischen Flüchtlinge im Iran stellen würden, werde deshalb gemeinhin mit Misstrauen betrachtet, auch wenn die Partei im Parlament vertreten sei und die Unterstützungsbasis für die Karzai-Regierung verbreitere. Obwohl der gemeinsame Glaube den Iran und die schiitischen Hazara miteinander verbinde und die Hezb-e Wahdat eine beträchtliche Unterstützung vonseiten der Flüchtlinge im Iran genieße, sei es unwahrscheinlich, dass Teheran sich selbst dazu verpflichte, die Hazara zu verteidigen:

Many Afghan Sunnis, as well as members of the international community, are suspicious of Tehran’s ties to some ethnic groups or armed factions who had sought refuge in Iran during the anti-Soviet jihad. Although Iran’s support to mujahidin groups was limited in the 1980s, in 1991 the government assisted in the union of Hazara factions under a single party, the Hezb-e Wahdat Islami Afghanistan. The group later joined the Northern Alliance in fighting against the Taliban. Tehran’s perceived influence, through the Hezb-e Wahdat, over Hazaras, who form the majority of Afghan refugees in Iran, is hence widely regarded with suspicion even as the party participates in parliament and extends support to the Karzai administration. While shared faith certainly links Iran to the Shia ethnic group, and Hezb-e Wahdat enjoys significant support among refugees in Iran, Tehran is unlikely to commit itself to defending Hazaras.” (ICG, 31. August 2009, S. 16)

Verhalten der Taliban gegenüber Hazara, die aus dem Iran zurückkehren

Der vom US-amerikanischen Kongress finanzierte Rundfunkveranstalter Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) berichtet im Februar 2015, dass Bewaffnete zwei Busse mit 30 Hazara an Bord in der Provinz Zabul auf dem Highway zwischen Kandahar und Kabul aufgehalten hätten. Laut Angaben lokaler Behörden hätten die Bewaffneten die männlichen Hazara mitgenommen, während Frauen, Kinder und Personen, die nicht den Hazara angehört hätten, zurückgelassen worden seien. Es werde davon ausgegangen, so RFE/RL weiters, dass es sich bei den BusinsassInnen um afghanische Flüchtlinge gehandelt habe, die aus dem Iran zurückgekehrt seien. Keine Gruppe habe sich zu dieser Massenentführung bekannt:

„The mass kidnapping of members of Afghanistan's Hazara minority has raised concerns that Islamic State militants are entering a new, active, phase in the country. Details about the mass abduction, which took place in Zabul Province on February 23, remain murky, with claims that it was carried out by Islamic State militants countered by denials that the group is present in the southeastern province. Thirty members of the predominately Shi’ite ethnic group were stopped as they traveled in two buses on a dangerous stretch of highway from Kandahar to Kabul. According to local officials, gunmen rounded up male Hazara passengers and whisked them away, while women, children, and non-Harazas were left behind. […] Local officials believe the passengers, believed to be Afghan refugees returning from Iran via the western Afghan city of Herat, have been taken to the restive tribal areas in northwest Pakistan. No group has claimed responsibility for the mass abduction, but kidnappings for ransom by bandits, local militias, and Taliban militants are common in Afghanistan.” (RFE/RL, 25. Februar 2015)

Über den Vorfall wird unter anderem auch in folgenden Medienartikeln berichtet:

·      BBC News: Afghanistan kidnap: Gunmen seize 30 Hazara men in Zabul, 24. Februar 2015
http://www.bbc.com/news/world-asia-31600476

·      Tolo News: Masked Men Abduct 30 Hazara Passengers in Zabul, 24. Februar 2015
http://www.tolonews.com/en/afghanistan/18349-masked-men-abduct-30-hazara-passengers-in-zabul

 

In einer E-Mail-Auskunft vom 4. Juni 2015 schreibt Liza Schuster vom Institut für Soziologie an der City University London, die gegenwärtig als Gastwissenschaftlerin am Afghanistan Centre der Kabul University (ACKU) tätig ist, dass sie keine Studie kenne, die sich mit dieser konkreten Fragestellung beschäftige. Sie könne lediglich sagen, dass Hazara zur Zielscheibe würden und Hazara, die Zeit im Iran verbracht hätten, aufgrund ihres veränderten Akzents und ihrer Kleidung (vor allem Frauen, die kleinere Kopftücher und kurze Mäntel über enganliegenden Hosen tragen würden) hervorstechen würden. Die 31 Hazara, die vor kurzem in Zabul entführt worden seien, hätten sich auf dem Rückweg aus dem Iran befunden. Es sei allerdings nicht bekannt, ob das Motiv für die Tat die Annahme, die Entführten hätten Geld, ihre ethnische Zugehörigkeit zu den Hazara oder politische Gründe gewesen sei. Sie habe gehört, dass fünf der Entführten getötet und 26 im Austausch für die Freilassung von Taliban-Kämpfern freigelassen worden seien, so Schuster weiter:

„I don’t know of any studies on this precise question. I can only tell you that Hazaras are targeted, and Hazaras who have spent time in Iran stand out because of their changed accents and the way they dress (especially women, who wear smaller headscarves, and short coats over tight trousers). The 31 Hazaras who were recently kidnapped in Zabul were returning from Iran. It is not known whether they were targeted because there was an assumption they had money, because they were Hazara or for political reasons. I have heard that 5 were killed and the other 26 were released in exchange for Taliban released but it is not in the public domain.” (Schuster, 4. Juni 2015)

In einer E-Mail-Auskunft vom 5. Juni 2015 schreibt Niamatullah Ibrahimi von der Australian National University, dessen Forschungsschwerpunkt auf politischen und Menschenrechtsthemen in Afghanistan liegt, dass die Behandlung eines Hazara, der aus dem Iran nach Afghanistan zurückkehre, von den individuellen Umständen abhängen könnte. Im Allgemeinen denke er, dass folgende Punkte berücksichtigt werden müssten:

Zum einen könnten Hazara, die längere Zeit im Iran verbracht hätten oder dort geboren seien, mit beträchtlichen Herausforderungen bei der Wiederansiedelung und Reintegration in Afghanistan konfrontiert sein. Es sei wahrscheinlich, dass die betreffende Person einen iranischen Akzent angenommen und einen städtischen und iranischen Lebensstil entwickelt habe und nur wenig über die sich schnell verändernden sozialen und sicherheitsrelevanten Dynamiken in Afghanistan wisse. Dies könnte die Person einer großen öffentlichen Aufmerksamkeit und Kontrolle aussetzen, was zu beträchtlichen Herausforderungen in Gebieten, die einem iranischen Einfluss feindlich gegenüberstehen würden, führen könnte.

Zum zweiten seien die Taliban dem Iran traditionell feindlich gesinnt und würden dazu tendieren, die religiösen und kulturellen Verbindungen der Hazara zum Iran mit Misstrauen zu betrachten. Während es einige Fraktionen innerhalb der Taliban gebe, die gemäßigtere Ansichten in Bezug auf den Iran und die Hazara haben könnten oder einem Angriff auf aus dem Iran zurückkehrende Hazara zu diesem Zeitpunkt keine Priorität einräumen würden, würden einige Taliban-Fraktionen gegenüber Hazara, die sie als eng mit dem Iran verbunden wahrnehmen würden, ein extremistischeres und gewalttätigeres Verhalten an den Tag legen:

The treatment of a Hazara returning from Iran to Afghanistan may depend on the particular circumstances of an individual. Generally speaking, I think the following need to be taken into account in assessing this claim.

First, Hazaras who have spent extended periods of their life in Iran or was born in the country may experience significant challenges in reintegrating and resettling in Afghanistan. The person is likely to have adapted an Iranian accent, developed urban and Iranian life style and attitudes and know very little about the rapidly changing social and security dynamics of Afghanistan. These may bring him or her under greater public attention and scrutiny, which may create significant challenges in areas hostile to Iranian influence.

Second, the Taliban have historically been hostile to Iran, and have the tendency to view Hazaras’ religious and cultural ties to Iran with suspicion. While there are factions within the Taliban who may have more moderate views towards Iran and Hazara or may not view targeting Hazaras returning from Iran a priority at this stage, some factions within the movement have shown more extremist and violent tendencies towards Hazaras they perceive are closely linked to Iran.” (Ibrahimi, 5. Juni 2015)

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 12. Juni 2015)

·      Ali, Ahmadi Yaser Mohammad: Returnee’s Reintegration and Contributions in a Post Conflict Society: A Case Study of Afghan Returnees from Iran, September 2013
http://r-cube.ritsumei.ac.jp/bitstream/10367/5873/1/51211602.pdf

·      AREU - Afghanistan Research and Evaluation Unit: Searching For My Homeland: Dilemmas Between Borders – Experiences of Young Af ghans Returning “Home” from Pakistan and Iran (Autorin: Mamiko Saito), Juli 2009
http://www.areu.org.af/Uploads/EditionPdfs/932E-Experiences%20Of%20Young%20Afghans%20Returning%20Home%20SP%202009%20web.pdf

·      BAAG - British & Irish Agencies Afghanistan Group: Finding a way home: the situation for young Afghan returnees (Autorin: Vanessa Thevathasan), 12. August 2014
http://www.baag.org.uk/views-voices/finding-way-home-situation-young-afghan-returnees

·      BBC News: Afghanistan kidnap: Gunmen seize 30 Hazara men in Zabul, 24. Februar 2015
http://www.bbc.com/news/world-asia-31600476

·      BVwG - Bundesverwaltungsgericht (Österreich): Entscheidungstext W107 2008241-1, 20. April 2015
https://www.ris.bka.gv.at/JudikaturEntscheidung.wxe?Abfrage=Bvwg&Dokumentnummer=BVWGT_20150420_W107_2008241_1_00

·      Fox News: How Iran Controls Afghanistan (Autorin: Fariba Nawa), 25. Jänner 2012
http://www.foxnews.com/opinion/2012/01/25/how-iran-controls-afghanistan.html

·      Geller, Armando / Latek, Maciej M.: Returning from Iran. In: FMR - Forced Migration Review, Issue 46, Mai 2014, S. 25-27
http://www.fmreview.org/en/afghanistan/geller-latek.pdf

·      Ibrahimi, Niamatullah: E-Mail-Auskunft, 5. Juni 2015

·      ICG - International Crisis Group: Afghanistan: What Now For Refugees?, 31. August 2009
http://www.crisisgroup.org/~/media/Files/asia/south-asia/afghanistan/175_afghanistan___what_now_for_refugees.ashx

·      MEI/FRS - Middle East Institute / Fondation pour la Recherche Stratégique: The Situation of Afghans in the Islamic Republic of Iran Nine Years After the Overthrow of the Taliban Regime in Afghanistan (Autor: Bruce Koepke), 4. Februar 2011
http://www.refugeecooperation.org/publications/afghanistan/pdf/03_koepke.pdf

·      Moravej, Masuma: Cross-Cultural Adaptation among Young Afghan Refugees Returning from Iran to Afghanistan, 2014
https://www.ruor.uottawa.ca/bitstream/10393/30364/3/Moravej_Masuma_2014_thesis.pdf

·      RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty: Mass Abduction Of Hazaras In Afghanistan Raises Fears Of Islamic State, 25. Februar 2015
http://www.rferl.org/content/afghanistan-hazaras-mass-abduction-islamic-state/26869255.html

·      Schuster, Liza: E-Mail-Auskunft, 4. Juni 2015

·      Stars and Stripes: Limited options leave Afghan refugees reluctant to return home, 2. Jänner 2015
http://www.stripes.com/news/middle-east/afghanistan/limited-options-leave-afghan-refugees-reluctant-to-return-home-1.322129

·      Tolo News: Masked Men Abduct 30 Hazara Passengers in Zabul, 24. Februar 2015
http://www.tolonews.com/en/afghanistan/18349-masked-men-abduct-30-hazara-passengers-in-zabul