Anfragebeantwortung zu Jordanien: Verweigerung der jordanischen Staatsbürgerschaft für Kinder eines staatenlosen Palästinensers und einer jordanischen Staatsbürgerin [a-8986]

5. Dezember 2014
 

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Artikel 9 des jordanischen Staatsbürgerschaftsgesetzes von 1954 besagt, dass die Kinder eines jordanischen Mannes unabhängig von ihrem Geburtsort ebenfalls Jordanier seien:

Article 9

The children of a Jordanian man shall be Jordanian wherever they are born.” (Jordanisches Staatsbürgerschaftsgesetz, 1954, Artikel 9)

Artikel 3 (3) des jordanischen Staatsbürgerschaftsgesetzes regelt, dass Personen, deren Vater die jordanische Staatsbürgerschaft besitzt, ebenfalls als jordanische StaatsbürgerInnen gelten. Artikel 3 (4) besagt, dass Personen als jordanische StaatsbürgerInnen gelten, wenn sie in Jordanien als Kind einer Jordanierin geboren sind und die Staatsbürgerschaft des Vaters unbestimmt, der Vater staatenlos oder die Abstammung nicht gesichert ist:

Article 3

The following shall be deemed to be Jordanian nationals:

[…] (3) Any person whose father holds Jordanian nationality;

(4) Any person born in the Hashemite Kingdom of Jordan of a mother holding Jordanian nationality and of a father of unknown nationality or of a Stateless father or whose filiation is not established; […]” (Jordanisches Staatsbürgerschaftsgesetz, 1954, Artikel 3)

Auch der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) erwähnt in seiner Background Note zu Geschlechtergleichstellung, Staatsbürgerschaftsgesetzen und Staatenlosigkeit vom März 2014, dass Jordanierinnen, die mit Ausländern verheiratet seien, laut Gesetz ihre Staatsbürgerschaft nicht an ihre Kinder weitergeben könnten. Nur unter bestimmten Umständen könnten sie ihre Staatsbürgerschaft an die Kinder weitergeben, zum Beispiel wenn der Vater unbekannt, staatenlos oder unbekannter Staatsangehörigkeit sei oder wenn die Abstammung ungeklärt sei:

„The nationality laws of Jordan, Libya, Saudi Arabia, and the United Arab Emirates do not allow women nationals married to foreign nationals to pass their nationality to their children. However, they do permit women nationals to confer their nationality to their children in certain circumstances such as where fathers are unknown, stateless, of unknown nationality or do not establish filiation.” (UNHCR, 8. März 2014, S. 3)

Freedom House, eine in den USA ansässige NGO, die zu den Themen Demokratie, politische Freiheit und Menschenrechte forscht und sich für diese einsetzt, berichtet im Jänner 2014, dass Frauen trotz eines neuen Passgesetzes vom August 2013 nach wie vor nicht ihre Staatsbürgerschaft an ihre Kinder von nicht-jordanischen Vätern weitergeben könnten:

„Under the new passport law passed in August, women are no longer required to obtain their husbands’ permission when applying for a passport. Nonetheless, they are still unable to pass down citizenship to children from non-Jordanian fathers.” (Freedom House, 23. Jänner 2014)

Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Jahresbericht zur Menschenrechtslage 2013 vom Februar 2014, dass die Staatsbürgerschaft nur durch den Vater übertragen werden könne. Kinder von jordanischen Staatsbürgerinnen, die mit Männern ohne jordanische Staatsbürgerschaft verheiratet seien, würden dessen Staatsbürgerschaft erhalten. Sie hätten kein Recht, öffentliche Schulen zu besuchen oder andere staatliche Leistungen zu beziehen, wenn sie über keinen legalen Aufenthaltsstatus verfügen würden. Dieser müsste jährlich beantragt werden und sei nicht gesichert. Verheiratete Frauen hätten kein Recht, ihre Staatsbürgerschaft auf ihre Kinder zu übertragen. Dies betreffe tausende Familien, in denen der Vater palästinensischer Abstammung sei. Im Jahr 2012 habe der nationale Menschenrechtsrat 12 Beschwerden von Jordaniern palästinensischer Herkunft bezüglich des Entzuges ihrer Bürgernummer [an die die Staatsbürgerschaft geknüpft ist, Anmerkung ACCORD] erhalten. Laut NGO-Berichten habe es im Jahr 2013 aber keinen Entzug von Bürgernummern durch die Regierung gegeben:

„Citizenship is derived only through the father. Children of female citizens married to noncitizen husbands receive the nationality of the father and lose the right to attend public school or seek other government services if they do not hold legal residency, which must be applied for every year and is not assured. Married women do not have the legal right to transmit citizenship to their children. This affected thousands of families in which the father was of Palestinian origin. By law the cabinet may approve citizenship for such children; however, this rarely occurred. The public was not widely aware of this mechanism. Women may not petition for citizenship for noncitizen husbands, who may apply for citizenship only after fulfilling a requirement of 15 years’ continuous residency. Once a husband has obtained citizenship, he may apply to transmit citizenship to his children. Such an application could take years, and the government could deny the application. In 2012 the NCHR [National Council for Human Rights] received 12 complaints from Jordanians of Palestinian descent concerning withdrawal of their national numbers. NGOs reported that the government did not withdraw national numbers in 2013.” (USDOS, 27. Februar 2014, Section 2d)

In einem im Februar 2010 veröffentlichten Bericht der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) über die seit 1988 angewandte Praxis der jordanischen Behörden, PalästinenserInnen die jordanische Staatsbürgerschaft zu entziehen, wird ebenfalls auf das Staatsbürgerschaftsgesetz von 1954 Bezug genommen. Der Bericht erwähnt, dass die Praxis der Behörden gegen das nationale Recht verstoße, wenn sie dem Kind eines Palästinensers, der seine jordanische Staatsbürgerschaft verliert, ebenfalls die Staatsbürgerschaft entziehen würden:

„More than half of the 6.3 million population of Jordan is of Palestinian origin—that is, from areas west of the River Jordan, including the West Bank, today’s Israel, and Gaza. With the exception of persons from Gaza, the vast majority of those persons of Palestinian origin have Jordanian citizenship. However, since 1988, and especially over the past few years, the Jordanian government has been arbitrarily and without notice withdrawing Jordanian nationality from its citizens of Palestinian origin, making them stateless. For many of them this means they are again stateless Palestinians as they were before 1950.

[…] So far, Jordan has withdrawn its nationality from thousands of its citizens of Palestinian origin—over 2,700 between 2004 and 2008 alone. It has done so, in the individual cases Human Rights Watch identified, in an arbitrary manner and in violation of Jordan’s nationality law of 1954. Under that law Palestinian residents of the West Bank in 1949 or thereafter received full Jordanian nationality following Jordan’s incorporation of the West Bank in April 1950.” (HRW, 1. Februar 2010, S. 1)

„The 1954 Law on Nationality, amended several times through 1987, grants nationality to all persons born of a Jordanian father and to all persons born of a Jordanian mother and a stateless father. A child whose father acquires non-Jordanian nationality remains Jordanian under the law. It is therefore a violation of domestic law for Jordan to withdraw Jordanian nationality from the children in consequence of withdrawing it from their Palestinian-origin father. The law gives nationality to all Palestinians resident in Jordan between December 20, 1949, and the issuance of the law in 1954, as long as they were not Jewish (the law superseded a 1928 Law on Nationality, which had been amended effective from December 20, 1949, to include Palestinians in the West Bank and East Jerusalem). As noted above, Jordan extended its sovereignty, and consequently all applicable domestic law, to the West Bank and East Jerusalem in April 1950.” (HRW, 1. Februar 2010, S. 16)

In einer Pressemitteilung von Human Rights Watch (HRW) vom August 2014 wird erwähnt, dass Jordanien Palästinenser mit abgelaufenen jordanischen Reisepässen nicht aus Syrien einreisen habe lassen:

„Seit Mitte des Jahres 2012 weisen die jordanischen Sicherheitskräfte Palästinenser ab, die von Syrien aus in das Land einreisen wollen. Im Januar 2013 verkündete die Regierung ein offizielles Einreiseverbot. Die Sicherheitskräfte verhafteten auch dann Palästinenser und schieben sie ab, wenn diese versuchen, an inoffiziellen Grenzübergängen mit gefälschten, syrischen Pässen einzureisen, oder wenn sie durch Schleusernetzwerke irregulär in das Land gelangen. Offiziell dürfen Palästinenser mit jordanischer Staatsbürgerschaft einreisen, aber de facto werden Personen mit abgelaufenen jordanischen Pässen abgewiesen. Zum Teil werden ihnen willkürlich ihre Papiere abgenommen und sie mussten nach Syrien zurückkehren.

[…] Sana, eine jordanische Staatsbürgerin, ging zur Polizei, als sie nach zwei Tagen von der Verhaftung ihres Schwiegersohnes erfuhr. ‚Sie sagten mir, dass ich morgen wiederkommen soll‘, berichtete sie. ‚Sie sagten, sie würden eine Lösung für uns finden. Am nächsten Tag rief uns Mohammed aus Syrien an.‘

[…] Fayez Tarawneh, Leiter des Königlichen Hofes und ehemaliger Premierminister, rechtfertigte die Abweisungspolitik bei einem Treffen mit Human Rights Watch im Mai 2013 mit der Begründung, dass eine große Zahl von Palästinensern aus Syrien das demographische Gleichgewicht des Königreichs stören und zu Instabilität führen würde. Man geht davon aus, dass mindestens die Hälfte der jordanischen Bevölkerung einen palästinensischen Hintergrund hat. Tarawneh bezweifelte, dass Jordanien die - staatenlosen - Palästinenser nach Beendigung des Konflikts legal nach Syrien abschieben könnte, wenn sie zuvor als Flüchtlinge anerkannt worden waren.“ (HRW, 7. August 2014)

Die folgenden Quellen enthalten weitere Hintergrundinformationen zum Umgang jordanischer Behörden mit der Frage der Staatsbürgerschaft von PalästinenserInnen sowie zu den Rechten von Kindern jordanischer Mütter und nicht-jordanischer Väter:

 

·      Al-Araby al-Jadeed: Civil rights granted to children of Jordanians and foreigners, 9. November 2014

http://www.alaraby.co.uk/english/news/6619a5f2-5e21-49d4-8052-e3580c8bb15c

·      BADIL: Palestinian Refugees in Jordan and the Revocation of Citizenship, 2010

http://www.badil.org/en/al-majdal/item/1569-interview1

·      Bertelsmann Stiftung: BTI 2014; Jordan Country Report, 2014

http://www.bti-project.de/fileadmin/Inhalte/reports/2014/pdf/BTI 2014 Jordan.pdf

·      Emanuel, James: Discriminatory Nationality Laws in Jordan and Their Effect on Mixed Refugee Families. In: University of Notre Dame: Student Research Papers #2012-4, 2012

http://www3.nd.edu/~ndlaw/prog-human-rights/student-research-papers/NationalityLawsInJordan.pdf

·      IRB - Immigration and Refugee Board of Canada: Jordan: Rights and obligations of Palestinians living in Jordan without Jordanian citizenship, not including Palestinian refugees fleeing Syria since 2011, including employment, mobility and access to social services (2013-May 2014) [JOR104860.E], 9. Mai 2014 (verfügbar auf ecoi.net)

http://www.ecoi.net/local_link/282987/413387_de.html

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 5. Dezember 2014)

·      Al-Araby al-Jadeed: Civil rights granted to children of Jordanians and foreigners, 9. November 2014

http://www.alaraby.co.uk/english/news/6619a5f2-5e21-49d4-8052-e3580c8bb15c

·      BADIL: Palestinian Refugees in Jordan and the Revocation of Citizenship, 2010

http://www.badil.org/en/al-majdal/item/1569-interview1

·      Bertelsmann Stiftung: BTI 2014; Jordan Country Report, 2014

http://www.bti-project.de/fileadmin/Inhalte/reports/2014/pdf/BTI 2014 Jordan.pdf

·      Emanuel, James: Discriminatory Nationality Laws in Jordan and Their Effect on Mixed Refugee Families. In: University of Notre Dame: Student Research Papers #2012-4, 2012

http://www3.nd.edu/~ndlaw/prog-human-rights/student-research-papers/NationalityLawsInJordan.pdf

·      Freedom House: Freedom in the World 2014 - Jordan, 23. Jänner 2014 (verfügbar auf ecoi.net)

http://www.ecoi.net/local_link/282579/412962_de.html

·      HRW - Human Rights Watch: Stateless Again. Palestinian-Origin Jordanians Deprived of their Nationality, 1. Februar 2010

http://www.hrw.org/sites/default/files/reports/jordan0210webwcover.pdf

·      HRW - Human Rights Watch: Jordanien: Aus Syrien fliehende Palästinenser abgewiesen, 7. August 2014

http://www.hrw.org/de/news/2014/08/07/jordanien-aus-syrien-fliehende-palaestinenser-abgewiesen

·      IRB - Immigration and Refugee Board of Canada: Jordan: Rights and obligations of Palestinians living in Jordan without Jordanian citizenship, not including Palestinian refugees fleeing Syria since 2011, including employment, mobility and access to social services (2013-May 2014) [JOR104860.E], 9. Mai 2014 (verfügbar auf ecoi.net)

http://www.ecoi.net/local_link/282987/413387_de.html

·      Jordanisches Staatsbürgerschaftsgesetz: Law No. 6 of 1954 on Nationality (last amended 1987), 1954

http://www.refworld.org/docid/3ae6b4ea13.html 

·      UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: Background Note on Gender Equality, Nationality Laws and Statelessness 2014, 8. März 2014

http://www.unhcr.org/4f5886306.html

·      USDOS - US Department of State: Country Report on Human Rights Practices 2013 - Jordan, 27. Februar 2014 (verfügbar auf ecoi.net)

http://www.ecoi.net/local_link/270743/400852_de.html