Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Fähigkeit des afghanischen Staates, in der Provinz Baglan Schutz vor Übergriffen durch die Taliban zu bieten [a-8931-1]

11. November 2014

Diese Anfragebeantwortung wurde für die Veröffentlichung auf ecoi.net abgeändert.

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

Diese Antwort stellt keine Meinung zum Inhalt eines Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar. Alle Übersetzungen stellen Arbeitsübersetzungen dar, für die keine Gewähr übernommen werden kann.

Wir empfehlen, die verwendeten Materialien im Original durchzusehen. Originaldokumente, die nicht kostenfrei oder online abrufbar sind, können bei ACCORD eingesehen oder angefordert werden.

 

[Teilfrage entfernt]

 

Die vom US-amerikanischen Regionalkommando für den Nahen Osten, Nordafrika und Zentralasien (USCENTCOM) finanzierte Website Central Asia Online berichtet im Oktober 2014, dass laut Angaben von Offiziellen und ExpertInnen die aktuellen Erfolge im Bereich Sicherheit während des islamischen Opferfestes (Eid ul Adha) und des friedlich verlaufenden Machtwechsels am 29. September 2014 gezeigt hätten, dass die afghanischen Sicherheitskräfte die Stärke und das Selbstvertrauen besitzen würden, um das Land eigenständig zu verteidigen. Einem Stammesältesten im Distrikt Doshi, Provinz Baglan, zufolge hätten die Menschen mehr Vertrauen in die afghanischen Sicherheitskräfte und seien bereit, mit diesen zu kooperieren. Im September 2014 hätten Sicherheitskräfte in Doshi den Taliban-Schattengouverneur des Distrikts Nawnihad festgenommen:

„Recent security successes during Eid ul Adha and the peaceful September 29 transfer of power have shown that Afghan National Security Forces (ANSF) have the strength and self-confidence to defend the country on their own, officials and analysts say.

‘People have more trust in Afghan security forces, and they are ready to co-operate with them,’ said Saifuddin, a tribal elder in Doshi District of Baghlan Province, where security personnel September 29 captured Mulvi Mamoor, Taliban shadow district governor of Nawnihad District, and three of his cohorts. Mamoor is said to have been in charge of planting roadside bombs and burning fuel tankers, among other illicit activities. […]

Local officials in Baghlan Province praised the ANSF, acting Baghlan Province police commander Abdul Rashid Bashir, said, adding that the achievement should boost the forces' confidence. ‘Afghan security forces are now able to conduct operations all over the country, and the Taliban's claim of getting stronger recently is baseless,’ he said.” (Central Asia Online, 13. Oktober 2014)

In einem etwas älteren Artikel vom Mai 2013 schreibt das Afghanistan Analysts Network (AAN), eine unabhängige, gemeinnützige Forschungsorganisation mit Hauptsitz in Kabul, dass sich BewohnerInnen in der Provinz Baglan darüber beschweren würden, von den afghanischen Sicherheitskräfte nicht angemessen geschützt zu werden. Insbesondere Teile der afghanischen Lokalpolizei sowie deren Rekrutierungs- und Einsatzweise in dem ethnisch sensiblen Gebiet würden ihnen missfallen. Ein Ältester aus dem Distrikt Baglan-e Jadid, der Taliban-Hochburg der Provinz, habe in einem Telefoninterview angegeben, dass der Polizeikommandant der Provinz lediglich Paschtunen rekrutiert habe, die vor einigen Jahrzehnten von Kandahar nach Baglan gekommen seien. Dagegen hätten die DorfbewohnerInnen, ebenfalls Paschtunen, allerdings welche, die bereits seit vielen Generationen in Baglan leben würden, protestiert und angegeben, den Rekrutierten nicht zu vertrauen. Ein weiterer Ältester verdächtige die afghanische Lokalpolizei in seinem Gebiet, mit den Taliban zu sympathisieren. Der Bruder des erwähnten Polizeikommandanten sei in Bagram wegen regierungsfeindlicher Aktivitäten inhaftiert.

Darüber hinaus scheine es, als seien die afghanischen Sicherheitskräfte nur spärlich in den Distrikten der Provinz Baglan verteilt. Laut einem Bewohner Baglans seien die Regierungskräfte schon im Jahr 2010 üblicherweise nur kurz in Erscheinung getreten, um zu kämpfen. Nach deren Abzug seien die Taliban wieder in das Gebiet gekommen. Dies scheine noch immer der Fall zu sein, obwohl in der Zwischenzeit die afghanische Lokalpolizei in den berüchtigtsten („most notorious“) Gegenden stationiert worden sei:

Baghlanis also complain that the Afghan security forces do not properly protect them. They especially dislike parts of the Afghan Local Police and how they are recruited and deployed in an ethnically sensitive area […]. An elder from Baghlan-e Jadid district, the Taleban stronghold in the province, told AAN in a phone interview that the provincial police commander – a Helmandi – had only recruited Pashtuns who had relocated from Kandahar to Baghlan a few decades ago. The villagers, also Pashtuns but who had lived in Baghlan for many generations, protested, saying they did not trust these men. Another elder suspected that the ALP [Afghan Local Police] in his area was sympathetic to the Taleban. The brother of the commander in question is currently detained in Bagram, accused of anti-government activities.

To make things even more difficult in terms of provincial security, the Afghan National Security Forces seem to be spread thin in Baghlan’s districts. A Baghlan resident told AAN that already in 2010 the government usually only came in for a short while to fight and then went away again – and ‘afterwards the Taleban come back to our area.’ This still seems to be the case although, meanwhile, ALP have been deployed in the most notorious areas.” (AAN, 31. Mai 2013)

Der Artikel führt weiters an, dass Interviews mit Vertretern von Aufständischen darauf hindeuten würden, dass es zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels zwischen 2.500 und 3.000 Kämpfer in Baglan gebe. Der Taliban-Militärkommission zufolge habe sich diese Zahl im Jahr 2008 noch auf rund 1.800 belaufen. Laut Angaben der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (International Security Assistance Force, ISAF) gebe es 4.500 afghanische Sicherheitskräfte (darunter Angehörige der afghanischen Lokalpolizei) in Baglan:

„Interviews with insurgency representatives conducted and cross-checked over months indicate that, today, between 2,500 and 3,000 fighters are deployed in Baghlan. Taleban Nizami (Military) Commission sources said that, in 2008, there were around 1,800 fighters only. This would mean an increase of at least 700 fighters over the past five years. According to ISAF [International Security Assistance Force], 4,500 Afghan national security forces (including ALP [Afghan Local Police]) are based in Baghlan.” (AAN, 31. Mai 2013)

In einem im Jahr 2014 veröffentlichten Bericht für das United States Institute of Peace (USIP), einer US-amerikanischen Bundeseinrichtung zur Erforschung und Verhinderung gewaltsamer Konflikte, gehen Jonathan Goodhand, Professor für Konflikt- und Entwicklungsstudien an der School of Oriental and African Studies (SOAS) der Universität London, und Aziz Hakimi, Doktorand an der SOAS, auf die afghanische Lokalpolizei in der Provinz Baglan ein. Obwohl der afghanischen Lokalpolizei eine Rolle beim Schutz von Dörfern vor Taliban-Angriffen oder der Verhinderung von Missbräuchen durch Sicherheitskräfte zukommen könnte, sei sie selbst auch an gegen ZivilistInnen gerichteten Missbräuchen beteiligt, darunter physische Gewalt, Landraub, Vergewaltigungen und Zwangsbesteuerung. So sei etwa die vornehmlich paschtunisch geprägte afghanische Lokalpolizei in Baglan in Menschenrechtsverletzungen gegen die paschtunischen Gemeinschaften, die sie vorgeblich schütze, verwickelt.

In Baglan, und insbesondere in den Distrikten Andarab und Nahrin, gebe es darüber hinaus viele andere illegale bewaffnete Gruppen. Im Vergleich dazu verfüge die afghanische Lokalpolizei über weniger als 1.000 leicht bewaffnete Mitglieder, die über drei Distrikte verstreut seien:

„Although the ALP might have a role to play in protecting local villages against Taliban attacks or preventing abuses by Jamiat-dominated government security forces, they have also engaged in abuses against civilians, including beatings, murder, land grabbing, rape, and forced taxation. The predominantly Pashtun ALP in Baghlan, for example, has a record of harming and abusing the Pashtun communities it is purportedly protecting.

Many other illegal armed groups are in the province, particularly in Andarab and Nahrin districts. The ALP by comparison has less than one thousand men, a lightly armed force scattered over three districts.” (USIP, 2014, S. 31-32)

Die Asia Foundation, die sich selbst als internationale Entwicklungsorganisation mit Hauptsitz in den USA und Büros in 18 asiatischen Ländern beschreibt, präsentiert in einem im Jahr 2013 veröffentlichten Bericht die Ergebnisse einer unter über 9.000 Personen in allen 34 afghanischen Provinzen durchgeführten Meinungsumfrage zu diversen politischen, wirtschaftlichen und sicherheitsrelevanten Themen. Unter anderem erwähnt der Bericht, dass trotz eines hohen Levels an Vertrauen in die afghanische Nationalpolizei 76 Prozent der Befragten angegeben hätten, dass die Nationalpolizei immer noch die Unterstützung ausländischer Truppen benötige, um ihren Aufgaben nachzukommen. In den Provinzen Panjschir und Baglan allerdings habe der entsprechende Wert nur bei 30 bzw. 45 Prozent gelegen:

„Lastly, despite the high level of confidence in the ANP [Afghan National Police] nationally, 76% of all respondents say that the ANP still needed foreign support to do its job. This is a significant increase from 2012, when 67% of respondents said that the ANP needed continued foreign support. Although most respondents in all provinces say that the ANP needs help from foreigners, in Panjshir and in Baghlan only 30% and 45% of respondents respectively say that ANP needs help from foreigners.” (Asia Foundation, 2013, S. 41)

Das auf Afghanistan spezialisierte Beratungsunternehmen Assess, Transform & Reach Consulting (ATR) stellt in einem im Februar 2014 veröffentlichten Bericht die Ergebnisse einer unter mehr als 4.000 Personen in 18 Distrikten und neun Städten Afghanistans durchgeführten Meinungsumfrage zu sicherheitsrelevanten Themen vor. Zu den Distrikten gehörten unter anderem die in der Provinz Baglan gelegenen Distrikte Nahrin und Doshi. Wie der Bericht anführt, sei das Vertrauen in die afghanische Nationalarmee und die afghanische Nationalpolizei in der Provinz Balch am höchsten und in Baglan am niedrigsten gewesen. In Baglan hätten lediglich 35,5 bzw. 34 Prozent der männlichen Befragten angegeben, der Nationalarmee bzw. der Nationalpolizei vollständig zu vertrauen. Die entsprechenden Werte für Balch seien bei 82,9 bzw. 79,3 Prozent gelegen. (ATR, Februar 2014, S. 19-20)

 

In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche keine weiteren Informationen zu oben genannter Fragestellung gefunden werden. Im Folgenden finden sich allgemeinere Informationen zur Schutzfähigkeit der afghanischen Sicherheitskräfte:

 

In seinen im August 2013 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Afghanistan schreibt UNHCR unter Bezugnahme auf verschiedene Quellen (Regierungsquellen, NGOs, internationale Organisationen, akademische Quellen) Folgendes zur Fähigkeit des afghanischen Staates, ZivilistInnen vor Menschenrechtsverletzungen zu schützen:

„Sogar dort, wo der rechtliche Rahmen den Schutz der Menschenrechte vorsieht, bleibt die Umsetzung der Verpflichtungen Afghanistans nach nationalem und internationalem Recht diese Rechte zu fördern und schützen, in der Praxis oftmals eine Herausforderung. Die Regierungsgewalt Afghanistans wird als besonders schwach wahrgenommen. Beobachter berichten von einem hohen Maß an Korruption, von ineffektiver Regierungsgewalt und einem Klima der Straflosigkeit als Faktoren, die die Rechtsstaatlichkeit schwächen und die Fähigkeit des Staats untergraben, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu bieten. Berichten zufolge werden Personen selten für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen, und für die Fortschritte der Übergangsjustiz besteht wenig oder keine politische Unterstützung trotz entsprechender, in der Vergangenheit eingegangener Verpflichtungen seitens der Regierung. Wie oben angemerkt, begehen einige staatliche Akteure, die mit dem Schutz der Menschenrechte beauftragt sind, einschließlich der afghanischen nationalen Polizei und der afghanischen lokalen Polizei, Berichten zufolge in einigen Teilen des Landes selbst Menschenrechtsverletzungen, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Zudem ist die Polizei in den meisten Gebieten nicht mit einem funktionierenden Justizsystem verbunden, und in vielen Gebieten existiert keine effektive Regierungsgewalt, die die Polizei unterstützt. Im Juni 2013 warnte der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, dass ‚einige Ernennungen in die Unabhängige Afghanische Menschenrechtskommission (AIHRC) aus der jüngeren Zeit die Unabhängigkeit und Effektivität der Kommission beeinträchtigen‘.

Berichten zufolge betrifft Korruption viele Teile des Staatsapparats auf nationaler, Provinz- und lokaler Ebene. Es wird berichtet, dass im Jahr 2012 die Hälfte aller afghanischen Bürger, die Kontakt zu Amtsträgern hatte, Schmiergelder zahlen musste, um öffentliche Dienstleistungen zu erhalten. Innerhalb der Polizei sind Berichten zufolge Korruption, Machtmissbrauch und Erpressung endemisch. Das Justizsystem ist nach Berichten auf ähnliche Weise von systematischer Korruption betroffen.

Der fortwährende Konflikt wirkt sich weiterhin negativ auf die Fähigkeit der Regierung aus, die Menschenrechte zu schützen, einschließlich in Gebieten, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle von regierungsfeindlichen Kräften befinden. Die Fähigkeit der Regierung, die Menschenrechte zu schützen, wird in vielen Distrikten durch Unsicherheit und zahlreiche Angriffe der regierungsfeindlichen Kräfte untergraben. Ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen formalen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden. Gemeinden unter der tatsächlichen Kontrolle von regierungsfeindlichen Kräften haben oftmals sehr beschränkten Zugang zu staatlichen Justizmechanismen oder -diensten. Von der Regierung ernannte Richter und Staatsanwälte sind Berichten zufolge oftmals aufgrund der Unsicherheit nicht in der Lage, in diesen Gemeinden zu bleiben. Wie oben beschrieben, nutzen regierungsfeindliche Kräfte die mangelnde Rechtsstaatlichkeit aus, um illegale eigene parallele Justizstrukturen zu etablieren. Bestrafungen wie Hinrichtungen und Amputationen, die im Rahmen solche Strukturen verhängt werden, stellen nach afghanischem Recht kriminelle Handlungen dar. Opfer von Menschenrechtsverletzungen, die nach diesen parallelen Justizstrukturen begangen wurden, haben Berichten zufolge keinen Zugang zu staatlichen Rechtsschutzmechanismen. UNAMA [UN Assistance Mission in Afghanistan] stellt fest, dass die Unfähigkeit der Regierung, diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die an solchen im Rahmenwerk paralleler Justizstrukturen begangenen Straftaten schuldig sind, möglicherweise selbst auf eine Verletzung von Menschenrechten nach den Prinzipien der Sorgfaltspflicht hinausläuft.“ (UNHCR, 6. August 2013, S. 25-28)

Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Länderbericht zur Menschenrechtslage vom Februar 2014 (Berichtsjahr 2013), dass die afghanische Nationalpolizei und die afghanische Lokalpolizei die Hauptverantwortung für die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung hätten, aber auch am Kampf gegen den Aufstand in Afghanistan beteiligt seien. Die Nationale Sicherheitsdirektion sei für die Untersuchung von Straftaten im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit verantwortlich und fungiere darüber hinaus als Geheimdienst.

Laut USDOS habe es 2013 Berichte über Straflosigkeit für Beamte („official impunity“) und mangelnde Rechenschaftspflicht gegeben. BeobachterInnen hätten angegeben, dass sich die Angehörigen der afghanischen Nationalpolizei und der afghanischen Lokalpolizei ihrer Verantwortlichkeiten und der Rechte von Beschuldigten größtenteils nicht bewusst gewesen seien. Es habe nur eine beschränkte unabhängige justizielle oder externe Kontrolle der Nationalen Sicherheitsdirektion und der afghanischen Nationalpolizei und nur beschränkte Untersuchungen und strafrechtliche Verfolgungen von Verbrechen oder Fehlverhalten durch Angehörige beider Institutionen gegeben.

Wie das USDOS weiters berichtet, habe die internationale Gemeinschaft mit der afghanischen Regierung zusammengearbeitet, um Sensibilisierungs- und Ausbildungsprogramme für PolizistInnen zu entwickeln und anzubieten. Zusätzlich zu den wichtigsten polizeilichen Fertigkeiten und internen Untersuchungsmechanismen zur Bekämpfung von Korruption und Missbrauch innerhalb der Polizei, hätten diese Programme den Schwerpunkt auf folgende Bereiche gelegt: Strafverfolgung, die Verfassung, Werte und ethische Grundsätze, berufliche Weiterentwicklung, die Verhinderung häuslicher Gewalt und grundlegende Menschenrechtsstandards. Nichtsdestotrotz habe es weiterhin Menschenrechtsverletzungen gegeben. BeobachterInnen hätten sowohl die unzureichende Vorbereitung als auch die fehlende Sensibilität lokaler Sicherheitskräfte kritisiert.

Das Gesetz sehe eine unabhängige Justiz vor. In der Praxis sei die Justiz allerdings weiterhin unterfinanziert, unterbesetzt, ineffektiv und das Justizpersonal unzureichend ausgebildet gewesen. Bestechung, Korruption und Druck seitens Beamten, Stammesführern, den Familien von Angeklagten sowie Personen, die mit der Aufstandsbewegung in Verbindung stünden, hätten weiterhin die Unparteilichkeit der Justiz beeinträchtigt.

Das formale Justizsystem sei in städtischen Zentren, wo die Kontrolle der Regierung am stärksten sei, vergleichsweise stark ausgeprägt gewesen. Schwächer ausgeprägt sei es in ländlichen Gebieten gewesen, in denen rund 80 Prozent der afghanischen Bevölkerung leben würden. Landesweit hätten Gerichte, die Polizei und Gefängnisse weiterhin nicht mit voller Kapazität gearbeitet:

„The ANP and the ALP, under the Ministry of Interior, have primary responsibility for internal order but also were engaged in fighting the insurgency internally. The ANA, under the Ministry of Defense, is responsible for external security but was fighting the insurgency internally as well. The NDS [National Directorate of Security] has responsibility for investigating criminal cases concerning national security and also functions as an intelligence agency.

There were reports of official impunity and lack of accountability throughout the year. Observers stated that ALP and ANP personnel were largely unaware of their responsibilities and defendants’ rights under the law. According to UNAMA, accountability of NDS and ANP officials for torture and abuse was weak, not transparent, and rarely enforced. There was limited independent judicial, or external oversight of the NDS and ANP as institutions or investigation and prosecution of crimes or misconduct committed by NDS and ANP officials, including torture and abuse.

International support for recruiting and training new ANP personnel continued, with the goal of professionalizing the police force. The international community worked with the government to develop and offer human rights awareness and police training programs. In addition to core policing skills and internal investigation mechanisms to curb security force corruption and abuses, these programs emphasized law enforcement, the constitution, values and ethics, professional development, the prevention of domestic violence, and fundamental standards of human rights. Nevertheless, human rights problems persisted, and observers criticized the inadequate preparation and lack of sensitivity of local security forces.“ (USDOS, 27. Februar 2014, Section 1d)

“The law provides for an independent judiciary, but the judiciary continued to be underfunded, understaffed, inadequately trained, ineffective, and subject to threats, bias, political influence, and pervasive corruption. […] Bribery, corruption, and pressure from public officials, tribal leaders, families of accused persons, and individuals associated with the insurgency continued to impair judicial impartiality. […]

The formal justice system was relatively strong in urban centers, where the central government was strongest, and weaker in rural areas, where approximately 80 percent of the population lived. Courts, police forces, and prisons continued to operate at less than full capacity nationwide.” (USDOS, 27. Februar 2014, Section 1e)

Die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) führt in ihrem Jahresbericht vom Jänner 2014 (Berichtszeitraum 2013) an, dass sich zwei afghanischen Medienorganisationen zufolge im ersten Halbjahr 2013 rund 40 Angriffe (darunter Drohungen, bewaffnete Übergriffe und Entführungen) auf JournalistInnen ereignet hätten. Besonders besorgniserregend sei die steigende Anzahl der Fälle, in denen Regierungsbeamte, darunter auch Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte, an den Angriffen beteiligt gewesen seien. Es habe außerdem Fälle gegeben, in denen angegriffene JournalistInnen, die Hilfe von den Sicherheitskräften gesucht hätten, keine Unterstützung erhalten hätten oder von den Sicherheitskräften misshandelt worden seien:

„Two credible Afghan media organizations, Nai and the Afghanistan Journalists’ Safety Committee, compiled statistics demonstrating a rise in the risks faced by journalists during 2013 as compared to 2012. Both groups documented around 40 attacks on journalists in the first six months of 2013, compared to around 20 attacks in the same period in 2012. The attacks included threats, armed assaults, and kidnappings. Of particular concern was the growing number of cases where the attacks implicated government officials, including members of the Afghan security forces. There were also cases in which journalists who were attacked sought help from the security forces but were denied assistance or subjected to abuse by the security forces.” (HRW, 21. Jänner 2014)

Die in Washington, D.C. ansässige NGO Freedom House schreibt in ihrem Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten vom Jänner 2014 (Berichtszeitraum 2013), dass das afghanische Militär und die afghanische Polizei weiterhin durch Analphabetismus, Korruption, Beteiligung am Drogenhandel und hohen Desertionsraten geprägt gewesen seien.

Das Justizsystem arbeite willkürlich und die Justiz werde an vielen Orten auf der Grundlage einer Mischung von Rechtsordnungen von unzureichend ausgebildeten Richtern verwaltet. Korruption sei im Justizwesen weit verbreitet und Richter und Anwälte würden oftmals von lokalen Führern oder bewaffneten Gruppen bedroht. Die traditionelle Justiz oder Selbstjustiz seien insbesondere für die Bevölkerung in ländlichen Gebieten am wichtigsten:

In June, NATO-led coalition forces transferred full responsibility for the country’s security to the Afghan military and police, which continued to be plagued by illiteracy, corruption, involvement in drug trafficking, and high rates of desertion. […]

The judicial system operates haphazardly, and justice in many places is administered on the basis of a mixture of legal codes by inadequately trained judges. […] Corruption in the judiciary is extensive, and judges and lawyers are often subject to threats from local leaders or armed groups. Traditional or mob justice is the main recourse for the population, especially in rural areas.” (Freedom House, 23. Jänner 2014)

Das Center for Strategic and International Studies (CSIS), ein in Washington, D.C. ansässiger und nach eigenen Angaben überparteilicher Think Tank mit außenpolitischer Ausrichtung, erwähnt in einem Bericht vom April 2014, dass die Kompetenz, die Integrität, das Engagement und die Loyalität der afghanischen Sicherheitskräfte, und insbesondere der Polizei (sowohl der afghanischen Nationalpolizei als auch der afghanischen Lokalpolizei), ungewiss seien. Angehörige der Sicherheitskräfte seien weiterhin schlecht ausgebildet und ausgerüstet und würden schlecht geführt. Manchmal fehle es ihnen an Schuhen und warmen Mänteln:

„The competence and integrity of the ANSF, let alone its commitment and loyalty, is uncertain, especially the police, both the Afghan National Police (ANP) and the Afghan Local Police (ALP). ANSF members remain poorly trained, poorly led, and poorly resourced. Sometimes they are without shoes and warm coats. The ANSF do not have powerful weapons or accompanying ordinance or, of course, any serious intelligence or air power.” (CSIS, April 2014, S. 9)

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), der unabhängige Dachverband der Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen in der Schweiz, führt in einem Bericht vom Juli 2014 unter Bezugnahme auf Angaben von Thomas Ruttig vom AAN und eines weiteren Afghanistan-Experten Folgendes zur Schutzfähigkeit der afghanischen Polizei an:

„Die afghanische Bevölkerung begegnet der Polizei in weiten Teilen des Landes mit grossem Misstrauen. Die Polizei ist politisch heterogen, das heisst, sie ist von Netzwerken der Bürgerkriegsmilizen ebenso wie von kriminellen Netzwerken durchsetzt und deshalb zum Teil nicht unter der Kontrolle der Regierung. Polizisten handeln häufig im Auftrag von verschiedenen ‚Strongmen‘. Ein Afghanistan-Experte verneint eindeutig die Schutzkompetenz der afghanischen Polizei. Die afghanische Polizei geniesse vielmehr einen generell sehr schlechten Ruf, und niemand würde sich freiwillig dem Schutz der Polizei in Afghanistan anvertrauen.“ (SFH, 22. Juli 2014, S. 12)

 

image001.png 

 

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 11. November 2014)

·      AAN - Afghanistan Analysts Network: Baghlan on the Brink: ANSF weaknesses and Taleban resilience, 31. Mai 2013

http://www.afghanistan-analysts.org/baghlan-on-the-brink-ansf-weaknesses-and-taleban-resilience

·      Asia Foundation: Afghanistan in 2013: A Survey of the Afghan People, 2013

http://asiafoundation.org/resources/pdfs/2013AfghanSurvey.pdf

·      ATR - Assess, Transform & Reach Consulting: Final Report; Afghan Citizen Perception Survey, Februar 2014

http://atr-consulting.com/wp-content/uploads/2014/02/Perception-Survey-Report-Final1.pdf

·      Central Asia Online: Afghan forces keep peace during Eid, presidential changeover, 13. Oktober 2014

http://centralasiaonline.com/en_GB/pakistan-articles/caii/features/pakistan/main/2014/10/13/feature-02

·      CSIS - Center for Strategic and International Studies: Afghanistan after the Drawdown, April 2014

http://csis.org/files/publication/140407_Hyman_AfghanAfterDrawdown_WEB.pdf

·      Freedom House: Freedom in the World 2014 - Afghanistan, 23. Jänner 2014 (verfügbar auf ecoi.net)

http://www.ecoi.net/local_link/276413/405643_de.html

·      HRW - Human Rights Watch: World Report 2014 - Afghanistan, 21. Jänner 2014 (verfügbar auf ecoi.net)

http://www.ecoi.net/local_link/267709/395071_de.html

·      SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe: Sicherheit in Kabul, 22. Juli 2014 (verfügbar auf ecoi.net)

http://www.ecoi.net/file_upload/1002_1406997274_document.pdf

·      UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan [HCR/EG/AFG/13/01], 6. August 2013 (verfügbar auf ecoi.net)

http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1386162591_afghanistan-richtlinien2013dt.pdf

·      USDOS - US Department of State: Country Report on Human Rights Practices 2013 - Afghanistan, 27. Februar 2014 (verfügbar auf ecoi.net)

http://www.ecoi.net/local_link/270628/399487_de.html

·      USIP - United States Institute of Peace: Counterinsurgency, Local Militias, and Statebuilding in Afghanistan (Autoren: Jonathan Goodhand und Aziz Hakimi), 2014

http://www.usip.org/sites/default/files/PW90-Counterinsurgency-Local-Militias-and-Statebuilding-in-Afghanistan.pdf