Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Situation von Ismailiten [a-8500-1]

28. August 2013
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Allgemeine Informationen zu Ismailiten in Afghanistan
Ludwig W. Adamec, Afghanistan-Experte und emeritierter Professor der University of Arizona, schreibt in seinem im Jahr 2012 erschienenen historischen Wörterbuch zu Afghanistan (vierte Auflage), dass es sich bei den Ismailiten um eine schiitische Religionsgemeinschaft handle, die nach dem Tod des schiitischen Imam Ismail im Jahr 765 entstanden sei. Die Ismailiten würden Ismail als letzten und siebenten Imam betrachten und dessen Rückkehr am Tag des Jüngsten Gerichts erwarten. Der aktuelle religiöse Führer der Ismailiten sei Karim Agha Khan IV., der für rund 300.000 in Afrika, Syrien, Iran, Tadschikistan, Indien, Pakistan sowie im Nordosten Afghanistans lebende Personen verantwortlich sei. Der Führer der ismailitischen Gemeinschaft in Afghanistan sei Nadir Shah Kayani, bekannt als Sayyid-I Kayan, gewesen. Bei den Ismailiten handle es sich um eine kleine Religionsgemeinschaft, die eine Zusammenarbeit mit den in ihrem Gebiet agierenden Mudschahidin abgelehnt hätte. Nach der Einnahme Kabuls durch die Taliban hätten sich die Ismailiten allerdings mit (Anti-Taliban-Milizenführer, Anm. ACCORD) Dostum verbündet:
„Isma’ilis (Isma’iliyya). A Shi’i Islamic sect begun when the Shi’i Imam Isma’il (son of Ja’far al-Sadeq) died in 765 A.D. and was thought by his followers to be the final, Seventh Imam, who was to return on the Day of Judgment. The present leader of the Isma’ili community is Karim, Agha Khan IV, who administers to some 300,000 people residing in Africa, Syria, Iran, Tajikistan, India, and Pakistan, as well as northeastern Afghanistan. […] The head of the Isma’ili community in Afghanistan was Nadir Shah Kayani, known as Sayyid-I Kayan. As a small sectarian community, the Isma’ilis refused to cooperate with the mujahedin groups operating in their territory, but they allied themselves with Dostum against the Taliban after the latter captured Kabul.” (Adamec, 2012, S. 217)
Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Länderbericht zur Religionsfreiheit vom Mai 2013 (Berichtszeitraum 2012), dass die Ismailiten sich selbst als eine schiitische Glaubensgemeinschaft bezeichnen und rund fünf Prozent der afghanischen Gesamtbevölkerung ausmachen würden:
„The Ismailis, who self identify as a Shia denomination, comprise approximately 5 percent of the total population.” (USDOS, 20. Mai 2013, Section 1)
In einem Beitrag für ein Jahr 2007 erschienenes Buch über Afghanistan schreiben Nancy Hatch Dupree, Gründerin und Leiterin des Afghanistan Centre der Universität Kabul, und Thomas E. Gouttierre vom Center for Afghanistan Studies an der University of Nebraska, dass es in Afghanistan weniger Isamiliten als Imamiten (Anhänger der Zwölfer-Schia, Anm. ACCORD) gebe. Die Imamiten würden die Ismailiten als häretisch ansehen. Wie die Autoren anführen, würden die Ismailiten hauptsächlich im oder in der Nähe des östlichen Hazarajat, im Gebiet Baglan nördlich des Hindukuchs, unter der tadschikischen Bergbevölkerung in Badachschan sowie unter den Wakhi im Wakhan-Korridor leben:
„Ismaili communities in Afghanistan are less populous than the Imami who consider the Ismailis heretical. They are found primarily in and near the eastern Hazarajat, in the Baghlan area north of the Hindu Kush, among the mountain Tajik of Badakhshan, and amongst the Wakhi in the Wakhan Corridor.” (Dupree/Gouttierre, 2007, S. 107)
In einer Übersicht zu ethnischen Gruppen in Afghanistan aus dem Jahr 2001 beschreibt BBC die schiitischen Ismailiten als eine regionalbezogene religiöse Minderheit. Ethnisch würden sich die Ismailiten vor allem aus Hazara, Tadschiken und Paschtunen zusammensetzen:
„The Shia Ismailis of Afghanistan are a religious rather than ethnic minority, but they do make up a distinct regionally based community. Ismailis come mainly from Hazara, Tajik and Pashtun backgrounds.” (BBC, 2001)
Die Heritage Society, eine in Kanada ansässige gemeinnützige Organisation, die nach eigenen Angaben um die Bewahrung und Dokumentation ismailitischer Geschichte bemüht ist, betreibt die Website Ismaili.net. Dort findet sich ein undatierter Artikel von Mumtaz Ali Tajjdin, zu dem keine weiteren Informationen gefunden werden konnten. Dem Artikel zufolge würden fast 90 Prozent der Ismailiten in Afghanistan den Hazara und zwei Prozent den Tadschiken angehören. Eine Ausnahme bilde die Provinz Badachschan, in der alle Ismailiten den Tadschiken zugerechnet werden könnten. In Badachschan gebe es Schätzungen zufolge mehr als 200.000 Ismailiten:
„The Ismailis in Afghanistan except Badakhshan almost 90 percent belong to the ethnic of Hazara community and 2 percent to the Tajik ethnic. The Ismailis in Badakhshan entirely belong to Tajik ethnic. Hazarajat is however mainly Ismailis. […] It has been estimated without official record that there are over 200,000 Ismailis in Badakhshan, Afghanistan.” (Ismaili.net, ohne Datum)
Situation von Ismailiten in Afghanistan
Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) führt in seinem bereits oben zitierten Länderbericht zur Religionsfreiheit vom Mai 2013 (Berichtszeitraum 2012) an, dass sich einige Ismailiten beschwert hätten, ihnen blieben einflussreiche politische Positionen vorenthalten, obwohl vier Ismailiten Parlamentsmitglieder seien.
Im Berichtszeitraum seien Ismailiten in einigen Fällen schikaniert worden. Allerdings seien im Jänner 2012 prominente Ismailiten für die Präsentation des weltweit größten Korans gelobt worden. An den Feierlichkeiten zur Präsentation hätten auch mehrere prominente muslimische Führer, die nicht der ismailitischen Gemeinschaft angehören würden, teilgenommen. Ismailitische Führer hätten berichtet, dass ihre Gemeinschaft besser in die Gesellschaft integriert sei als in den vorangegangenen Jahren:
„Although four Ismailis serve as members of parliament, some members of the Ismaili community complained of being marginalized from positions of political authority.” (USDOS, 20. Mai 2013, Section 2)
„Although there was some harassment of Ismailis during the year, in January prominent Ismailis were lauded for inaugurating the world’s largest Quran. Several prominent non-Ismaili Muslim leaders participated in the inauguration ceremony. Ismaili leaders reported that their community was better integrated into mainstream society than in previous years.” (USDOS, 20. Mai 2013, Section 3)
In seinem Länderbericht zur Menschenrechtslage vom April 2013 (Berichtszeitraum 2012) erwähnt das USDOS, dass es nur wenige Berichte über gezielte Diskriminierungen von Ismailiten gegeben habe:
„There were few reports of targeted discrimination against Ismailis (a minority Shia Muslim group).“ (USDOS, 19. April 2013, Section 6)
Die US Commission on International Religious Freedom (USCIRF) schreibt in ihrem Jahresbericht vom März 2012 (Berichtszeitraum April 2011 bis Februar 2012), dass schiitische Hazara vollständig am öffentlichen Leben teilgenommen hätten. Unter anderem hätten sie Parlamentsmitglieder gestellt und hochrangige Posten in der Regierung von Hamid Karzai besetzt. 59 der 249 Parlamentssitze würden von schiitischen Hazara eingenommen. Außerdem seien auch vier Ismailiten (ein Zweig des schiitischen Islam), gewählt worden:
„Hazara Shi‘a Muslims participate fully in public life, including in parliament and in senior positions in the Karzai government. Fifty-nine of 249 parliamentary seats are held by Hazara Shi‘a Muslims. In addition, four Ismaili Muslims, followers of a branch of Shi‘a Islam, were also elected.” (USCIRF, März 2012, S. 287)
Die deutsche Tageszeitung Süddeutsche Zeitung (SZ) berichtet in einem Artikel vom August 2012 über einen im selben Jahr erschienenen Bildband der niederländischen Fotografen Robert Knoth und Antoinette de Jong, der die Wege des afghanischen Heroins dokumentiert, und zeigt einige der im Bildband enthaltenen Fotografien. Unter einer der Fotografien findet sich folgende Bildbeschreibung:
„Die Ismailiten gehören zu den Ärmsten der Ärmsten in Afghanistan und ganze Dörfer der Glaubensgemeinschaft sind von Opium abhängig. Das Rauschgift ermöglicht ihnen die Flucht vor Hunger und Krankheit.“ (SZ, 12. August 2012)
Weitere Informationen zur Situation von Ismailiten in Afghanistan finden sich in folgender ACCORD-Anfragebeantwortung vom August 2012:
  • ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Situation von Angehörigen der Glaubensrichtung der schiitischen Ismailiten (Ismaili Shia, Shia Ismaili) in Baghlan und in Afghanistan allgemein; Informationen zu ihren Glaubensführern [a-8083], 13. August 2012 (verfügbar auf ecoi.net)
    http://www.ecoi.net/local_link/224803/346481_de.html
 
In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche keine weiteren aktuellen Informationen zur Lage von Ismailiten in Afghanistan gefunden werden.
 
Informationen zur Situation von Schiiten in Afghanistan finden sich unter anderem in folgenden Dokumenten:
 
 

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 28. August 2013)