Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Kambodscha 2022

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

AMTLICHE BEZEICHNUNG

Königreich Kambodscha

STAATSOBERHAUPT

Norodom Sihamoni

STAATS- UND REGIERUNGSCHEF*IN

Hun Sen

Stand:
 1/2023

Massive illegale Abholzungen und unkontrollierte städtische Entwicklungen verletzten die Menschenrechte indigener Gemeinschaften und der armen Stadtbevölkerung. Die Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit waren weiterhin stark eingeschränkt, und gegen Mitglieder und Unterstützer*innen der politischen Opposition wurden nach wie vor unfaire Prozesse geführt. Die Behörden nahmen streikende Arbeitnehmer*innen fest, inhaftierten sie und griffen sie tätlich an. Der Menschenhandel war trotz einiger Maßnahmen zu seiner Bekämpfung immer noch weit verbreitet. Das Recht auf angemessenen Wohnraum war nicht geschützt. Im Zusammenhang mit der Vergabe von Mikrofinanzkrediten kam es zu Menschenrechtsverstößen.

Hintergrund

Die Regierung setzte die im Jahr 2017 begonnene Unterdrückung unabhängiger Medien, zivilgesellschaftlicher Organisationen und der politischen Opposition auch 2022 fort. Unabhängige Beobachter*innen wiesen auf Unregelmäßigkeiten bei den im Juni 2022 durchgeführten Kommunalwahlen hin, bei denen die regierende Kambodschanische Volkspartei (CPP) 80 Prozent der Sitze gewann. Das Wahlergebnis wurde von der oppositionellen Candlelight Party angefochten, die sich aus einigen ehemaligen Mitgliedern der seit 2017 verbotenen Oppositionspartei CNRP ("Nationale Rettungspartei Kambodschas") zusammensetzt. Kambodschas nationale Klimabeiträge (Nationally Determined Contributions – NDC) sind seit 2020 unverändert geblieben und sehen eine Reduzierung der historischen Emissionen um 50 Prozent bis 2030 vor.

Umweltzerstörung

Die weitflächige illegale Abholzung geschützter Wälder setzte sich 2022 fort und hatte weiterhin schwerwiegende Folgen für die indigenen Gemeinschaften, deren Lebensunterhalt und Kultur von diesen Wäldern abhängen. Indigene Aktivist*innen berichteten im Laufe des Jahres über Morddrohungen und über einen Anstieg des Schusswaffenbesitzes bei Personen, die an illegaler Abholzung beteiligt waren. Im August 2022 stoppte die Regierung nach öffentlichen Protesten den Holzeinschlag im Waldgebiet von Phnom Tamao, allerdings erst, nachdem bereits Hunderte Hektar gerodet worden waren.

Auch die Zerstörung von Seen und Feuchtgebieten zum Zweck der privaten Erschließung ging weiter, insbesondere in der Umgebung der Hauptstadt Phnom Penh. Die Folgen waren eine erhöhte Überschwemmungsgefahr sowie der Verlust von Wohnraum und Lebensgrundlagen in den umliegenden Gemeinden, in denen viele Menschen ein unsicheres Einkommen hatten oder in Armut lebten.

Die Regierung verkaufte und verschenkte weiterhin Bereiche des Boeung Tamok, eines der letzten verbliebenen Seen in Phnom Penh, an private Unternehmen und Einzelpersonen zum Zweck der Trockenlegung und Bebauung. Im Juli 2022 bestätigte der Oberste Gerichtshof Kambodschas die Verurteilung von drei Umweltschützer*innen der Kampagnengruppe Mother Nature Cambodia wegen "Anstiftung zu einer Straftat", setzte aber Teile ihrer Haftstrafen aus. Die drei Umweltschützer*innen, die im Jahr 2020 inhaftiert worden waren, weil sie gegen die Privatisierung des Sees protestiert hatten, kamen unter restriktiven Bewährungsauflagen frei. Im September 2022 rissen die Behörden von lokalen Fischerleuten genutzte Baracken ab, um Platz für das Boeung-Tamok-Projekt zu schaffen.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Am 3. Februar 2022 wurde Veourn Veasna, ein Unterstützer der verbotenen CNRP, wegen "Anstiftung zu einer Straftat" schuldig gesprochen und zu zwei Jahren Haft verurteilt, weil er auf Facebook ein Gedicht veröffentlicht hatte, in dem Premierminister Hun Sen kritisiert wurde.

Am 16. August 2022 nahmen Angehörige der Leibwache des Premierministers fünf Journalist*innen sowie vier Aktivist*innen der für soziale Gerechtigkeit eintretenden zivilgesellschaftlichen Gruppe Khmer Thavrak fest, die die Zerstörung durch den illegalen Holzeinschlag im Wald von Phnom Tamao dokumentieren wollten. Berichten zufolge erhielt ein*e Journalist*in beim Aufzeichnen der Festnahme Schläge ins Gesicht. Alle neun Personen wurden ohne Anklage freigelassen. Sie mussten jedoch ein Dokument unterschreiben, in dem sie zugaben, dass sie ohne Genehmigung eine Drohne fliegen ließen.

Recht auf Vereinigungsfreiheit

Die gerichtlichen Schikanen gegen Mitglieder und Unterstützer*innen von Oppositionsparteien setzten sich auch im Jahr 2022 fort. Der gegen den CNRP-Vorsitzenden Kem Sokha unter dem Vorwurf des Hochverrats im Jahr 2020 begonnene Prozess war Ende 2022 noch im Gange – das Urteil sollte am 3. März 2023 verkündet werden. Daneben fanden im Laufe des Jahres Massenprozesse gegen weitere 115 CNRP-Mitglieder und Anhänger*innen statt, bei denen 67 Personen schuldig gesprochen und zu Haftstrafen zwischen fünf und 18 Jahren verurteilt wurden. Menschenrechtsexpert*innen der Vereinten Nationen bezeichneten die Prozesse als "äußerst fehlerbehaftet" und forderten eine Überprüfung aller Verurteilungen.

Fünf Mitglieder der oppositionellen Candlelight Party wurden im Laufe des Jahres willkürlich festgenommen oder inhaftiert. Am 7. September 2022 wurde der Vizepräsident der Partei, Son Chhay, wegen Verleumdung zu einer Geldstrafe von 17 Mio. Kambodschanischen Riel (etwa 4.100 Euro) und zur Zahlung einer Entschädigung von 3 Mrd. Riel (etwa 723.350 Euro) an die CPP verurteilt, nachdem er die Fairness der Wahlen vom Juni infrage gestellt hatte.

Arbeitnehmer*innenrechte

Streikende Arbeitnehmer*innen und Gewerkschaftsmitglieder, die höhere Löhne und die Wiedereinstellung von Beschäftigten forderten, die Ende 2021 bei Massenentlassungen ihre Arbeitsplätze im NagaWorld Casino in Phnom Penh verloren hatten, wurden von der Polizei festgenommen und tätlich angegriffen.

Im Januar 2022 nahmen die Behörden 28 Mitglieder der Gewerkschaft Labor Rights Supported Union of Khmer Employees of NagaWorld (LRSU) fest. Die Präsidentin der LRSU, Chhim Sithar, und neun weitere Mitglieder wurden wegen "Anstiftung zu einer Straftat" angeklagt. Alle zehn Angeklagten wurden später gegen Kaution freigelassen, doch das gegen sie eingeleitete Verfahren war Ende des Jahres noch nicht abgeschlossen. Die übrigen 18 Gewerkschafter*innen wurden ohne Anklage auf freien Fuß gesetzt, nachdem sie sich schriftlich verpflichtet hatten, sich von weiteren Streikaktionen fernzuhalten. Chhim Sithar wurde am 26. November 2022 erneut festgenommen, weil sie gegen Kautionsauflagen verstoßen hatte, die weder ihr noch ihren Rechtsbeiständen bekannt waren.

Nachdem die Regierung angeordnet hatte, dass sich alle am NagaWorld-Streik Beteiligten auf Corona testen lassen müssen, wurden am 5. Februar 2022 sechs LRSU-Mitglieder beim Verlassen eines Coronatestzentrums festgenommen. Drei von ihnen wurden später auf Grundlage der Coronaregeln aus dem Jahr 2021 wegen "Behinderung von Coronamaßnahmen" angeklagt, was eine Gefängnisstrafe von bis zu 20 Jahren nach sich ziehen kann. Sie wurden gegen Kaution freigelassen, standen jedoch zum Jahresende weiterhin unter Anklage.

Am 11. August 2022 ging die Polizei mit Schlägen und Tritten gegen Personen vor, die vor dem NagaWorld Casino demonstrierten. Dabei wurden mindestens 17 Frauen verletzt, von denen eine ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Am 12. September 2022 schlug die Polizei mit Walkie-Talkies auf streikende Arbeitnehmer*innen und Gewerkschaftsmitglieder ein, als diese versuchten, beim Arbeitsministerium eine Petition einzureichen, in der sie forderten, den Streit beizulegen und die Anschuldigung zurückzunehmen, dass die Unterstützung des Streiks durch Yang Sophorn – die Präsidentin des Kambodschanischen Gewerkschaftsbundes (Cambodian Alliance of Trade Unions) – illegal sei.

Am 30. September 2022 erstattete NagaWorld Strafanzeige gegen vier LRSU-Mitglieder wegen Hausfriedensbruch, schwerer vorsätzlicher Schadensverursachung und rechtswidriger Freiheitsberaubung.

Menschenhandel

Am 9. September 2022 kündigte das Justizministerium die Einrichtung einer Arbeitsgruppe an, die die Aufgabe hat, in Fällen von Menschenhandel, bei denen ausländische Arbeitskräfte nach Kambodscha gebracht werden, die Ermittlungen und Strafverfahren zu koordinieren. Razzien der Behörden in Phnom Penh und der Stadt Sihanoukville führten zur Rettung Hunderter von Menschenhandel betroffener Arbeitskräfte.

Medien- und anderen Berichten zufolge wurden viele weitere von Menschenhandel Betroffene, darunter auch Minderjährige, in "Sklavenlagern" festgehalten und gezwungen, kriminelle Internetaktivitäten und andere Betrügereien zu verüben. Aus ihrer Zwangslage Befreite berichteten, dass sie Vergewaltigungen, Schlägen und anderer körperlicher Gewalt durch das Wachpersonal ausgesetzt waren. Einige kamen bei Fluchtversuchen ums Leben. Bei den wegen der Beteiligung an Menschenhandel festgenommenen Personen handelte es sich hauptsächlich um Verdächtige auf unterer Ebene.

Am 30. August 2022 verurteilte das Provinzgericht von Preah Sihanouk den Leiter der Anti-Menschenhandel-NGO Cambodia-China Charity Team, Chen Baorong, sowie zwei weitere Männer, Chen Xiaohua und Tan Xiaomei, zu jeweils zwei Jahren Gefängnis. Ihre Strafverfolgung schien ein Vergeltungsakt für die negative internationale Öffentlichkeitswirkung der Aussage eines Geretteten zu sein. Dieser hatte angegeben, dass diejenigen, die ihn festgehalten hatten, ihm Blut "abgezapft" hätten. Das Strafmaß der drei Männer wurde am 21. Dezember 2022 im Berufungsverfahren auf zehn Monate reduziert.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Im April 2022 erklärte sich der internationale Beschwerdemechanismus CAO (Compliance Adviser Ombudsman) der Entwicklungsbank IFC (International Finance Corporation) bereit, eine Beschwerde zu prüfen, die von lokalen NGOs im Namen von 19 Einzelpersonen, darunter auch Indigene, eingereicht worden war. CAO befasst sich mit Beschwerden von Menschen, die Schäden durch IFC-unterstützte Projekte erlitten haben. Den Beschwerdeführer*innen zufolge soll es infolge mangelnder Sorgfalt und unzureichender Überwachung von Krediten durch sechs kambodschanische Mikrofinanzunternehmen und Banken zu Menschenrechtsverstößen wie erzwungenen Landverkäufen, Zwangsmigration und Kinderarbeit gekommen sein.

Recht auf Wohnen

Aufgrund fehlender Landtitel waren auch 2022 Tausende Menschen von Zwangsräumungen bedroht, ohne dass sie einen gesetzlichen Anspruch auf Entschädigung hatten. Laut Angaben der NGO für Land- und Wohnrechte Sahmakum Teang Tnaut waren seit 2020 Menschen aus insgesamt 1.507 Haushalten aus ihren Unterkünften vertrieben worden, weil sie nicht nachweisen konnten, dass sie rechtmäßige Eigentümer*innen der Grundstücke waren, auf denen sie lebten.

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