Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Brasilien 2022

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Das Vorgehen der Sicherheitskräfte war 2022 weiterhin von Rassismus geprägt: Die häufig verübten massenhaften Tötungen durch Sicherheitskräfte betrafen unverhältnismäßig oft Schwarze Menschen in benachteiligten Vierteln. Cis- und trans Frauen, darunter insbesondere Schwarze Frauen, waren von unterschiedlichen Formen der Gewalt betroffen. "Fake News" und Äußerungen des Präsidenten Jair Bolsonaro führten im Vorfeld der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zu politisch motivierter Gewalt, gefährdeten staatliche Institutionen und beeinträchtigten die Arbeit der Justizbehörden. Zahlreiche Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen wurden bedroht und getötet. Die soziale, politische und wirtschaftliche Situation verschlechterte sich 2022 weiter, was u. a. zu Verletzungen der Rechte auf Nahrung, Gesundheit, Wohnraum, Arbeit und soziale Sicherheit führte. Die von einer parlamentarischen Untersuchungskommission dokumentierten Menschenrechtsverletzungen der Regierung während der Coronapandemie wurden nicht weiter verfolgt. Das historische Versagen der Behörden, strukturellen Rassismus zu bekämpfen, hatte weiterhin drastische Konsequenzen für indigene Gemeinschaften und Afro-Brasilianer*innen, weil staatliche Maßnahmen sie vernachlässigten oder benachteiligten.

Hintergrund

Präsident Bolsonaro setzte seine Angriffe auf die Justiz und die Rechtsstaatlichkeit das gesamte Jahr über fort. Der Wahlkampf war geprägt von Polarisierung und politischer Gewalt. Die Stichwahl der Präsidentschaftswahl entschied Ende Oktober 2022 Luiz Inácio Lula da Silva für sich, der sein Amt im Januar 2023 antrat. Er versprach, ein Ministerium für indigene Bevölkerungsgruppen (Ministério dos Povos Originários) einzurichten, und verpflichtete sich, die Abholzung des Regenwalds zu stoppen. Anhänger*innen des unterlegenen Präsidenten Bolsonaro organisierten nach der Wahl Proteste und forderten ein Einschreiten des Militärs wegen angeblichen Wahlbetrugs. Bolsonaros Liberale Partei (Partido Liberal) beantragte im November 2022, mehr als 250.000 Wahlautomaten wegen angeblichen Betrugs zu überprüfen. Das Oberste Wahlgericht lehnte den Antrag jedoch ab und verhängte gegen die Partei eine Strafe in Höhe von 22,9 Mio. Brasilianischen Real (etwa 4 Mio. Euro) wegen "böswilliger und unverantwortlicher Anstrengung eines Rechtsstreits". Die Zahl der Personen, die Geld aus dem Sozialprogramm "Brasilienhilfe" (Auxilio Brasil) erhielten, das 2021 die Familienbeihilfe (Bolsa Família) abgelöst hatte, stieg im Vorfeld der Wahlen auf ein Rekordniveau. Dies galt auch für weitere Sozialleistungen, die im Zuge einer Verfassungsänderung aufgrund des ausgerufenen Coronanotstands ausgeweitet worden waren. Es wurde befürchtet, dass diese Leistungen politischen Zwecken dienen sollten. Die Zahl der registrierten Schusswaffen in Privatbesitz nahm zu. Schätzungen zufolge besaß die Zivilbevölkerung mehr Waffen als Marine, Heer und Luftwaffe zusammen.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Die wirtschaftliche Krise verschärfte bestehende strukturelle und andere dauerhafte Ungleichheiten. Die steigende Inflation und die zunehmende Verarmung traf diejenigen Bevölkerungsgruppen besonders hart, die seit jeher diskriminiert wurden, wie Schwarze, indigene und andere traditionelle Gemeinschaften, Frauen, LGBTI+ sowie Bewohner*innen von Favelas und anderen benachteiligten Vierteln. Nach Angaben des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen verließen von Januar bis August 2022 zwei Millionen Kinder und Jugendliche zwischen 11 und 19 Jahren die Schule, ohne die grundlegende Schulbildung abgeschlossen zu haben.

Recht auf Gesundheit

Von Beginn der Coronapandemie bis Ende 2022 starben mehr als 693.000 Menschen an Covid-19. Trotz Problemen bei der Umsetzung der Impfkampagne waren bis Dezember 2022 80 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft.

Im September 2022 warnte die Panamerikanische Gesundheitsorganisation davor, dass in Brasilien erneut Polio auftreten könne, nachdem die Krankheit dort in den 1990er-Jahren bereits ausgerottet war.

Der Nationalkongress billigte den Haushaltsentwurf für 2023, der für das Gesundheitsministerium die geringsten Mittel seit zehn Jahren vorsah. Die Haushaltskürzungen betrafen das staatliche Gesundheitssystem (Sistema Único de Saúde) und bedrohten die Verfügbarkeit einer angemessenen Gesundheitsversorgung, weil sie u. a. die Versorgung mit Arzneimitteln, die Zahl der Beschäftigten im Gesundheitswesen, die Prävention und Behandlung von HIV/AIDS sowie Impfprogramme einschränken könnten.

Im Laufe des Jahres 2022 beantragte die Generalstaatsanwaltschaft beim Obersten Gerichtshof die Einstellung von sieben der zehn Ermittlungsverfahren gegen Präsident Bolsonaro. Die Ermittlungen waren eingeleitet worden, nachdem eine parlamentarische Untersuchungskommission den Umgang der Regierung mit der Coronapandemie untersucht hatte. In ihrem Abschlussbericht hatte die Kommission empfohlen, Präsident Bolsonaro wegen neun Straftaten anzuklagen, darunter "Scharlatanerie", Amtspflichtverletzung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ende 2022 hatte der Oberste Gerichtshof der Einstellung von mindestens drei Ermittlungsverfahren zugestimmt.

Recht auf Wohnen

Nach Angaben des Nationalen Gemeindeverbands (Confederação Nacional de Municípios) wurden 5,8 Millionen neue Wohnungen für Familien benötigt, die in unzureichenden Wohnverhältnissen lebten. Weitere 24,8 Millionen Wohnungen waren sanierungsbedürftig.

Im März 2022 wurde durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs die Gültigkeit von Gesetz Nr. 14.216/2021 verlängert, durch das städtische Zwangsräumungen während der Pandemie ausgesetzt waren. Zur Begründung sagte Richter Luís Roberto Barroso, in Zeiten der Coronapandemie stehe das Recht auf Wohnraum in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Gesundheitsschutz. Es müsse mit allen Mitteln verhindert werden, dass noch mehr Menschen obdachlos würden. Im Oktober genehmigte der Oberste Gerichtshof eine Übergangslösung, die Zwangsräumungen, die während der Pandemie ausgesetzt worden waren, unter bestimmten Bedingungen wieder möglich machte.

Die Zahl obdachloser Menschen nahm 2022 zu. Laut einer im Juni veröffentlichten Studie der Bundesuniversität von Minas Gerais waren landesweit mehr als 180.000 Menschen obdachlos. Mit einem Anteil von 68 Prozent waren Schwarze, die nur gut die Hälfte der Bevölkerung stellen, überproportional vertreten. 84 Prozent der Obdachlosen bezogen Leistungen aus dem Sozialprogramm "Brasilienhilfe".

Recht auf Arbeit

Obwohl die Arbeitslosenrate 2022 so niedrig war wie seit 2015 nicht mehr, nahm die Armut zu. Die jüngsten verfügbaren Daten bezogen sich auf das Jahr 2021 und waren von der Wirtschaftshochschule Fundação Getulio Vargas erhoben worden. Demnach hatten 62,9 Mio. Menschen und damit fast 30 Prozent der Bevölkerung ein monatliches Pro-Kopf-Einkommen von 497 Brasilianischen Real (etwa 88 Euro), was rund 41 Prozent des Mindestlohns entsprach, oder sogar noch weniger.

Recht auf Nahrung

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hatte keinen ausreichenden und gesicherten Zugang zu Nahrungsmitteln. Die Zahl der Menschen, die von schwerer Ernährungsunsicherheit und damit von Hunger betroffen waren, stieg auf 33,1 Millionen an, was 15 Prozent der Bevölkerung entsprach. Unter kleinbäuerlichen Familien lag die Zahl der Haushalte, in denen Hunger herrschte, sogar bei 21,8 Prozent. Haushalte alleinerziehender Frauen und Schwarzer Menschen litten am stärksten unter Ernährungsunsicherheit. So waren 70 Prozent der Menschen, die von schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen waren, Schwarz.

Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit

Im Vorfeld der Wahlen nahmen politisch motivierte Einschüchterungen und gewaltsame Angriffe auf Aktivist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen und Wähler*innen, die ihre Rechte auf Meinungs-, Gedanken- und Glaubensfreiheit wahrnahmen, unverhältnismäßig stark zu. Bei einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts DataFolha gaben sieben von zehn Befragten an, sie hätten Angst, ihre politische Meinung zu äußern.

Zwischen dem ersten und zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl im Oktober 2022 gab es mindestens 59 Vorfälle politisch motivierter Gewalt, teilweise unter Androhung von Schusswaffeneinsatz. So verfolgte die Parlamentsabgeordnete Carla Zambelli im Oktober in São Paulo einen Mann, der eine andere politische Meinung vertrat, mit gezückter Pistole. Medienvertreter*innen wurden tätlich angegriffen. Beispielsweise attackierte ein Kongressabgeordneter nach einer politischen Debatte im Fernsehen die Journalistin Vera Magalhães.

Die Reporterin Aline Porcina wurde im September 2022 während der Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag eingeschüchtert, im Oktober wurde der Kameramann Rogério de Paula angegriffen. Die zunehmende Drangsalierung führender Geistlicher, die sich gegen den menschenrechtsfeindlichen Diskurs des Präsidenten stellten, sowie von Wahlhelfer*innen gipfelte in mindestens sechs Tötungen. Selbst Minderjährige waren von politischer Gewalt betroffen: Nach dem Sieg von Luiz Inácio Lula da Silva wurde bei einer Feier in der Stadt Belo Horizonte ein zwölfjähriges Mädchen erschossen.

Rechtswidrige Tötungen

Der "Krieg gegen Drogen", der die Politik der inneren Sicherheit in Brasilien in den letzten Jahren bestimmt hat, heizte den Kreislauf aus Gewalt und Tötungen durch die Polizei immer weiter an.

Polizeieinsätze mit schweren Waffen führten zu stundenlangen heftigen Schusswechseln in Favelas und anderen benachteiligten Vierteln. Weitere Beispiele für unverhältnismäßige staatliche Gewaltanwendung waren Hausdurchsuchungen, die Zerstörung von Eigentum, psychologische Folter, Einschränkung der Bewegungsfreiheit sowie die vorübergehende Schließung von Schulen, Gesundheitseinrichtungen und anderen wichtigen Dienstleistungen.

Bei drei Polizeieinsätzen unter Beteiligung der Verkehrspolizei (Polícia Rodoviária Federal) starben 37 Menschen. Im März 2022 kamen bei einem Polizeieinsatz im Viertel Complexo do Chapadão in Rio de Janeiro sechs Menschen ums Leben. Bei einem weiteren Polizeieinsatz in Rio de Janeiro wurden im Mai im Stadtteil Vila Cruzeiro 23 Menschen getötet. Die Polizeieinsätze entsprachen nicht den vom Obersten Gerichtshof aufgestellten Richtlinien und wurden durchgeführt, obwohl der Gouverneur von Rio de Janeiro im März einen Plan vorgelegt hatte, um die Zahl der Tötungen durch die Polizei zu verringern.

Im Mai 2022 wurde Genivaldo de Jesus dos Santos, ein Schwarzer mit einer psychischen Erkrankung, in Umbaúba (Bundesstaat Sergipe) in Gewahrsam der Verkehrspolizei außergerichtlich hingerichtet. Man hielt ihn in einem Einsatzfahrzeug fest, in das ein unbekanntes Gas eingeleitet wurde. Drei an dem Vorfall beteiligte Polizisten wurden wegen Amtsmissbrauch und Mord unter erschwerenden Umständen angeklagt.

Die Bundesanwaltschaft beantragte, eine Verordnung des Ministeriums für Justiz und Innere Sicherheit aus dem Jahr 2021 auszusetzen, die es der Verkehrspolizei erlaubt, sich an Einsätzen jenseits von Bundesstraßen und Autobahnen zu beteiligen. Im Juni 2022 setzte ein Bundesgericht in Rio de Janeiro die Verordnung teilweise aus. Eine Berufungskammer machte diese Entscheidung jedoch zwei Tage später wieder rückgängig.

Die NGO Fórum Brasileiro de Segurança Pública teilte 2022 mit, dass von den Personen, die im Vorjahr von der Polizei getötet worden waren, 99 Prozent männlich waren, 84 Prozent Schwarz und 52 Prozent unter 25 Jahre alt.

Die unverändert hohe Zahl von Todesopfern bei Polizeieinsätzen machte deutlich, dass der Staat seiner Verpflichtung zur externen Überwachung des Polizeiverhaltens nicht wirksam nachkam. Die unverhältnismäßig hohe Zahl Schwarzer Opfer war ein weiterer Beweis dafür, dass der Kriminalisierung von Schwarzen und der exzessiven Gewaltanwendung gegen sie ein systemischer und institutioneller Rassismus zugrunde lag. Ein Grund für das Fortbestehen und das Ausmaß der Tötungen durch die Polizei war, dass die unmittelbar Beteiligten Straffreiheit genossen und auch die Verantwortlichen in der Befehlskette, die die unverhältnismäßige Gewaltanwendung unterstützten oder duldeten, nicht zur Rechenschaft gezogen wurden.

Straflosigkeit

In Fällen exzessiver Gewaltanwendung gab es weder angemessene Ermittlungen noch sorgten die Behörden dafür, dass Beteiligte bzw. Verantwortliche in der Befehlskette zur Rechenschaft gezogen wurden.

Die Sondereinheit, die die Umstände des Massakers in der Favela Jacarezinho in Rio de Janeiro untersuchen sollte, bei dem im Mai 2021 28 Menschen getötet wurden, schloss im Juni 2022 ihre Arbeit ab. Vier Angehörige der Zivilpolizei wurden des Mordes an drei Personen beschuldigt und zwei mutmaßliche Drogenhändler der Beteiligung am Tod eines Angehörigen der Zivilpolizei. Die Ermittlungen zu den übrigen 24 Getöteten wurden ohne Klärung der Täterschaft eingestellt, weil es offenbar an Beweisen mangelte.

Die Personen, die verdächtigt wurden, für das Verschwinden des 16-jährigen Davi Fiuza im Oktober 2014 verantwortlich zu sein, waren Ende 2022 noch immer nicht zur Verantwortung gezogen worden. Der Jugendliche war zuletzt gesehen worden, als er bei einem Polizeieinsatz in der Stadt Salvador de Bahia in ein Auto ohne Kennzeichen gesetzt wurde. Von den 17 beschuldigten Polizist*innen wurden nur sieben angeklagt, u. a. wegen Entführung. Im Oktober 2022 fand eine erste Anhörung vor einem Militärgericht statt, was internationalen Menschenrechtsnormen und -standards widersprach. Am Jahresende war noch kein Schuldspruch erfolgt, und alle Angeklagten befanden sich nach wie vor auf freiem Fuß.

Klimakrise und Umweltzerstörung

Nach Angaben des brasilianischen Weltraumforschungsinstituts erreichte die Entwaldungsrate im brasilianischen Amazonasgebiet zwischen Januar und Oktober 2022 den höchsten Stand seit 2015. In der Region Amazônia Legal, die sich über neun Bundesstaaten erstreckt, wurden 9.277 Quadratkilometer Regenwald vernichtet.

Naturkatastrophen, die auf den Klimawandel zurückgingen und auf das Versagen der Behörden, diesen Herausforderungen angemessen und wirksam zu begegnen, hatten für benachteiligte Gemeinschaften besonders harte Konsequenzen, da der Staat sie im Hinblick auf Wohnungsbau, Sanitärversorgung und Infrastruktur vollkommen vernachlässigte.

Nach einer Erhebung des Nationalen Gemeindeverbands war die Zahl der Toten aufgrund extremer Regenfälle in den ersten fünf Monaten des Jahres 2022 bereits weit höher als die jährlichen Opferzahlen im vergangenen Jahrzehnt. Im Februar und März führten Schlammlawinen und Überflutungen in Petrópolis (Bundesstaat Rio de Janeiro) zum Tod von mindestens 238 Menschen. Im Juni kamen in Recife (Bundesstaat Pernambuco) 128 Menschen durch Erdrutsche und Überflutungen ums Leben. In beiden Fällen waren die meisten Opfer Schwarze Frauen in Favelas und anderen benachteiligten Vierteln, die sich zum Zeitpunkt der Katastrophe zu Hause aufhielten.

Im April 2022 legte die Regierung die zweite Aktualisierung ihrer nationalen Klimaschutzbeiträge (Nationally Determined Contributions – NDC) vor. Laut dem unabhängigen internationalen Analysetool Climate Action Tracker würden diese neuen Klimaziele Brasiliens insgesamt zu einer geringeren Emissionsminderung führen als die ursprünglichen NDC. Dies wurde dem erklärten Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen von 2015 nicht gerecht, nach dem Länder bei jeder NDC-Aktualisierung ambitioniertere Ziele vorlegen sollten als zuvor.

Menschenrechtsverteidiger*innen

Am 14. März 2022 jährte sich der Tag, an dem die Stadträtin und Menschenrechtsverteidigerin Marielle Franco und ihr Fahrer Anderson Gomes getötet wurden, zum vierten Mal. Noch immer war niemand für die Tötungen zur Rechenschaft gezogen worden, obwohl die Familien der Opfer unermüdlich Gerechtigkeit und eine wirksame Beteiligung an den Ermittlungen gefordert hatten. Die beiden Männer, denen die Tat zur Last gelegt wurde, blieben in Haft. Ende 2022 stand jedoch weder ein Prozesstermin fest noch war ermittelt worden, wer hinter den Tötungen stand.

Im Januar 2022 wurden im Bundestaat Pará drei Umweltschützer*innen getötet, die aus derselben Familie stammten und sich für den Schutz von Schildkröten im Amazonasgebiet einsetzt hatten. Bis zum Jahresende war niemand für die Tötungen zur Rechenschaft gezogen worden.

Im Juni 2022 verschwanden der britische Journalist Dom Phillips und der brasilianische Indigenenforscher Bruno Pereira im Vale do Javari, einem indigenen Territorium im Bundesstaat Amazonas. Elf Tage später fand man die Leichen der beiden Männer, die sich für die Rechte indigener Gemeinschaften eingesetzt hatten. Drei Männer wurden festgenommen, die die Morde verübt und die Leichen versteckt haben sollen. Ihr Verfahren hatte Ende 2022 noch nicht stattgefunden. Die Ermittlungen zu den Drahtzieher*innen der Tötungen dauerten an.

Im November 2022 wurde der Bischof und Menschenrechtsverteidiger Vicente de Paula Ferreira von Unbekannten bedroht, von denen einige offenbar bewaffnet waren. Vicente de Paula Ferreira ist für sein soziales Engagement und seinen Einsatz für Demokratie und Umwelt bekannt.

Im Dezember 2022 wurde Raimundo de Oliveira, der sich für Landrechte einsetzte und Mitglied der "Bewegung der Landlosen" (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra) war, in seinem Haus in der Region Bico de Papagaio im Bundesstaat Tocantins erschossen.

Rechte indigener Gemeinschaften und Quilombolas

Von Januar bis Juli 2022 verzeichnete die NGO Comissão Pastoral da Terra, die für eine Landreform eintritt, im Zusammenhang mit Landkonflikten in ländlichen Gegenden 759 gewaltsame Vorfälle, die insgesamt 113.654 Familien betrafen, sowie 33 Tötungen. Dies bedeutete eine Zunahme von 150 Prozent im Vergleich zum ersten Halbjahr 2021. Mehr als die Hälfte der Konflikte ereignete sich in der Region Amazônia Legal und betraf vor allem indigene Gemeinschaften und Quilombolas.

Im April 2022 wurde der Quilombola-Sprecher Edvaldo Pereira Rocha im Bundesstaat Maranhão erschossen. Eine verdächtige Person wurde festgenommen. Die Ermittlungen zu den Motiven und Personen, die hinter der Tötung standen, waren am Jahresende noch nicht abgeschlossen.

Im Bundesstaat Mato Grosso do Sul wurde im Mai Alex Lopes und im Juni Vítor Fernandes getötet. Beide waren 17 Jahre alt und gehörten zur Bevölkerungsgruppe der Guarani Kaiowá. Im September wurde der 14-jährige Gustavo da Conceição, ein Angehöriger der indigenen Pataxó-Gemeinschaft, im Bundesstaat Bahia getötet. Ende 2022 war noch niemand für die Tötungen zur Rechenschaft gezogen worden.

Im Bundesstaat Rondônia dauerten die Angriffe auf indigenes Land an. Die Yanomami-Organisation Hutukara berichtete außerdem, dass illegale Bergbautätigkeiten in der Region die Gesundheit indigener Gemeinschaften beeinträchtigten. Darüber hinaus informierte sie darüber, dass neun Kinder an Krankheiten gestorben waren, die behandelbar gewesen wären, wenn es eine angemessene Gesundheitsversorgung gegeben hätte.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

Im Januar 2022 teilte der LGBTI-Verband Associação Nacional de Travestis e Transexuais mit, dass im Jahr 2021 mindestens 140 trans Personen getötet wurden und Brasilien damit das 13. Jahr in Folge das Land mit der höchsten Zahl getöteter trans Personen weltweit war.

Trans Personen, die bei den Parlamentswahlen antraten, waren im Wahlkampf Einschüchterungen und Drohungen ausgesetzt. Dennoch wurden erstmals in der Geschichte des Landes zwei trans Frauen in das Abgeordnetenhaus gewählt.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Nach Angaben der NGO Fórum Brasileiro de Segurança Pública wurden 699 Frauen im Jahr 2022 Opfer eines Femizids. 62 Prozent von ihnen waren Schwarz.

Sexuelle und reproduktive Rechte

Obwohl das brasilianische Recht einen Schwangerschaftsabbruch nach einer Vergewaltigung erlaubt, wurden Frauen und Mädchen, die den Eingriff vornehmen lassen wollten, von den zuständigen Stellen eingeschüchtert und stigmatisiert.

Associated documents