Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Moldova

Berichtszeitraum: 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2016

Amtliche Bezeichnung: Republik Moldau
STAATSOBERHAUPT: Igor Dodon (löste im Dezember 2016 Nicolae Timofti im Amt ab)
STAATS- UND REGIERUNGSCHEF_IN: Pavel Filip (löste im Januar 2016 Gheorghe Brega im Amt ab)

Die Polizei wandte bei Straßenprotesten gelegentlich unnötige oder exzessive Gewalt an. Einige aufsehenerregende Strafverfahren gaben Anlass zu der Befürchtung, Prozesse seien unfair und die Justiz gehe selektiv vor. Die Medien konnten überwiegend frei arbeiten, doch die Medienlandschaft war weniger pluralistisch als in den Vorjahren. Die strukturellen Ursachen der Straflosigkeit für Folter und andere Misshandlungen wurden weiterhin nicht bekämpft. In einigen Haftanstalten herrschten Überbelegung und schlechte Haftbedingungen. Gesetze erlaubten nach wie vor, Personen mit Behinderungen zwangsweise in psychiatrischen Anstalten festzuhalten und ohne ihre Einwilligung zu behandeln.

HINTERGRUND

Angesichts von Korruption und sinkendem Lebensstandard war das politische Klima weiterhin von einem Gefühl der Ohnmacht geprägt, was zu Unzufriedenheit in der Bevölkerung und sporadischen Protesten führte. Gerüchte über die politische Einflussnahme eines bekannten Oligarchen, die auf die überraschende Festnahme und Inhaftierung des ehemaligen Ministerpräsidenten Vladimir Filat im Oktober 2015 folgten, lösten einige große Demonstrationen aus. Im Januar 2016 wurde nach undurchsichtigen Parteiabsprachen eine relative politische Stabilität erreicht, die zur Ernennung eines neuen Ministerpräsidenten führte. Im März 2016 entschied das Verfassungsgericht, dass der Präsident des Landes künftig direkt vom Volk gewählt werden solle. Am 30. Oktober 2016 wurden die ersten direkten Präsidentschaftswahlen seit 1996 abgehalten. Am 13. November folgte eine Stichwahl.

RECHT AUF VERSAMMLUNGSFREIHEIT

Abgesehen von einigen kleineren Zusammenstößen zwischen Protestierenden und der Polizei verliefen Demonstrationen in der Hauptstadt Chişinău und anderen Orten friedlich. Die Polizei reagierte im Allgemeinen zurückhaltend, wandte aber vereinzelt unnötige und exzessive Gewalt an und setzte auch Tränengas und Schlagstöcke ein.

Das Verfahren gegen sieben Aktivisten der “Petrenco-Gruppe” wurde im Jahr 2016 fortgeführt. Sie hatten während einer Demonstration am 6. September 2015 versucht, gewaltsam in die Räume der Generalstaatsanwaltschaft einzudringen. Sechs von ihnen mussten mehr als sechs Monate in Untersuchungshaft verbringen. Die Anklagen gegen alle sieben Personen lauteten auf “Anstiftung zu Massenunruhen”. Nach heftiger Kritik aus dem In- und Ausland wurden die sechs inhaftierten Beschuldigten am 22. Februar 2016 in den Hausarrest überstellt, der einen Monat später aufgehoben wurde. Es wurden ihnen jedoch Reisebeschränkungen auferlegt.

UNFAIRE GERICHTSVERFAHREN

Das Verfahren gegen die “Petrenco-Gruppe” und eine Reihe anderer Strafverfahren ließen befürchten, dass Strafverfolgungsmaßnahmen politisch beeinflusst waren.

Nach acht Monaten Haft wurde der ehemalige Ministerpräsident Vladimir Filat am 27. Juni 2016 wegen “passiver Bestechung” und Amtsmissbrauchs schuldig gesprochen und zu einer Gefängnisstrafe von neun Jahren verurteilt. Hintergrund war ein Bankenskandal aus dem Jahr 2014, durch den die Nationalbank mehr als ein Drittel ihrer Reserven verloren hatte. Das Verfahren gegen Vladimir Filat wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt und hinterließ mehr Fragen als Antworten. So blieb ungeklärt, warum gegen keinen anderen Politiker Ermittlungen eingeleitet worden waren. Vladimir Filats Verteidigung legte Rechtsmittel gegen das Urteil ein und argumentierte, es habe Verfahrensmängel gegeben und der Grundsatz der Waffengleichheit sei missachtet worden. Dies wurde von offizieller Seite bestritten, da das Verfahren jedoch hinter verschlossenen Türen stattgefunden hatte, konnten die Behauptungen beider Seiten nicht unabhängig überprüft werden. Vladimir Filat soll während des Verfahrens für 20 Tage in einen Hungerstreik getreten und einmal im Gerichtssaal ohnmächtig geworden sein.

MEINUNGSFREIHEIT – MEDIEN

Obwohl die Freiheit der Medien im Allgemeinen respektiert wurde, gab es weiterhin Bedenken bezüglich ihrer Unabhängigkeit, da sie sich im Besitz einiger weniger Personen befanden. Mindestens zwei prominente kritische Journalisten gaben an, anonyme Drohungen erhalten zu haben. Im August 2016 wurde ein Geschoss auf das Fenster der Wohnung gefeuert, in der die Tochter des Journalisten Constantin Cheianu lebte. Der Journalist hatte zuvor SMS-Mitteilungen mit der Warnung erhalten, man werde ihn “stoppen”, falls er weiterhin über Oligarchen und deren Einflussnahme schreibe. Die Fernsehmoderatorin Natalia Morari berichtete, sie habe ähnliche Warnungen von einem ihrer Ansicht nach ernstzunehmenden Absender erhalten. Beide Journalisten erstatteten bei den Behörden Anzeige.

FOLTER UND ANDERE MISSHANDLUNGEN

Die strukturellen Ursachen der Straflosigkeit in Fällen von Folter und anderen Misshandlungen wurden weiterhin nicht bekämpft. Mutmaßliche Täter wurden nur in seltenen Fällen strafrechtlich verfolgt. Zwischen Januar und Juni 2016 erstatteten 331 Personen bei der Staatsanwaltschaft Anzeige wegen Folter und anderen Misshandlungen. Von den 19 Verfahren im Zusammenhang mit Folter, in denen Gerichte Entscheidungen fällten, kam es in 15 Fällen zu Schuldsprüchen, doch nur zwei der 18 Verurteilten erhielten Freiheitsstrafen.

Die Familie und der Rechtsbeistand von Vladimir Filat erhoben mehrfach den Vorwurf, dass er misshandelt worden sei. So habe man ihn u. a. in Einzelhaft gehalten, deren Bedingungen ihrer Ansicht nach Folter entsprachen. Damit rückte die von unabhängigen Beobachtern bereits in früheren Jahren kritisierte Haftanstalt Nr. 13 in Chişinău erneut ins Blickfeld. Alle von unabhängiger Seite – auch von Amnesty International – gestellten Anträge, Filat zu besuchen, wurden abgelehnt. Dies galt auch für die Zeit nach seiner Verurteilung. Amnesty International besuchte die Haftanstalt dennoch und erklärte anschließend, in einigen Zellen hätten sich die Zustände zwar erkennbar verbessert (die Verbesserungen waren zumeist von den Familien der Gefangenen bezahlt worden), in anderen Zellen herrschten jedoch unverändert Überbelegung und unzureichende sanitäre und hygienische Bedingungen.

Im Juni 2016 legte der Europäische Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe den Bericht über seinen Besuch in Moldau im September 2015 vor. Er stellte fest, dass seit 2011 zwar Fortschritte erzielt worden seien, der Einsatz exzessiver Gewalt durch die Polizei bei Festnahmen, die Misshandlung von Gefangenen während der “vorläufigen Vernehmung” und eine Überbelegung “verstörenden Ausmaßes” in einigen Gefängnissen jedoch weiterhin Anlass zur Sorge böten.

GESETZLICHE, VERFASSUNGSRECHTLICHE UND INSTITUTIONELLE ENTWICKLUNGEN

Am 26. Mai 2016 traten Änderungen des Strafverfahrensrechts in Kraft. Sie sahen striktere Schutzmaßnahmen gegen den willkürlichen Gebrauch der Untersuchungshaft vor. Außerdem sollen künftig Strafmaßnahmen ohne Freiheitsentzug Vorrang haben, wann immer dies möglich ist.

RECHTE VON LESBEN, SCHWULEN, BISEXUELLEN, TRANSGESCHLECHTLICHEN UND INTERSEXUELLEN

Am 22. Mai 2016 fand in Chişinău die bislang größte Pride Parade statt, an der sich etwa 300 Personen beteiligten. Einige Gegendemonstrierende versuchten, Aktivisten, die sich für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgeschlechtlichen und Intersexuellen einsetzen, anzugreifen. Die Polizei sorgte zwar für eine wirksame Absperrung zwischen den beiden Gruppen, entschied aber, die Teilnehmenden mit Bussen in Sicherheit zu bringen, kurz bevor die Parade ihr Ziel erreichte.

DISKRIMINIERUNG – MENSCHEN MIT BEHINDERUNGEN

Die UN-Sonderberichterstatterin für die Rechte von Menschen mit Behinderungen forderte die Regierung nachdrücklich auf, die Einweisung von Personen mit Behinderungen in psychiatrische und psychoneurologische stationäre Einrichtungen zu beenden. Mehrere Gesetze erlaubten nicht nur den Zwangsaufenthalt und die psychiatrische Behandlung von Menschen mit Behinderungen ohne deren Zustimmung, sondern auch Schwangerschaftsabbrüche bei psychosozialer oder geistiger Beeinträchtigung ohne Einwilligung der Betroffenen.

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