Amnesty International Report 2010 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte

Amtliche Bezeichnung: Staat Israel
Staatsoberhaupt: Schimon Peres
Regierungschef: Benjamin Netanyahu (löste im März Ehud Olmert im Amt ab)
Todesstrafe: für gewöhnliche Straftaten abgeschafft
Einwohner: 7,2 Mio. (Israel); 4,3 Mio. (besetzte Gebiete)
Lebenserwartung: 80,7 Jahre (Israel); 73,3 Jahre (besetzte Gebiete)
Kindersterblichkeit (m/w): 6/5 pro 1000 Lebendgeburten (Israel); 23/18 pro 1000 Lebendgeburten (besetzte Gebiete)
Alphabetisierungsrate: 97,1% (Israel); 93,8% (besetzte Gebiete)

Am 18. Januar 2009 endete eine 22 Tage andauernde Militäroffensive der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen. Die unter dem Codenamen Operation "Gegossenes Blei" (Cast Lead) geführte Offensive war mit Kriegsverbrechen und schwerwiegenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts einhergegangen. Die israelischen Streitkräfte führten willkürliche und unverhältnismäßige Angriffe gegen die Zivilbevölkerung durch; medizinisches Personal wurde attackiert und getötet und palästinensische Zivilpersonen als "menschliche Schutzschilde" missbraucht. Auf dicht besiedelte Gebiete wurden Bomben mit weißem Phosphor abgeworfen. Mehr als 1380 Palästinenser, darunter über 330 Kinder und Hunderte von Zivilpersonen, kamen ums Leben. Der Großteil des Gazastreifens wurde dem Erdboden gleichgemacht und dabei lebenswichtige Infrastruktur zerstört. Die Wirtschaft kam zum Erliegen, zugleich wurden Tausende von Palästinensern obdachlos.

Auch 2009 schränkten die israelischen Sicherheitskräfte die Bewegungsfreiheit der palästinensischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten empfindlich ein. Der Zugang zu ihrem Grund und Boden sowie zu wichtigen staatlichen Einrichtungen und Leistungen wurde ihnen erschwert. Die Einschränkungen wurden noch verstärkt durch die militärische Blockade des Gazastreifens. Die 1,5 Mio. Einwohner dort waren praktisch von der Außenwelt abgeschnitten, was zu einer humanitären Krise führte. Internationale Hilfslieferungen und Mitarbeiter humanitärer Organisationen wurden oft nicht in den Gazastreifen vorgelassen. Die Ausreise von Hunderten schwerkranker Palästinenser zwecks dringend erforderlicher medizinischer Behandlung wurde entweder verweigert oder verzögert. Mindestens 28 Menschen starben, während sie auf ihre Ausreisegenehmigung warteten. Die israelischen Sicherheitskräfte vertrieben weiterhin Palästinenser gewaltsam aus ihren Häusern, die anschließend zerstört wurden. Ihr Land in den besetzten Gebieten, einschließlich Ost-Jerusalem, wurde enteignet. Israelische Siedlungen konnten sich dagegen auf den illegal beschlagnahmten Grundstücken weiterhin ungehindert ausbreiten.

Während des gesamten Berichtsjahrs wandten die israelischen Streitkräfte exzessive Gewalt gegen palästinensische Zivilisten an, die in einigen Fällen Menschenleben forderte. Es gab weiterhin Vorwürfe über Misshandlungen an palästinensischen Gefangenen. Eine Untersuchung der Vorfälle fand jedoch nur selten statt. Hunderte Personen befanden sich ohne Anklageerhebung in Verwaltungshaft. Andere Gefangene verbüßten Freiheitsstrafen, zu denen sie von Militärgerichten nach unfairen Verfahren verurteilt worden waren. Israelische Soldaten und Siedler, die sich schwerer Menschenrechtsverstöße gegen Palästinenser schuldig gemacht hatten, gingen praktisch straflos aus.

Hintergrund

Die israelischen Parlamentswahlen im Februar 2009 zeigten einen wachsenden Rückhalt in der Bevölkerung für Parteien des rechten Spektrums und führten zur Bildung einer Koalition aus Arbeiterpartei, der rechts gerichteten Likud-Partei und der ultrarechten Partei Yisrael Beitenu (Unser Haus Israel).

Die US-Regierung forderte Israel wiederholt auf, seine Siedlungspolitik aufzugeben und so einen ersten Schritt zur Wiederbelebung des Friedensprozesses zu tun. Die Aufrufe verhallten jedoch ungehört.

Operation "Gegossenes Blei"

Die 22 Tage andauernde Militäroffensive "Gegossenes Blei" im Gazastreifen begann ohne Vorwarnung. Ihr erklärtes Ziel war es, die Raketenangriffe auf Israel durch bewaffnete, der Hamas und anderen palästinensischen Gruppierungen nahestehende Kämpfer zu beenden. Bei der Offensive kamen mehr als 1380 Palästinenser ums Leben, rund 5000 wurden verletzt, viele von ihnen schwer. Mehr als 1800 Verwundete waren Kinder. Tausende von Privathäusern, Geschäftsgebäuden und öffentlichen Einrichtungen wurden zerstört, ganze Stadtviertel dem Erdboden gleichgemacht. Strom-, Wasser- und Abwassernetze sowie Industrie- und Wirtschaftsunternehmen trugen Schäden davon. Große landwirtschaftliche Gebiete wurden zerstört. Die meisten Verwüstungen geschahen mutwillig und vorsätzlich und konnten militärisch nicht gerechtfertigt werden. 13 Israelis kamen bei den Kampfhandlungen ums Leben, unter ihnen drei Zivilpersonen, die während eines Raketen- und Mörserbeschusses durch bewaffnete palästinensische Gruppierungen im Süden Israels starben (siehe Länderbericht Palästinensische Autonomiegebiete).

Vor und während der Operation "Gegossenes Blei" verwehrten die israelischen Streitkräfte unabhängigen Beobachtern, Journalisten, Menschenrechtsgruppen und humanitären Hilfskräften die Einreise in den Gazastreifen und riegelten das Gebiet praktisch von der Außenwelt ab. Die Behörden verweigerten zudem ihre Mitarbeit an einer Untersuchung des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen.

Der Bericht des Menschenrechtsrats, bekannt auch als Goldstone-Bericht, wurde im September veröffentlicht. Darin werden Israel und die Hamas beschuldigt, im Gazastreifen und im Süden Israels Kriegsverbrechen und möglicherweise auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Der Menschenrechtsrat empfahl, die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Die israelischen Behörden leiteten keine unabhängigen und unparteiischen Untersuchungen zum Vorgehen ihrer Streitkräfte während der Operation "Gegossenes Blei" ein. Es fanden jedoch einige interne Ermittlungen statt.

Ungesetzliche Tötungen
Hunderte Zivilisten kamen bei den Angriffen der israelischen Streitkräfte ums Leben. Sie wurden von Langstrecken-Hochpräzisionsgeschossen getroffen, die aus Kampfflugzeugen, Hubschraubern und Drohnen abgeworfen oder von Panzern abgeschossen worden waren, welche nur wenige Kilometer von ihren Zielen entfernt stationiert waren. Die Opfer waren weder ins Kreuzfeuer geraten, noch hatten sie versucht, militante Kämpfer zu schützen. Sie kamen vielmehr in ihren Häusern ums Leben, während sie schliefen, während sie ihrer täglichen Arbeit nachgingen oder spielten. Einige Zivilisten, darunter auch Kinder, wurden aus nächster Nähe erschossen. Sie hatten keinerlei Gefahr für Leib und Leben der israelischen Soldaten dargestellt. Bei der Bergung von Verwundeten wurden immer wieder Sanitäter und Krankenwagen beschossen. Mehrere Personen verloren dabei ihr Leben.

Zahlreiche Zivilpersonen wurden durch weniger präzise Waffen wie Artillerie- und Mörsergranaten sowie Splittergranaten getötet oder verletzt.

Mehrfach wurde auch weißer Phosphor wahllos auf dicht besiedeltes Gebiet abgefeuert. Dabei wurden Zivilisten getötet oder verwundet und erheblicher Sachschaden an Privateigentum angerichtet.

Viele dieser Angriffe verletzten das Völkerrecht, weil sie unverhältnismäßig und wahllos erfolgten. Sie richteten sich direkt gegen Zivilisten und zivile Ziele, gegen medizinisches Personal und dessen Fahrzeuge. Es wurden keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen, um die Risiken für die Zivilbevölkerung so gering wie möglich zu halten. Der rechtzeitige Zugang zu medizinischer Versorgung und freie Fahrt für medizinisches und anderes Hilfspersonal und dessen Fahrzeuge wurde behindert.

  • Am 4. Januar 2009 starben Sa'adallah Matar Abu Halima und vier seiner Kinder bei einem Angriff mit weißem Phosphor auf ihr Haus in der Gegend von Sayafa im nordwestlichen Gazastreifen. Seine Frau Sabah trug schwere Verbrennungen davon und berichtete Amnesty International, dass sie zusehen musste, wie ihr Baby Shahed, ein kleines Mädchen, in ihren Armen an den erlittenen Brandverletzungen starb. Unmittelbar nach dem Angriff erschossen israelische Soldaten die Cousins Matar und Muhammad Abu Halima aus nächster Nähe, als die beiden ihre Verwandten zur Behandlung von Brandwunden ins Krankenhaus bringen wollten.
  • In der Nacht zum 6. Januar starben 22 Mitglieder der Familie al-Daya - größtenteils Frauen und Kinder - bei einem Bombenangriff eines F-16-Kampfflugzeugs der israelischen Luftwaffe auf ihr Haus im al-Zaytoun-Viertel in Gaza-Stadt.

Angriffe auf zivile Ziele
Die israelischen Streitkräfte griffen sowohl Krankenhäuser, medizinisches Personal und Krankenwagen als auch humanitäre Einrichtungen an, wie z. B. die Gebäude der Hilfs- und Arbeitsagentur der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UN Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East - UNRWA). Mindestens 15 der 27 Krankenhäuser in Gaza wurden beschädigt, manche davon schwer. Rund 30 Krankenwagen wurden beschossen, 16 medizinische Mitarbeiter verloren ihr Leben. Amnesty International fand keine Beweise dafür, dass die Krankenhäuser der Hamas oder bewaffneten Gruppierungen als Unterschlupf oder als Basis für Kampfhandlungen gedient hätten. Die israelischen Behörden legten keine Beweise vor, um derartige Vorwürfe zu untermauern.

  • Die drei Sanitäter Anas Fadhel Na'im, Yaser Kamal Shbeir und Raf'at Abd al-Al kamen am 4. Januar 2009 in Gaza-Stadt ums Leben, als sie zwei verwundeten Männern zu Hilfe eilen wollten und dabei von einer israelischen Rakete getroffen wurden. Der zwölfjährige Omar Ahmad al-Barade'e hatte ihnen den Weg zu den Verletzten gezeigt und wurde ebenfalls getötet.
  • Am 17. Januar 2009 explodierte gegen 6 Uhr morgens eine Mörsergranate mit weißem Phosphor in der UNRWA-Grundschule in Beit Lahia, in der mehr als 1500 Menschen Zuflucht gesucht hatten. Zwei fünf bzw. sieben Jahre alte Kinder - Muhammad al-Ashqar und sein Bruder Bilal - verloren ihr Leben. Mehr als ein Dutzend der Zivilisten, die sich in der Schule aufgehalten hatten, wurden verletzt.

Missbrauch von Zivilisten als "menschliche Schutzschilde"
Bei mehreren Gelegenheiten missbrauchten israelische Soldaten palästinensische Zivilpersonen, darunter auch Kinder, als "menschliche Schutzschilde" während militärischer Interventionen oder zwangen sie, gefährliche Aufgaben auszuführen. Israelische Soldaten führten auch Angriffe in der Nähe von bewohnten Häusern durch.

  • Vom 5. Januar 2009 an hielten israelische Streitkräfte Yousef Abu 'Ida, seine Frau Leila und ihre neun Kinder zwei Tage lang als "menschliche Schutzschilde" in ihrem Haus in Hay al-Salam im Osten von Jabalia fest. Das Haus wurde als militärische Stellung genutzt. Danach vertrieben die Soldaten die Familie mit Gewalt aus ihrem Haus und zerstörten es.

Behinderung von humanitärer Hilfe
Die israelischen Streitkräfte blockierten oder behinderten absichtlich medizinische Notfallhilfe und humanitäre Unterstützung. Sie griffen Hilfskonvois und Verteilungszentren für Hilfsgüter sowie medizinisches Personal an. Dies führte dazu, dass die UNRWA und das Rote Kreuz ihre Arbeit im Gazastreifen während der Offensive einschränken mussten.

  • In den Tagen nach einem Angriff vom 5. Januar 2009 verbluteten mehrere Mitglieder der Familie al-Sammouni in ihrem Haus im al-Zaytoun-Viertel von Gaza-Stadt, weil die israelische Armee sich weigerte, Krankenwagen oder andere Hilfskräfte passieren zu lassen. Die Kinder lagen drei Tage lang ohne Nahrung und Wasser neben den Leichen ihrer toten Verwandten. Insgesamt starben 29 Mitglieder der Familie al-Sammouni.

Blockade des Gazastreifens - humanitäre Krise

Die seit Juni 2007 anhaltende Militärblockade des Gazastreifens durch Israel verschärfte die humanitäre Krise in der Region. Massenarbeitslosigkeit, extreme Armut, unsichere Versorgung mit Nahrungsmitteln und steigende Lebensmittelpreise aufgrund von Engpässen machten vier von fünf Bewohnern des Gazastreifens abhängig von humanitärer Hilfe aus dem Ausland. Das Ausmaß der Blockade und die Aussagen der israelischen Behörden zum Zweck der Maßnahme zeigten, dass die Abschottung eine Kollektivstrafe für die Bewohner des Gazastreifens darstellen sollte. Dies bedeutet eine grobe Verletzung des Völkerrechts.

Die Operation "Gegossenes Blei" verschärfte die Krise auf katastrophale Weise. Nach Ende der Kampfhandlungen behinderte die Blockade den Wiederaufbau des Gazastreifens erheblich. Dies führte zu einer weiteren Verschlechterung der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung. Es gab vermehrt Stromausfälle, was in der Sommerhitze vor allem in öffentlichen und medizinischen Einrichtungen große Probleme verursachte. Die Schulen waren teilweise überfüllt. Das ohnehin schon überlastete Gesundheitssystem sah sich angesichts der beschädigten Einrichtungen und der steigenden Nachfrage nach medizinischer Versorgung vor immer neue Herausforderungen gestellt. Es gab wenig bis gar keine Aussichten auf wirtschaftliche Erholung. Israel verweigerte den Bauern weiterhin den Zugang zu den Feldern, die 500m und weniger von der Grenze zwischen Gaza und Israel entfernt lagen. Außerdem wurde den Palästinensern verboten, weiter entfernt als 3 Seemeilen vor der Küste zu fischen.

Unter den Menschen, die durch die Blockade im Gazastreifen eingeschlossen waren, befanden sich auch schwerkranke Patienten, die dringend medizinische Hilfe benötigten, welche in den Kliniken des Gazastreifens nicht verfügbar war. Studierende und Arbeiter, die zu ihren Universitäten und Arbeitsplätzen im Westjordanland oder im Ausland reisen wollten, saßen ebenfalls fest.

  • Samir al-Nadim starb am 1. November 2009, nachdem seine Ausreise aus dem Gazastreifen für eine Herzoperation 22 Tage lang verzögert worden war. Als ihn die israelischen Behörden am 29. Oktober endlich passieren ließen, war er bereits bewusstlos und wurde künstlich beatmet. Er starb an Herzversagen in einem Krankenhaus in Nablus.

Einschränkungen im Westjordanland

Der Zaun/die Mauer im Westjordanland, etwa 700 km lang, schränkte den Zugang der Palästinenser zu Grundversorgungseinrichtungen, Arbeitsplätzen, Schulen und Ausbildungsstätten sowie zu medizinischer Versorgung weiterhin empfindlich ein. Ausgangssperren, rund 600 israelische Militärkontrollpunkte und Straßensperren sowie andere Hindernisse erschwerten das tägliche Leben.

Recht auf Wasser

Israel verweigerte den Palästinensern in den besetzten Gebieten weiterhin den Zugang zu einer ausreichenden Versorgung mit sauberem Trinkwasser. Diese Praxis behinderte die soziale und wirtschaftliche Entwicklung und stellte ein Gesundheitsrisiko für die Bewohner dar. Damit verletzte Israel seine Sorgfaltspflicht als Besatzungsmacht. Der Pro-Kopf-Verbrauch der palästinensischen Bevölkerung an Wasser betrug nicht einmal 70 Liter am Tag und lag damit deutlich unter dem von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Minimum von 100 Litern. Der Pro-Kopf-Verbrauch an Wasser in Israel lag viermal höher. Die israelische Armee zerstörte Berichten zufolge häufig Regenwasserauffangbecken, weil sie von der palästinensischen Bevölkerung angeblich ohne Genehmigung gebaut worden waren.

Zwangsräumungen

Die israelischen Streitkräfte zerstörten vor allem in Ost-Jerusalem viele Häuser mit der Begründung, sie seien ohne Baugenehmigungen errichtet worden. Entsprechende Genehmigungen wurden den palästinensischen Bewohnern auch weiterhin systematisch verweigert. Vor dem Abriss waren die palästinensischen Bewohner gezwungen worden, ihre Wohnungen zu verlassen. Gleichzeitig forcierte die israelische Regierung die Ausweitung der israelischen Siedlungen auf unrechtmäßig beschlagnahmtem palästinensischem Land. Auch die Beduinenbevölkerung in der Negev-Wüste wurde Opfer von rechtswidrigen Zwangsräumungen.

Anwendung unverhältnismäßiger Gewalt

Die israelischen Streitkräfte gingen mit exzessiver Gewalt gegen palästinensische Zivilisten vor. Dabei gab es zahlreiche Verletzte und einige Tote. Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas, gummiummantelte Metallgeschosse und scharfe Munition ein, obwohl oftmals weder für sie selbst noch für andere akute Gefahr bestand.

  • Am 17. April 2009 wurde Bassem Abu Rahmeh von einer mit hoher Geschwindigkeit auf ihn geschleuderten Tränengaspatrone getroffen. Er erlag auf der Stelle seinen inneren Blutungen. Der Mann hatte in Bil'in an einer wöchentlichen Demonstration gegen den Zaun/die Mauer teilgenommen; durch die Absperrung wird das Dorf Bil'in vom Großteil seiner landwirtschaftlichen Produktionsflächen getrennt. Eine Videoaufzeichnung beweist, dass Bassem Abu Rahmeh unbewaffnet war und keinerlei Gefahr darstellte. Die israelischen Streitkräfte kündigten eine Untersuchung des Todesfalls an.

Militärgerichtssystem

Haft ohne Gerichtsverfahren
Die Zahl der Palästinenser, die sich ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren in israelischen Gefängnissen befanden, sank von 564 im Januar auf 278 im Dezember 2009.

  • Der palästinensische Student Hamdi al-Ta'mari war am 18. Dezember 2008 im Alter von 16 Jahren von israelischen Soldaten mit vorgehaltener Waffe in seinem Haus in Bethlehem festgenommen worden. Bis zu seiner Freilassung am 14. Dezember 2009 befand er sich ohne Anklageerhebung im Ofer-Gefängnis in der Nähe von Ramallah im Westjordanland. Seine Familie gab an, er sei in der Haft getreten, geschlagen und anderweitig misshandelt worden.

Unfaire Gerichtsverfahren
Palästinenser aus den besetzten Gebieten, darunter auch Jugendliche, wurden weiterhin ohne Anwesenheit eines Rechtsbeistands verhört. Ihre Prozesse fanden überwiegend vor Militärgerichten und nicht vor Gerichten der Zivilbehörden statt. Das Recht der Angeklagten auf ein faires Verfahren war nicht gewahrt.

Haftbedingungen - Verbot von Familienbesuchen
Rund 900 palästinensische Gefangene durften nicht von ihren Familien besucht werden, weil es Bewohnern des Gazastreifens seit Verhängung der Blockade untersagt ist, nach Israel einzureisen. Einige der Gefangenen blieben deshalb bereits im dritten Jahr in Folge ohne Besuch.

Folter und andere Misshandlungen

Es gab weiterhin Berichte über Folterungen und Misshandlungen durch den Allgemeinen Sicherheitsdienst (General Security Service - GSS). Die Foltermethoden reichten dem Vernehmen nach von Schlägen und Schlafentzug bis zum Verharren in schmerzhaften Positionen über längere Zeiträume hinweg. Das israelische Recht legitimiert nach wie vor Folter, wenn diese als "notwendig" angesehen wird.

Straffreiheit

Israelische Soldaten, die Polizei und andere Sicherheitskräfte sowie israelische Siedler verübten schwere Menschenrechtsverstöße wie ungesetzliche Tötungen an Palästinensern und wurden dafür in der Regel nicht bestraft. Siedler schlugen auf Palästinenser ein, warfen Steine nach ihnen und beschädigten ihre Ernte und ihre Häuser. In seltenen Fällen wurde israelisches Sicherheitspersonal für schuldig befunden. Die Strafen fielen jedoch äußerst milde aus.

  • Im Juni 2009 zog die Staatsanwaltschaft die Klage gegen Ze'ev Braude aus der Siedlung Kiryat Arba in Hebron zurück, obwohl der Mann dabei gefilmt worden war, wie er zwei Palästinenser - Hosni Matriya und dessen 67-jährigen Vater Abed al-Hai - am 4. Dezember 2008 durch Schüsse schwer verletzt hatte.

Gewaltlose politische Gefangene - Israelische Wehrdienstverweigerer

Mindestens sechs israelische Wehrdienstverweigerer wurden 2009 inhaftiert, weil sie sich aus Protest gegen die Besetzung der palästinensischen Gebiete und das Vorgehen der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen geweigert hatten, in der israelischen Armee zu dienen. Israelische Nichtregierungsorganisationen, die sich für Wehrdienstverweigerer einsetzen, sahen sich zunehmend Schikanen ausgesetzt.

Am 29. Oktober erhielt Frau Or Ben David ihre erste Haftstrafe von 20 Tagen, nachdem sie sich geweigert hatte, in der Armee zu dienen. Ende des Jahres befand sie sich erneut im Gefängnis, nachdem zwei weitere Haftstrafen gegen sie ergangen waren.

Amnesty International: Missionen und Berichte

Delegierte von Amnesty International statteten Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten im Januar, Februar, Juni, Juli, Oktober und November Besuche ab.

Israel/OPT: The conflict in Gaza: A briefing on applicable law, investigations and accountability (MDE 15/007/2009)

Israel/OPT: Fuelling conflict - foreign arms supplies to Israel/Gaza (MDE 15/012/2009)

Israel/Gaza: Operation "Cast Lead": 22 days of death and destruction (MDE 15/015/2009)

Israel/OPT: Urgent steps needed to address UN Committee against Torture's concern (MDE 15/019/2009)

Troubled waters: Palestinians denied fair access to water (MDE 15/027/2009)

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