Anfragebeantwortung zum Irak: Siedlungsgebiete und Lage der JesidInnen [a-10009]

2. Februar 2017

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Wo leben die JesidInnen?

Das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (Office of the High Commissioner for Human Rights, OHCHR) schreibt in einem Bericht vom August 2016, dass die Gruppe Islamischer Staat (IS) im August 2014 den Norden des Irak eingenommen habe und dabei gezielt gegen die jesidische Gemeinschaft vorgegangen sei, wodurch tausende JesidInnen in ihren Dörfern in der Provinz Ninawa getötet oder gefangengenommen worden seien. Zehntausende seien zunächst auf den Berg Sindschar, viele andere seien in die Provinz Dohuk der Autonomen Region Kurdistan geflohen. Seit dieser Zeit seien geschätzt 360.000 JesidInnen weiterhin Binnenvertriebene, die nicht an ihre ursprünglichen Wohnorte zurückkehren könnten. Sie seien in dutzenden Lagern für Binnenflüchtlinge oder in Aufnahmegemeinschaften in der Autonomen Region Kurdistan verteilt. Quellen würden schätzen, dass zwischen 2.000 und 5.500 JesidInnen seit August 2014 vom IS getötet worden seien. Laut einer lokalen Behörde seien seit August 2014 circa 6.386 JesidInnen von IS-Kämpfern entführt worden. Mit dem Stand von Mai 2016 hätten es Berichten zufolge 2.587 JesidInnen geschafft, aus der IS-Gefangenschaft zu fliehen. Etwa 3.799 JesidInnen seien in Gefangenschaft verblieben, darunter 1.935 Frauen und 1.864 Männer. OHCHR habe diese Zahlen nicht eigenständig überprüfen können:

„In August 2014, the so-called Islamic State of Iraq and the Levant (ISIL) swept across northern Iraq. Over the course of the attack, ISIL members systematically targeted members of the Yezidi community, killing and capturing thousands from their villages located in Ninewa Governorate. Tens of thousands of residents fled first to Sinjar Mountain, while many others fled towards Dohuk Governorate of the Kurdistan Region of Iraq (KR-I). Since that time, an estimated 360,000 Yezidi remain displaced, unable to return to their places of origin. They continue to live in dozens of camps for internally displaced persons (IDPs) or in host communities located throughout the KR-I [Kurdistan Region of Iraq].“ (OHCHR, 18. August 2016, S. 4)

„Sources estimate that between 2,000 and 5,500 Yezidi have been killed by ISIL since 3 August 2014. According to a local authority, approximately 6,386 Yezidi were abducted by ISIL members on or after 3 August 2014 (3,537 women and 2,859 men). By mid-May 2016, 2,587 Yezidi had reportedly managed to escape ISIL captivity (934 women; 325 men; 658 girls; 670 boys). At the time of writing some 3,799 remained in ISIL captivity (1,935 women and 1,864 men). UNAMI [United Nations Assistance Mission for Iraq]/OHCHR was not able to independently verify these figures.“ (OHCHR, 18. August 2016, S. 7)

Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) erwähnt in seinem Bericht zur Religionsfreiheit vom August 2016 (Berichtszeitraum: 2015), dass laut Angaben von jesidischen Führungspersonen circa 350.000 bis 400.000 JesidInnen im Norden des Irak leben würden. Laut internationalen Quellen seien 17 Prozent der irakischen Binnenflüchtlinge JesidInnen:

„Yezidi leaders report most of the approximately 350,000 – 400,000 Yezidis reside in the north. […]

Difficulties in gaining access to internally displaced persons (IDPs) in areas of conflict, as well as the government’s limited capacity to register IDPs, mean estimates of religious minorities among the IDPs are imprecise. According to international sources, more than 60 percent of Iraqi IDPs are Arab Sunni, approximately 17 percent are Yezidi, approximately 8 percent are Turkmen Shia, approximately 3 percent are Arab Shia and 3 percent are Kurd Sunni.“ (USDOS, 10. August 2016, Section 1)

Raseef 22, eine in Beirut ansässige Onlinemedienplattform, die sich selbst als eine Seite beschreibt, die vom Arabischen Frühling inspiriert wurde und die versucht, durch für arabische Länder relevante Nachrichten eine kulturelle Lücke in der arabischen Medienlandschaft zu füllen, veröffentlicht im Mai 2016 einen Artikel zur Geschichte und zur derzeitigen Lage der jesidischen Gemeinschaft im Irak. Der Artikel erwähnt, dass laut Angaben des religiösen Oberhauptes der JesidInnen, Baba Scheich, die Anzahl der JesidInnen im Irak vor dem Angriff des IS bei 700.000 gelegen habe. Diese Anzahl sei allerdings geschätzt, da es seit mehr als zwei Jahrzehnten keine offiziellen Zählungen mehr gegeben habe. Vormals hätten JesidInnen in den Distrikten Sindschar, Scheichan, Talkif und in der Gegend der Stadt Baaschiqa (alle in der Provinz Ninawa), sowie in den beiden Distrikten Samil (Semile) und Sacho (Zakho) in der Provinz Dohuk gelebt. Jedoch aufgrund der Fluchtbewegungen, so Baba Scheich, seien JesidInnen nun in verschiedenen Städten und Orten der Autonomen Region Kurdistan verstreut, die meisten von ihnen würden in Flüchtlingslagern leben. (Raseef 22, 7. Mai 2016)

Lage der JesidInnen

In oben bereits erwähntem Bericht vom August 2016 schreibt das USDOS, dass die jesidische Gemeinschaft als religiöse Gruppe gesetzlich anerkannt und staatlich registriert sei. Daher dürfe die Gemeinschaft rechtliche Vertreter ernennen und Rechtsgeschäfte wie zum Beispiel den Kauf und Verkauf von Eigentum durchführen. Politische und zivilgesellschaftliche Vertreter der JesidInnen hätten weiterhin von Schikanen und Misshandlungen von Mitgliedern ihrer Gemeinschaft durch die Sicherheits- (Asayisch) und Militärtruppen (Peschmerga) der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG) in den Gebieten der Provinz Ninawa berichtet, die von der KRG kontrolliert würden oder zwischen der KRG und der irakischen Zentralregierung umstritten seien. Kurdische Sicherheitskräfte hätten Berichten zufolge Fürsprecher der jesidischen Gemeinschaft längere Zeit ohne ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren festgehalten. Jesidische Binnenflüchtlinge, die in den Lagern der Städte Zakho, Shikha und Aqra mehr Dienstleistungen gefordert hätten, hätten berichtet, dass kurdische Polizeikräfte dutzende Demonstranten mit Stöcken und Elektrokabeln geschlagen hätten. Menschenrechtsorganisationen sowie jesidische Führungspersonen hätten vormals getätigte Anschuldigungen wiederholt, dass die Behörden der Autonomen Region Kurdistan (ARK) bei der Verteilung von Hilfsgütern gegen Minderheitengemeinschaften diskriminieren würden. Laut Angaben des Ministeriums für religiöse Angelegenheiten der ARK würden 3.596 der 5.818 vom IS entführten JesidInnen entweder weiter von der Gruppe festgehalten oder ihr Aufenthaltsort sei unbekannt. Laut Angaben von religiösen Führern hätten Tötungen, Zwangskonvertierungen, Gewaltandrohungen und Einschüchterungen weiterhin viele Angehörige von Minderheiten dazu gebracht, vom IS kontrollierte Gebiete zu verlassen. Laut jesidischen BürgerrechtsaktivistInnen seien 400.000 JesidInnen wegen des IS in die Autonome Region Kurdistan geflohen.

Es habe, so USDOS weiters, zunehmend Berichte über religiös motivierte Spannungen in Lagern für Binnenflüchtlinge in der ARK gegeben. Im September 2015 seien jesidische Binnenflüchtlinge aus Sindschar und arabische Binnenflüchtlinge aus Mossul im Mamlian-Camp in der Provinz Dohuk an Auseinandersetzungen beteiligt gewesen, nachdem JesidInnen angegeben hätten, dass ein Imam beim Freitagsgebet in der Moschee ihre Religion beleidigt habe:

„The following religious groups are recognized by the law and thereby registered with the government: Islam, Chaldean, Assyrian, Assyrian Catholic, Syriac Orthodox, Syriac Catholics, Armenian Orthodox, Armenian Catholic, Roman Orthodox, Roman Catholic, Latin, National Protestant and Anglican, Evangelical Protestant Assyrian, Adventist, Coptic Orthodox, Yezidi, Sabaean-Mandaean, and Jewish. Recognition allows groups to appoint legal representatives and to perform legal transactions such as buying and selling property. […]

Yezidi, Christian, and Sunni political and civil society leaders continued to report harassment and abuses by KRG [Kurdistan Regional Government] Peshmerga and Asayish forces against their communities in the portion of Ninewa Province controlled by the KRG or contested between the central government and the KRG. KRG security forces reportedly detained Yezidi advocates and others for prolonged periods without due process. Displaced Yezidis demanding increased services at IDP camps in Zakho, Shikha, and Aqra cities reported Asayish forces had beaten dozens of demonstrators using sticks and electric cables. […]

Human rights NGOs and Yezidi leaders repeated previous allegations that KRG authorities discriminated against some minority communities in providing humanitarian assistance in the IKR [Iraqi Kurdistan Region]. […]

According to the KRG MERA [Ministry of Endowments and Religious Affairs], 3,596 of the 5,818 Yezidis (3,192 men; 2,626 women) captured by Da’esh during its 2014 attacks on Sinjar remained in Da’esh captivity or were unaccounted for. […]

According to religious leaders, killings, forced conversion, threats of violence, and intimidation continued to motivate many minorities to leave Da’esh-controlled areas. Yezidi civil rights activists reported 400,000 Yezidis fled to the IKR because of Da’esh.“ (USDOS, 10. August 2016, Section 2)

„There were increased reports of religious tensions within IDP camps throughout the IKR. For example, in September Yezidi IDPs from Sinjar and Arab IDPs from Mosul residing at Mamlian Camp in Dahuk province were involved in an altercation after Yezidis stated an imam insulted their religion during a Friday mosque service.“ (USDOS, 10. August 2016, Section 3)

BasNews, eine in Erbil, der Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan (ARK) ansässige Nachrichtenagentur, berichtet im Jänner 2016, dass sich jesidische Flüchtlinge in den Flüchtlingslagern der Provinz Dohuk über mangelnde Dienstleistungen und schwierige Lebensumstände beschwert hätten. Sie hätten auch darauf hingewiesen, dass die Regionen, in denen sie vorher gelebt hätten, noch immer nicht befreit worden seien und sich einige von ihnen noch unter Kontrolle des IS befinden würden. Besonders in der Region Sindschar (Schingal), aus der die größte Anzahl der jesidischen Flüchtlinge stamme und die von Peschmerga-Truppen befreit worden sei, fehle es an grundlegenden Dienstleistungen. Die Infrastruktur sei in den Kämpfen zerstört worden und erschwere die Rückkehr von Flüchtlingen.

Ein jesidischer Aktivist in einem Flüchtlingslager bei Sacho (Zakho) in der Provinz Dohuk habe angeführt, dass die Hilfe humanitärer Organisationen sehr begrenzt sei, und es nicht viele Organisationen gebe, die den JesidInnen helfen würden, sondern Organisationen entstanden seien, die von dem „Problem“ der JesidInnen profitieren würden. Die jesidischen Flüchtlinge seien nicht nur aus Sindschar, sondern auch aus Baaschiqa, Bahsani und Talkif gekommen. Sie alle würden hier in Zelten leben, von denen einige heruntergekommen seien, andere Feuer gefangen hätten und weitere von Wind und Regen zerstört worden seien, was dazu geführt habe, das manche Familien nicht einmal mehr ein Zelt hätten. Die ARK habe bis zu zwei Millionen Binnenflüchtlinge aufgenommen, von den jesidischen Flüchtlingen sei der größte Teil in die Stadt Dohuk und in den Distrikt Sacho geflüchtet. Die meisten von ihnen seien in Flüchtlingslagern untergebracht, die die kurdische Regionalregierung errichtet habe. Die Finanzkrise, in der sich die ARK derzeit befinde, zeige Auswirkungen auf die Bereitstellung von Dienstleistungen und Hilfsgütern für die Bewohner der Flüchtlingslager. (BasNews, 25. Jänner 2016)

 

Masarat, eine irakische NGO mit Fokus auf Minderheitenrechten und interreligiösem Dialog, erwähnt in einem im April 2016 veröffentlichten Bericht zu Gewalt gegen Minderheiten im Irak, dass Behörden Verstöße gegen Minderheitenrechte nur selektiv verurteilen würden. Ein Beispiel dafür sei das Fehlen einer offiziellen Verurteilung der wiederholten Angriffe, von denen JesidInnen in Bagdad betroffen gewesen seien. Daher würden auch nichtstaatliche Akteure wie bewaffnete Gruppen und Milizen dazu ermutigt, Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Als Beispiel hierfür wird das Vorgehen gegen JesidInnen in Bagdad genannt, für das niemand zu Rechenschaft gezogen worden sei und es keine Untersuchungen gegeben habe:

„Among other indicators is the selectivity in condemning violations of minority rights by official authorities, as it appears that the religious or ethnic background of the victim affects conviction and not the act of violation itself. An example of this is the absence of official condemnation of the repeated attacks that took place in Baghdad against the Yezidis. […]

These factors also encourage non-state actors, such as armed groups or militias operating under or outside an official umbrella to commit violations. An example of this is the targeting of the Yezidis in Baghdad, which remained outside the scope of accountability and there were no investigations into them, as well as the kidnapping of the Mandaeans and Christians for ransom.“ (Masarat, April 2016, S. 40-41)

Die britische Tageszeitung The Guardian berichtet im Oktober 2016 über die derzeitige Lage der vor dem Angriff der Gruppe Islamischer Staat (IS) mehrheitlich von der jesidischen Gemeinschaft bewohnten Stadt Sindschar im Nordwesten des Irak. Die Stadt sei zerstört, ganze Straßen würden in Trümmern liegen und darunter könnten sich nicht explodierte Sprengvorrichtungen verbergen. Ein Jahr zuvor sei die Stadt Sindschar und die umliegende Region, ein zentrales Gebiet der jesidischen Gemeinschaft, vom IS befreit worden. Seitdem habe es aber nur wenige Aufräumarbeiten, und keinen Wiederaufbau oder offizielle Untersuchungen der gefundenen Massengräber gegeben. Öffentliche Dienste seien nicht wiederhergestellt worden und es sei kein Aufruf an Flüchtlinge erfolgt, zurückzukehren. Laut Angaben eines lokalen Regierungssprechers seien 70 Prozent der Stadt zerstört. Da ein Aufräumen und ein Wiederaufbau teurer seien, als direkt von neuem zu beginnen, gebe es die Idee, ein neues Sindschar zu bauen und das alte als Mahnmal zu belassen. Ein großes Hindernis für einen Wiederaufbau von Sindschar sei die Frontlinie, die immer noch in nur ein paar Kilometer Entfernung verlaufe. Die Straßen der Stadt seien weiter in Reichweite der Mörsergranaten. Der IS habe kürzlich versucht, zwei Selbstmordangriffe in der Stadt zu verüben, die zwar gescheitert seien, aber wahrscheinlich dem Ziel hätten dienen sollen, Truppen aus dem Kampf um die Stadt Mossul abzulenken. Selbst auf der anderen Seite des Bergmassivs Sindschar, wo Hunderttausende vor den Kämpfern des IS im August 2014 Zuflucht gesucht hätten, seien nach wie vor 2.000 Flüchtlinge untergebracht. JesidInnen würden nur zögerlich ihre Leben den kurdischen Peschmerga-Kämpfern anvertrauen, die damals vor dem IS von ihren Posten geflohen seien und die Jesiden den Massakern des IS überlassen hätten. Kaum mehr Vertrauen bestehe in die irakische Armee.

Als der IS im August 2014 die Gegend um Sindschar eingenommen habe, seien syrisch-kurdische Kämpfer die Ersten gewesen, die die Jesiden mit Waffen verteidigt hätten. So hätten sie sich enorme Popularität unter der lokalen Bevölkerung verschafft, seien aber gleichzeitig auf bittere Ablehnung vonseiten der kurdischen Regionalregierung gestoßen. Beide Seiten hätten weitläufig unter den Jesiden rekrutiert und dutzende ihrer Kämpfer würden sich nun um den Berg Sindschar gegenüberstehen. Die Gegend sei übersät mit rivalisierenden Checkpoints, Postern gegnerischer Märtyrer und nervösen Wachtposten. Diese unsichere Lage habe möglicherweise auch allen Versuchen ein Ende gesetzt, die Wasser- und Elektrizitätsversorgung wiederherzustellen, Schulen wieder zu öffnen und hunderttausende Flüchtlinge dazu zu bewegen, zurückzukehren:

„Ten minutes’ drive away is the ruined city of Sinjar, where whole streets lie in rubble, shop shutters are still branded with the religion of their owners – Islamic State marked them so that militants knew where to loot – and every tangle of steel and stone could hide an unexploded bomb. Sinjar and the region around it in northern Iraq, a centre for the minority Yazidi group and symbol of their suffering under ISIS, was liberated nearly a year ago. But since then there has been little clearance, no rebuilding, and no formal investigation of the mass graves that have been found – although some are now marked by wire fence or tape. There has been no restoration of public services or call for refugees to return. […]

‘Seventy percent of the city is destroyed. There is an idea to build a new Sinjar and keep this just for a memorial,‘ said local government spokesman Nasir Pasha Khalaf. ‘Clearing this and rebuilding will be more expensive than just starting again.‘ […]

One big obstacle to the rebuilding of Sinjar is the frontline still just a few kilometres away. Its streets are still within mortar range. ISIS recently launched two failed but bold suicide assaults on the city, perhaps trying to draw troops and focus away from the battle for Mosul. […]

Even on the other side of the massive Sinjar mountain, which sheltered hundreds of thousands from ISIS in August 2014 and still houses more than 2,000 refugees, there is fear and suspicion. Yazidis are reluctant to entrust their lives again to the Kurdish peshmerga forces, who effectively abandoned them to massacres and sexual slavery by fleeing their posts as ISIS advanced. They have little more faith in the Iraqi army. […]

Syrian Kurdish fighters who had been trying to stake out a presence in the area before ISIS swept in were the first group to take up arms for Yazidis, winning huge popular support from locals but bitter resentment from the government of Iraqi Kurdistan, and igniting simmering rivalry into full-blown confrontation. The two groups have since recruited widely from among Yazidis, and their dozens of fighters face off around the mountain. The area is dotted with rival checkpoints, billboards of competing martyrs and jumpy guards. The showdown appears to have blocked any attempt to restore power or water, restart schools or encourage the hundreds of thousands of refugees stranded in camps to return home.“ (Guardian, 31. Oktober 2016)

Die international tätige Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) berichtet im Dezember 2016, dass die kurdische Regionalregierung (KRG) unverhältnismäßige Einschränkungen des Güterverkehrs in und aus dem Distrikt Sindschar, dem Zentrum der jesidischen Minderheit, verfügt habe. Laut Angaben von Behördenvertretern der KRG sei diese über Aktivitäten der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) besorgt, die zumeist aus jesidischen Kämpfern bestehende Truppen in Sindschar unterhalte und sich de facto frei über die Grenze zu Syrien bewegen könne. Jedoch würden laut HRW solche pauschalen Restriktionen nicht im Verhältnis zu Sicherheitserwägungen stehen und den Zugang zu Nahrung, Wasser, Lebensunterhalt und anderen Grundrechten unnötig einschränken:

„The Kurdistan Regional Government (KRG) in Iraq has placed disproportionate restrictions on the movement of goods into and out of the district of Sinjar, the center for Iraq’s Yezidi religious minority. KRG officials say that the KRG is concerned about the activities of the Kurdistan Workers’ Party (PKK), an armed Kurdish militant organization that has forces in Sinjar, mostly made up of Yezidi fighters, and has de facto free movement across the border into Syria. But, just two years after the people of the district were subjected to violent attacks and abuses by the Islamic State (also known as ISIS), blanket KRG restrictions disproportionate to any possible security considerations are causing unnecessary harm to people’s access to food, water, livelihoods, and other fundamental rights.“ (HRW, 4. Dezember 2016)

Die internationale Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) meldet im Dezember 2016 Folgendes über die Festnahme einer Jesidin in der Autonomen Region Kurdistan:

„Die 34-jährige Jesidin Bassema Darwish Khidr Murad überlebte eine Entführung durch die bewaffnete Gruppe Islamischer Staat (IS) und wird mit ihrer kleinen Tochter nach wie vor willkürlich im Frauen- und Jugendgefängnis in Erbil in der irakischen Region Kurdistan festgehalten. Sie wird am 21. Februar 2017 vor das Zweite Strafgericht von Erbil gestellt, dort werden die Anklagen gegen sie unter dem Antiterrorgesetz der kurdischen Regionalregierung verhandelt. Die kurdischen Behörden haben einen Rechtsbeistand für Bassema Darwish gestellt. Die Suche nach einem Rechtsbeistand ihrer Wahl zur Sicherstellung einer angemessenen Verteidigung war von den kurdischen Behörden behindert worden. Laut ihrem staatlich bestellten Rechtsbeistand wird ihr vorgeworfen, einer terroristischen Vereinigung anzugehören und an der Tötung von Mitgliedern der als Peschmerga bekannten kurdischen Streitkräfte beteiligt gewesen zu sein. […]

Verlässlichen Quellen zufolge wurde Bassema Darwish Khidr Murad im Rahmen eines Militäreinsatzes der Peschmerga-Kämpfer_innen zur Rückerlangung der Kontrolle über die Stadt Zumar festgenommen. Bassema Darwish Khidr Murad wurde in eine Hafteinrichtung der Einheit zur Terrorismusbekämpfung in Erbil gebracht, wo sie ihre Tochter Nour Hussein Haydar Khalifkou zur Welt brachte. Laut den kurdischen Behörden töteten Kämpfer des IS drei Angehörige der Peschmerga, darunter einen Offizier, als diese in ein Haus eindrangen, in dem Bassema Darwish festgehalten worden war und das sie als leer beschrieben hatte. Ihr wird daher auf der Grundlage von Gesetz 3/2006 (Antiterrorgesetz) vorgeworfen, für diese Tötungen verantwortlich zu sein.“ (AI, 20. Dezember 2016)

Amnesty International berichtet ebenfalls im Dezember 2016, dass der IS infolge der Eroberung von Sindschar Jesiden entführt und versklavt und zwangskonvertiert habe. Die Gruppe habe Burschen, darunter auch jesidische Gefangene, indoktriniert, rekrutiert und in Kampfhandlungen eingesetzt. Hunderte würden immer noch vermisst. Tausende jesidische Frauen und Mädchen seien von ihren Verwandten getrennt und an IS-Kämpfer im Irak und Syrien „verschenkt“ oder „verkauft“ worden. Laut Schätzungen lokaler Politiker, Aktivisten und Versorgungsdienstleister seien bis zu 3.800 Frauen und Kinder weiterhin in IS-Gefangenschaft:

„As IS advanced on towns and villages in Sinjar in August 2014, Yezidis who did not manage to escape faced abduction, enslavement, and forced conversion. Hundreds of Yezidi men from the region were captured and shot dead in cold blood. The group indoctrinated and recruited boys, including Yezidi captives, using them in battle. Hundreds are still missing. Thousands of abducted Yezidi women and girls, some as young as nine, were separated from their relatives and then ‘gifted‘ or ‘sold‘ to other IS fighters in Iraq and Syria. Local politicians, activists and care-providers estimate that some 3,800 women and children remain in IS captivity.“ (AI, 22. Dezember 2016)

HRW berichtet im Jänner 2017, dass Yazda, eine prominente NGO, die Jesiden in der Stadt Dohuk unterstütze, von den Sicherheitsbehörden der kurdischen Regionalregierung (KRG) geschlossen worden sei. Obwohl die Behörden angegeben hätten, Yazda nach einer Warnung zur Befolgung der Regeln, die die Autonome Region Kurdistan NGOs vorgebe, geschlossen zu haben, hätten Mitarbeiter von Yazda gesagt, dass sie keine solche Warnung erhalten hätten. Die Behördenmitarbeiter hätten keinen Grund zur Schließung angegeben und keine Angaben dazu gemacht, wie lange die NGO geschlossen bleiben werde. Eine der NGO nahestehende Person habe vermutet, dass die Schließung mit dem Yazdas Plan zusammenhängen könne, als Teil eines größeren Programms des United Nations Development Programme (UNDP) mindestens 3.000 Familien in Sindschar mit Hilfsgütern zu versorgen. HRW habe bereits darüber berichtet, dass die kurdische Regionalregierung die Ein- und Ausfuhr von Lebensmitteln, Benzin und Autoteilen in der Region Sindschar einschränke. Dies habe laut Angaben der Regionalregierung damit zu tun, dass Hilfsgüter in die Hände der bewaffneten Gruppe Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gelangen könnten, die Truppen in Sindschar stationiert habe:

„Yesterday, a prominent nongovernmental organization supporting the Yezidi religious minority said it was shut down by security officers from the Kurdistan Regional Government (KRG). The organization, called Yazda, is located in the city of Dohuk in the Kurdistan Region of Iraq. Three KRG officers came to the offices and told staff the organization was now ‘closed.‘ Although Kurdish authorities claimed they closed down Yazda after warning it to abide by KRG rules governing NGOs, Yazda staff said that they received no such warning. Rather, they said officers provided no reason, no paperwork, and no information on how long it was being closed. The officers put locks on the doors to prevent staff from coming back. One person close to the organization told me he suspected that the decision stemmed from Yazda’s plan to support at least 3,000 families in Sinjar with livelihood materials, as part of a larger United Nations Development Programme (UNDP) project. Sinjar is an important Yezidi area that was overrun by the Islamic State, also known as ISIS, in August 2014. In December, Human Rights Watch issued a report on the KRG’s severe restrictions on goods, such as food, fuel, and car parts in and out of Sinjar. The UNDP project directly challenges that policy. When we wrote the report, the KRG said it was concerned about aid ending up with an armed Kurdish group, the Kurdistan Workers’ Party, with forces in Sinjar.“ (HRW, 3. Jänner 2017)

 

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 2. Februar 2017)

·      AI - Amnesty International: Further Information on Urgent Action: 210/16 [MDE 14/5390/2016], 20. Dezember 2016
http://www.amnesty.de/urgent-action/ua-210-2016-2/erzwungenes-beweismaterial?destination=node/5309?support_type=&node_type=&country=&topic=&from_month=0&from_year=&to_month=0&to_year=&submit_x=69&submit_y=5&resu

·      AI - Amnesty International: Iraq: Nowhere to turn, 22. Dezember 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/334019/475702_de.html

·      BasNews: nazihun shingaliyoun fi dohuk yashakkuna li-basnews sucubat al-hayat fi-l-mukhayyimat [Flüchtlinge aus Sindschar beschweren sich gegenüber BasNews über das schwere Alltagsleben in den Lagern in Dohuk], 25. Jänner 2016
http://www.basnews.com/index.php/ar/reports/255456

·      Guardian: Sinjar still gripped by fear a year after liberation from ISIS, 31. Oktober 2016
https://www.theguardian.com/world/2016/oct/31/fear-and-suspicion-haunt-sinjar-a-year-after-liberation-from-isis-mosul

·      HRW - Human Rights Watch: Iraq: KRG Restrictions Harm Yezidi Recovery - Disproportionate Limits on Goods Entering, Leaving Sinjar, 4. Dezember 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/333115/474678_de.html

·      HRW - Human Rights Watch: Kurdish Officials Shut Down Group Aiding Yezidis - Closure Comes as Humanitarian Needs in Iraq and Iraqi Kurdistan Soar, 3. Jänner 2017 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/334412/476136_de.html

·      Masarat Foundation: Violence Against Minorities in Iraq, April 2016
http://masaratiraq.org/wp-content/uploads/2016/10/vol-5-E.pdf

·      OHCHR - UN Office of the High Commissioner for Human Rights: A Call for Accountability and Protection: Yezidi Survivors of Atrocities Committed by ISIL, 18. August 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1472022722_unami-ohchr-report-yezidi-survivors-a-call-for-justice-final-12aug2016.pdf

·      Raseef 22: al-‘izidiyoun…khauf min al-muslimin wa calaqa multabisa bi-l-akrad [die Jesiden… Angst vor Muslimen und ungewisses Verhältnis zu Kurden], 7. Mai 2016
http://raseef22.com/life/2016/05/07/%D8%A7%D9%84%D8%A5%D9%8A%D8%B2%D9%8A%D8%AF%D9%8A%D9%88%D9%86-%D8%AE%D9%88%D9%81-%D9%85%D9%86-%D8%A7%D9%84%D9%85%D8%B3%D9%84%D9%85%D9%8A%D9%86-%D9%88%D8%B9%D9%84%D8%A7%D9%82%D8%A9-%D9%85%D9%84%D8%AA/

·      USDOS - US Department of State: 2015 Report on International Religious Freedom - Iraq, 10. August 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/328414/469193_de.html