Anfragebeantwortung zu Ägypten: Staatliche Repressionen im Falle einer Missionstätigkeit eines Kopten [a-9804-2 (9805)]

31. August 2016

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Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Bericht zur Religionsfreiheit vom August 2016 (Berichtszeitraum: 2015), dass die ägyptische Regierung bei Muslimen, die schon von Geburt an Muslime seien, die Konversion zu einer anderen Religion nicht anerkenne und gesetzlich bestrafe. Obwohl es nicht gesetzlich verboten sei, Muslime zu missionieren, instrumentalisiere die Regierung das Verbot der „Verunglimpfung der Religionen“ („denigrating religions“), um Personen, die öffentlich missionieren würden, strafrechtlich zu verfolgen. Dabei würde sie laut Menschenrechtsgruppen eine sehr weite Interpretation der „Verunglimpfung“ anwenden. Die Verfassung schreibe den Islam als Staatsreligion und die islamischen Prinzipien der Scharia als Hauptquelle der Gesetzgebung vor. Am 10. Juli 2015 seien drei christliche Männer, von denen einer 16 Jahre alt gewesen sei, in Alexandria wegen „Verunglimpfung der Religion“ festgenommen worden, nachdem einer von ihnen angeblich Handzettel mit Auszügen aus der Bergpredigt verteilt habe. Einer Menschenrechtsgruppe und mehreren Zeitungsberichten zufolge habe ein Muslim einen der Männer festgehalten, körperlich angegriffen, und für mehr als eine Stunde in einen Laden gesperrt, bevor er ihn zur Polizeistation gebracht habe. Der junge Mann habe zwei christliche Freunde angerufen, die bei der Ankunft in der Polizeistation selber festgenommen worden seien. Sie seien laut Presseberichten an einen Strafverfolger wegen Verdachts auf „Diffamierung der Religion und neuer Arten der Missionierung unter Muslimen“ überwiesen worden. Alle drei Angeklagten seien am 12. Juli gegen eine Kaution von jeweils 10.000 ägyptischen Pfund (1.250 US-Dollar) freigelassen worden. Die Regierung habe im Allgemeinen ausländische Mitarbeiter religiöser Organisationen unter der Bedingung, Muslime nicht zu missionieren, toleriert. Laut verschiedenen Quellen hätten nichtmuslimische Minderheiten sowie ausländische Mitarbeiter religiöser Organisationen das Missionieren unterlassen, um das Risiko strafrechtlicher Konsequenzen oder außerrechtlicher Nachwirkungen vonseiten der Behörden oder von örtlichen Islamisten zu vermeiden:

„The government does not recognize conversion from Islam by citizens born Muslim to any other religion and imposes legal penalties on Muslim-born citizens who convert. While there is no legal ban on efforts to proselytize Muslims, the government uses the penal code’s prohibition of “denigrating religions” to prosecute those who proselytize publicly, often adopting an overly expansive interpretation of denigration, according to human rights groups. The constitution specifies Islam as the state religion and the principles of sharia as the primary source of legislation.“ (USDOS, 10. August 2016, Executive Summary)

„On July 10 in Alexandria, three young Christian men, one of whom was 16, were arrested on charges of denigration of Islam after one of the three distributed flyers containing an excerpt from the Sermon on the Mount. According to a local human rights group and press reports, a Muslim man detained one of the men, assaulted him physically, locked him in a store for more than an hour, and then took him to a police station. The youth called two Christian friends who joined him at the police station, and who were then detained. The three were then referred to prosecutors on suspicion of “defamation of religions and new ways of proselytizing among Muslims,” according to press reports. All three were released on a bail of 10,000 Egyptian pounds ($1,250) each on July 12. […]

The government generally tolerated foreign religious workers on the condition they did not undertake efforts to proselytize Muslims. Sources stated non-Muslim minorities and foreign religious workers generally refrained from proselytizing to avoid risking legal penalties and extralegal repercussions from authorities and local Islamists.“ (USDOS, 10. August 2016, Section 2)

Freedom House, eine in den USA ansässige NGO, die zu den Themen Demokratie, politische Freiheit und Menschenrechte forscht und sich für diese einsetzt, schreibt in ihrem Bericht Freedom in the World vom Jänner 2016 (Berichtszeitraum: 2015), dass Übergriffe gegen Kopten sich im Jahr 2015 fortgesetzt hätten, wobei es zahlreiche Fälle von Vertreibung, körperlichen Angriffen, Bombenanschlägen und Brandstiftung, sowie von Bausperren für Kirchen gegeben habe. Christen seien wegen Missionierung verhaftet worden und ähnliche Vorwürfe gegen Schiiten hätten zur Auflösung einer Wohltätigkeitsorganisation und zur Festnahme eines Aktivisten geführt:

„Abuses against Copts continued in 2015, with numerous cases of forced displacement, physical assaults, bomb and arson attacks, and blocking of church construction. Christians were also arrested on charges of proselytizing, and similar allegations against Shiites led to the closure of a charity and the arrest of an activist.“ (Freedom House, 27. Jänner 2016)

Esshad, eine Datenbank des in Washington ansässigen Tahrir Institute for Middle East Policy (TIMEP), die Informationen zu konfessionellen Übergriffen in Ägypten sammelt, berichtet in einem kurzen Überblick zu Ägyptens Blasphemiegesetzen vom März 2016 ebenfalls über den Fall der drei oben erwähnten Christen (16, 22 und 24 Jahre) aus Alexandria. Fawzi Osama, einer der drei Christen, habe bei Sonnenuntergang im Fastenmonat Ramadan Datteln an Muslime ausgeteilt, als ein Journalist ihn festgenommen, seinen Personalausweis konfisziert und ihn zur Polizeistation gebracht habe. Osama habe zwei Freunde angerufen, die, als sie ihm zu Hilfe gekommen seien, selbst festgenommen worden seien. Man habe alle drei jungen Männer unter anderem angeklagt, „moderne Methoden der Missionierung“ anzuwenden. Der Journalist habe Fawzi Osama angeblich gedroht und gesagt, dass er mit ihm und seiner Familie noch abrechnen („deal with“) werde. Am 24. Februar habe ein Familienmitglied mitgeteilt, dass die Anklage gegen die drei Christen fallengelassen worden sei. Esshad berichtet weiters über den Fall eines Küsters, Medhat Ishaq, der Berichten zufolge im August 2015 vor einem Einkaufszentrum Bibeln verteilt habe. Am 9. August sei er angeblich in Besitz von neun Ausgaben der Bibel von Sicherheitskräften festgenommen und vier Tage festgehalten worden. Ishaq sei angeklagt worden „Religion zu instrumentalisieren, um interkonfessionelle Konflikte anzuheizen und dem nationalen Zusammenhalt zu schaden“. Am 10. August habe die Staatsanwaltschaft seine Festnahme um 15 Tage verlängert und gegen ihn eine weitere Anklage wegen „Beleidigung der Religion“ erhoben. Nach einer weiteren 15-tägigen Verlängerung der Untersuchungshaft habe das Gericht am 7. September seine Freilassung gegen eine Kaution von 300 ägyptischen Pfund (circa 34 Euro nach damaligem Wechselkurs, Anm. ACCORD) angeordnet:

„On July 10, 2015, Fawzi Osama, was detained by a journalist, Mahmoud Abdel Halim Mousa, who took him to the Sidi Bishr Police Station after confiscating Osama’s national identification card. Osama had been passing out dates to Muslims breaking their fast at sunset during Ramadan. Osama then called two of his friends, Stephen and Shadi, who arrived at the station to help Osama and were subsequently arrested and detained. They were kept until 1 a.m. on July 13,when they were each released on bail of LE10,000. All three boys (ages 24, 22, and 16) were charged with contempt of religion and using modern methods to proselytize. Allegedly the journalist threatened Fawzi saying ‘I won’t let you go. The police will deal with you and I will deal with you and your family.‘ On February 24, 2016, a family member announced that the case against Osama, Stephen, and Shady had been dropped.

Arrest of Church Custodian Reportedly Handing Out Bibles Outside of a Mall (August 2015) A church custodian, Medhat Ishaq, was detained for four days after being arrested on August 9, 2015, by security forces outside of the Mall of Arabia in Sixth of October City while allegedly in possession of nine copies of the Bible. Security forces accused Ishaq of standing outside of the mall and proselytizing. The man, who is from Beni Ebeid in Minya, is facing accusations of “the exploitation of religion for the purposes of inciting sectarian strife and harming national unity.” On August 10, prosecution extended Ishaq’s detention for another 15 days and added a new charge of “defamation of religion.” On August 24, 2015, the Sixth of October Misdemeanor Court extended Ishaq’s pretrial detention for another 15 days. The Misdemeanor Court ordered his release on bail of LE300 on September 7, 2015.“ (Eshhad, März 2016, S. 4-5)

Die unabhängige ägyptische Tageszeitung Al-Masry Al-Youm berichtet im August 2015 ebenfalls über die Festnahme von Medhat Ishaq. Die Untersuchungen der Sicherheitskräfte hätten ergeben, dass Ishaq durch „Frequentierung öffentlicher Plätze“ und „Einladung von Bürgern zum Glauben“ eine neue Form der Missionierung zum Christentum betreibe. Laut der Staatsanwaltschaft habe der Angeklagte während der Untersuchungen zugegeben, die beschlagnahmten Bibeln besessen zu haben, und dass er diese an junge Christen verteilt habe, um sie Gott näherzubringen. (Al-Masry Al-Youm, 9. August 2015)

 

Copts Today, eine arabischsprachige Nachrichtenwebsite zum Thema KoptInnen und koptische Kirche in Ägypten und in der Welt, berichtet im Juli 2015, dass der Präsident der Organisation „Ägyptische Union für Menschenrechte“, Naguib Gabra’il, einen „Skandal im Innenministerium“ öffentlich gemacht habe, bei dem ein koptischer Angestellter von seinem Posten in der Behörde für zivilrechtliche Angelegenheiten des Innenministeriums auf einen Posten außerhalb des Ministeriums zurückgestuft worden sei. Im Ministerium habe der Angestellte 30 Jahre lang ohne einen einzigen Fehltritt gearbeitet. Gabra’il habe angegeben, dass einige Kollegen auf Fragen des Angestellten, warum er in ein Verwaltungsbüro der Provinz Kairo versetzt worden sei, geantwortet hätten, dass es Gerüchte gebe, dass er missioniere. Gabra’il frage sich, was denn diese „Mode“ des Missionierens sei, die gerade vorherrsche, und einen Anklagepunkt darstelle, den es im Gesetz nicht gebe. In dem Zusammenhang habe er auch die drei Männer aus Alexandria erwähnt, die wegen Missionierung angeklagt und vor drei Tagen wieder freigelassen worden seien. (Copts Today, 15. Juli 2015)

 

Al-Masry Al-Youm berichtet in einem älteren Artikel vom Mai 2013, dass die Strafverfolgungsbehörde der Stadt Luxor eine viertägige Untersuchungshaft einer 23-jährigen koptischen Volksschullehrerin angeordnet habe. Sie sei angeklagt, den Propheten beleidigt und die Religion verunglimpft zu haben sowie unter ihren muslimischen Schülern missioniert zu haben. Es seien bereits mehrere Zeugen angehört worden, die die gegenüber der Lehrerin erhobenen Anklagepunkte bestätigt hätten. Drei ihrer Schüler aus der vierten Volksschulklasse hätten am 11. April der örtlichen Polizei gemeldet, dass die Lehrerin während ihres Unterrichts über monotheistische Religionen versucht habe, unter ihren muslimischen Schülern zu missionieren. (Al-Masry Al-Youm, 9. Mai 2013)

 

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 31. August 2016)

·      Al-Masry Al-Youm: Viertägige Festnahme einer koptischen Lehrerin wegen “Beleidigung des Propheten und Missionierung zum Christentum in Luxor [habs mudarrisa qibtiya 4 ayam li-ittihamiha bi-ihanat al-rusul wa-l-tabshir bi-l-masihiya fi-l-aqsar], 9. Mai 2013
http://www.almasryalyoum.com/news/details/314363

·      Al-Masry Al-Youm: Festnahme eines Kirchendieners in Minya wegen Anklage der Anstiftung konfessioneller Konflikte [habs khadim kanisa fi-l-minya bi-tuhmat itharat al-fitna], 9. August 2015
http://www.almasryalyoum.com/news/details/789604

·      Copts Today: “Vorwurf der Missionierung” bringt einen koptischen Angestellten nach 30 Jahren Dienstzeit mit sauberer Bilanz zu Fall [“tuhmat al-tabshir” tutih bi-muwadhdhaf qibti bacd 30 caman min al-khidma dun jaza’ wahid], 15. Juli 2015
http://www.coptstoday.com/Copts-News/Detail.php?Id=119804

·      Eshhad: Issue Brief: Egypt’s Blasphemy Laws, März 2016
http://eshhad.timep.org/wp-content/uploads/2015/08/Blasphemy_MR_WEB.pdf

·      Freedom House: Freedom in the World 2016 - Egypt, 27. Januar 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/327686/468426_de.html

·      USDOS - US Department of State: 2015 Report on International Religious Freedom - Egypt, 10. August 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/local_link/328410/469189_de.html