Anfragebeantwortung zu Somalia: Allgemeine Informationen zum Clan der Bajuni [a-9735-1]

12. Juli 2016

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Die im Mai 2010 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Somalia des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR), erwähnen, dass der Begriff „Minderheitengruppen“ in verschiedenen Quellen unterschiedlich definiert werde. Unter diesen Begriff würden aber generell unter anderem die Bajuni fallen:

„Significant numbers of Somalis are not members of any clan or are broadly grouped as ‘Sab’ or ‘non-Samaal’. These include people of Arab-Persian descent in coastal cities, Somali-speaking people of slavery heritage, and Islamic Somali-speaking people of non-Somali ancestry along the Shabelle River. The definition of ‘minority groups’ varies between sources, but are generally held to include Bantu/Jareer (including Gosha, Makane, Shiidle, Reer Shabelle, Mushunguli); Bravenese, Rerhamar, Bajuni, Eeyle, Jaaji/Reer Maanyo, Barawani, Galgala, Tumaal, Yibir/Yibro, Midgan/Gaboye (Madhibaan; Muuse Dhariyo, Howleh, Hawtaar).” (UNHCR, 5. Mai 2010)

Die Minority Rights Group International (MRG), eine internationale Menschenrechtsorganisation, die sich für die Rechte von ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten und indigenen Völkern weltweit einsetzt, erwähnt in einem Bericht vom Jänner 2015, dass die marginalisierte Gemeinschaft der Bajuni, die vor allem in Kismayo und auf den Bajuni-Inseln lebe („concentrated in Kismayo and the Bajuni islands“), zur Gruppe der Benadiri zähle. Die Bajuni-Bevölkerung bestehe nur aus wenigen Tausend Personen, deren Muttersprache Kibajuni sei:

Benadiri: […] This minority includes a number of different groups: […] There is also the marginalized Bajuni community, concentrated in Kismayo and the Bajuni islands, with a population of only a few thousand, whose mother tongue is Kibajuni.” (MRG, 29. Jänner 2015, S. 10)

In einem Bericht des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO) vom August 2014 wird Folgendes hinsichtlich der Bajuni erwähnt:

„Die Bajuni sind eine Fischergemeinschaft, die auf den BajuniInseln im äußersten Süden Somalias und in Kismayo lebt. Sie sprechen Kibajuni, einen KiswahiliDialekt.“ (EASO, August 2014, S. 49)

Markus Höhne, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ethnologie an der Universität Leipzig, erwähnt in einem im April 2014 veröffentlichten Artikel, dass die Bajuni in kleinen Gemeinschaften entlang des indischen Ozeans und auf einigen der größeren Inseln zwischen Kismayo und Mombasa (Kenia) gesiedelt hätten. Die Bajuni seien eine kleine Gruppe von nur ein paar Tausend Personen. Ihre Abstammung sei gemischt arabisch, bantu, somalisch und eventuell malaysisch. Ihre Muttersprache sei Kibajuni, ein Dialekt des Suaheli:

The last group to be mentioned here are the Bajuni. They resided in small communities along the Indian Ocean and on some of the larger offshore islands between Kismayo (Somalia) and Mombasa (Kenya). The Bajuni are a small group of only a few thousand people. They are of mixed Arab, Bantu, Somali and perhaps Malaysian origin and their mother tongue is Kibajuni, which is a dialect of Swahili (Cassanelli 1995).” (Höhne, 14. April 2014, S. 769)

Das Innenministerium des Vereinigten Königreichs, das UK Home Office, schreibt in seinem im März 2015 veröffentlichten Bericht zu Mehrheitsclans und Minderheitengruppen in Somalia unter Bezugnahme auf mehrere Quellen, dass mit Stand 2003 die Bajuni eine kleine unabhängige ethnische Gemeinschaft von etwa 3.000 oder 4.000 Personen, bestehend überwiegend aus Seemännern und Fischern, gewesen seien. Sie hätten in Kismayo und auf den Bajuni-Inseln Jula, Madoga, Satarani, Raskamboni, Bungabo, Dudey, Koyoma und Jovay gewohnt. In der Vergangenheit hätten die Bajuni erheblich unter somalischen Milizgruppen gelitten, hauptsächlich unter der Milizgruppe der Marehan, die versucht habe, die Bajuni von den Inseln zu vertreiben. UNHCR habe 2012 angeführt, dass die Frage der Kontrolle der Bajuni-Inseln kompliziert sei. Die Inseln würden sich von Kismayo bis zur kenianischen Grenze erstrecken. Auf den Inseln selbst gebe es keine Präsenz der al-Schabaab, der somalischen Regierung oder Kenias, obwohl es dort al-Schabaab-SympatisanthInnen gegeben habe. 2003 sei berichtet worden, dass, obwohl Marehan-SiedlerInnen weiterhin die Inseln besetzten würden („occupy“), die Bajuni als bezahlte ArbeiterInnen für die Marehan arbeiten könnten. Im Wesentlichen hätten Bajuni eher unter der Verweigerung des wirtschaftlichen Zugangs seitens somalischer Clans zu leiden als durch direkte missbräuchliche Behandlung:

„Bajuni

As of 2003, the Bajuni were a small independent ethnic community of perhaps 3,000 or 4,000 who were predominantly sailors and fishermen. They lived in Kismayo and the islands of Jula, Madoga, Satarani, Raskamboni, Bungabo, Dudey, Koyoma and Jovay (Bajuni Islands).

In the past the Bajuni suffered considerably at the hands of Somali militia, principally Marehan militia who tried to force them off the islands. The UNHCR observed in February 2012 that the question of who now controls the Bajuni Islands was complicated. The islands stretch from Kismayo to the Kenyan border. On the islands themselves, there is no Al-Shabaab, Somali national Government or Kenyan presence although there were Al-Shabaab sympathizers. In 2003, it was reported that though Marehan settlers still occupy the islands, Bajuni can work for the Marehan as paid labourers. Essentially the plight of the Bajuni is based on the denial of economic access by Somali clans, rather than outright abuse.” (UK Home Office, März 2015, S. 33-34)

Es gebe laut dem UK Home Office nur eingeschränkt Informationen zur Bevölkerung auf den Bajuni-Inseln, obwohl ein Bericht von Landinfo aus dem Jahr 2010 anführe, dass die Inseln von einer gemischten Bevölkerung bewohnt würden. Laut Angaben einer internationalen Hilfsorganisation in Nairobi aus dem Jahr 2008 würden auch Somali auf den Inseln leben, und obwohl es Fälle von Eheschließungen zwischen somalischen Männern und Frauen, die den Bajuni angehören würden, gebe, sei behauptet worden, dass die örtliche Bajuni-Bevölkerung von somalischen Geschäftsmännern ausgebeutet werde. Die Hauptabteilung Sicherheit der Vereinten Nationen (United Nations Department of Safety and Security, UNDSS) habe mit Stand Oktober 2012 über keine Informationen zur Kontrolle der Bajuni-Inseln verfügt. Im Jahr 2010 habe Landinfo berichtet, dass die Bajuni in Mogadischu, im Bezirk Hamarweyne, vertreten seien. Sie seien zudem in früheren somalischen Parlamenten vertreten gewesen:

„There is limited information about the circumstances of the current Bajuni populations though the LANDINFO report (2010) does suggest that the Islands are mixed populations, ‘Somalis also live on the islands today and, even though there are instances of marriages between Somali men and Bajuni women on the islands, it has been claimed that the local Bajuni population is being exploited by Somali businessmen (interview with international aid organisation, Nairobi 2008).’ The United Nations Department of Safety and Security (UNDSS) had no information on who is controlling the Bajuni islands as of October 2012.

In 2010 Landinfo reported that the Bajuni currently have a presence in Mogadishu (Hamarweyne district). They have also had representatives in previous Somali parliaments. The standing of their elders is also confirmed as of 2010.” (UK Home Office, März 2015, S. 33-34)

Markus Höhne erwähnt in seinem oben bereits zitierten Artikel vom April 2014, dass es den Bajuni laut Cassanelli [Historiker mit Spezialisierung auf Horn von Afrika, Anm. ACCORD] trotz des Bürgerkriegs zumindest eine gewisse Zeit lang einigermaßen gut gegangen („fared somewhat well“) sei. Sie hätten Anfang der 1990er-Jahre („the early 1991s“) keine besonders schweren Angriffe erlitten, weil ihnen ihre maritime Mobilität dabei geholfen habe, viele Gefahren zu vermeiden. Cassanelli habe angegeben, einige Bajuni hätten sogar Geld mit dem Transport von Flüchtlingen auf ihren Fischerbooten von Brava und Kismayo nach Kenia verdient. Auf lange Sicht hätten die Bajuni aber aufgrund ihres untergeordneten gesellschaftlichen und politischen Status gelitten. Viele Bajuni seien in Flüchtlingslager nach Kenia geflüchtet, insbesondere rund um Mombasa:

One minority group that, according to Cassanelli, fared somewhat well despite the civil war (at least for a time) were the Bajuni. They did not suffer particularly heavy attacks in the early 1991s because their maritime mobility helped them to avoid many dangers. Cassanelli (1995, n.p.) found: ‘Some even earned money – as much as US $400 per passenger, transporting refugees from places like Brava and Kismayu to Kenya in their fishing boats.’ In the longer run, however, Bajuni also suffered due to their inferior social and political status. Many of them eventually fled to refugee camps in Kenya, particularly around Mombasa.” (Höhne, 14. April 2014, S. 799)

Die Norwegian Organisation for Asylum Seekers (NOAS), eine NGO, die sich für die Interessen von AsylwerberInnen in Norwegen einsetzt, erwähnt in einem Bericht zu einer Fact-Finding-Mission vom April 2014, dass die Voices of Somaliland Minority Women Organisation (VOSOMWO) angegeben habe, dass unter anderem die Bajuni zu den besonders gefährdeten Minderheiten („particularly vulnerable minorities“) in Somalia zählen würden:

„Several sources stated that particularly vulnerable minorities in Somalia include Midgan/Gaboye, Bantu, Tumal, Reer Hama, Ashraf and Yibir. VOSOMWO [Voices of Somaliland Minority Women Organisation] added Bajuni, Eyle, and Tunni, and INGO (G) also included Madhiban.” (NOAS, April 2014, S. 46)

Die internationale Organisation für Migration (International Organization for Migration, IOM) schreibt im Februar 2014, dass die Gruppen der Bantu, Benadir, Gaboye und Bajuni einen Teil der ethnischen Minderheiten in Somalia bilden würden. Vor dem Konflikt seien sie großteils isoliert und nicht mobil gewesen und hätten nur wenig mit den größeren Clans interagiert. Jedoch seien diese Minderheitengruppen traditionell in unterschiedlichem Ausmaß von Diskriminierung durch die größeren Clans betroffen gewesen und seien aufgrund ihrer traditionellen Berufe im Allgemeinen gesellschaftlich und politisch ausgeschlossen worden. Die Minderheitengruppen seien während des Konflikts [ab 1991, Anm. ACCORD] von einem steigendem Level von Vertreibungen auf Clanbasis („clan-based expulsions“) und gewaltsamer Vertreibung betroffen gewesen.

„The Bantu, Benadir, Gaboye and Bajuni groups form part of Somalia’s ethnic minorities. Prior to the conflict they were largely isolated and immobile and had little interaction with major clans. However, these minority groups have traditionally experienced varying levels of discrimination by the major clans and have been generally socially and politically excluded based on traditional occupations. Given the impunity of absent rule of law during the conflict, the minority groups have faced increasing levels of clan-based expulsions and forced displacement.” (IOM, Februar 2014, S. 9)

Die Weltbank schreibt in einem Bericht zu Vertreibung in Somalia von 2014, dass ab dem Juni 1999 viele Bajuni gezwungen gewesen seien, zu fliehen. Einige Bajuni seien nach Bossaso in Puntland geflohen. 2002 sei berichtet worden, dass Marehan-Siedler weiterhin die Bajuni-Inseln kontrollieren würden:

„Displacements occurred on a smaller scale at the local or regional level mostly in Gedo, Juba regions and Shabelle regions. A main event being the powershift in Kismayo in June 1999 when the militia commanded by General Said Hersi ‘Morgan’ was evicted by the Juba Valley Alliance comprising of Merehan and Habr Gedir. This led to displacement of Majerteen and Harti communities. The minority Bajuni clan was also displaced from Kismayo and many fled to Bosasso.” (World Bank, 2014, S. 46)

„With the fall of Kismayo in June 1999 to allied Somali National Alliance and Somali National Front forces, a Bajuni ‘alliance’ with the Somali Patriotic Movement was destroyed and Bajuni property on the islands was looted by militias, forcing many Bajuni to flee. Some Bajuni made their way to Bossaso in Puntland. In 2002, it was reported that recent Marehan settlers still control the islands: ‘Bajuni can work for the Marehan as paid labourers, which is at least an improvement over the period when General Morgan’s forces controlled Kismayo and the islands, when the Bajuni were treated by the occupying Somali clans as little more than slave labour.’” (World Bank, 2014, S. 46, Fußnote 104)

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 12. Juli 2016)

·      EASO - European Asylum Support Office: South and Central Somalia: Country Overview, August 2014 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/4543_1435819133_coi-somalia-de.pdf

·      Höhne, Markus V.: Continuities and changes regarding minorities in Somalia (veröffentlicht in Ethnic and Racial Studies), 14. April 2014

·      IOM - International Organization for Migration: Dimensions of Crisis on Migration in Somalia, Februar 2014
http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Dimensions-of-Crisis-on-Migration-in-Somalia.pdf

·      MRG - Minority Rights Group International: Looma Ooyaan – No One Cries for Them: The Predicament Facing Somalia’s Minority Women, 29. Jänner 2015 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1422888544_mrg-report-somalia-jan2015.pdf

·      NOAS - Norwegian Organisation for Asylum Seekers: Persecution and Protection in Somalia, April 2014
http://www.noas.no/wp-content/uploads/2014/04/Somalia_web.pdf

·      UK Home Office: Country Information and Guidance; South and central Somalia: Majority clans and minority groups, März 2015 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1427284958_cig-som-clans-and-mgs-march-2015.pdf

·      UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Somalia, 5. Mai 2010 (verfügbar auf UNHCR Refworld)
http://www.refworld.org/docid/4be3b9142.html

·      World Bank: Analysis of Displacement in Somalia, 2014 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1425564211_932380wp0p12640t0dc0edits009012014.pdf