Anfragebeantwortung zu Somalia: Informationen zum Clan der Shiidle [Shidle] (Verbreitungsgebiet, Clanstruktur, besondere Merkmale, Berufe) [a-9645]

12. Mai 2016

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

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In einem von ACCORD im Dezember 2009 veröffentlichten Bericht zu Clans in Somalia (basierend auf einem Vortrag von Dr. Joakim Gundel) wird Folgendes hinsichtlich der Shiidle erwähnt:

„Die Bantu leben vornehmlich in den südlichen Gebieten, in denen vor allem Ackerbau betrieben wird, und werden je nach Ort unterschiedlich – etwa als Gosha, Makane, Shiidle, Reer Shabelle oder Mushungli - bezeichnet. Sie sprechen eine Bantu-Sprache, einige ihrer Mitglieder sprechen daneben Arabisch. Allgemein versuchen somalische nomadische Clans, Minderheitengruppen zu assimilieren, um sie zu kontrollieren. In Bezug auf die Bantu (auf deren Ausbeutung zwecks Landbewirtschaftung die ‚noblen‘ nomadischen Clans abzielen) ist jedoch unter vielen nomadischen Clans die Vorstellung verbreitet, dass diese wegen ihrer zu großen ‚Andersartigkeit‘ nicht assimilierbar seien und daher marginalisiert werden müssten. Dies führte zu einer Situation, in der Angriffe auf Bantu straflos blieben. Diese Verhältnisse haben sich mittlerweile geändert, unter anderem deshalb, da manche Bantu-Gruppen damit begonnen haben, sich zu organisieren und zu bewaffnen. An bestimmten Orten haben Bantu daher an Macht gewonnen und sind dort in der Lage, sich selbst zu verteidigen. Andernorts ist dies jedoch nicht der Fall.“ (ACCORD, 15. Dezember 2009, S. 18)

Die dänische Einwanderungsbehörde (Danish Immigration Service, DIS) stuft die Shiidle in einem Bericht vom September 2000 als Bantu ein:

„There are a number of well-known Bantu groups that are not attached and have not been swallowed up by the non-Bantu Somali clans. All of these Bantu groups are referred to as lineage-groups: • Shabelle • Shiidle • Kabole • Mushunguli • Gabaweyn (Garbaweyn) • Eyle (Eile) • Makane“ (DIS, 24. September 2000, S. 32)

Die im Mai 2010 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Somalia des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR), erwähnen, dass der Begriff „Minderheitengruppen“ in verschiedenen Quellen unterschiedlich definiert werde. Unter diesen Begriff würden aber generell die Bantu/Jareer fallen, zu denen unter anderem die Shiidle gezählt würden:

„Significant numbers of Somalis are not members of any clan or are broadly grouped as ‘Sab’ or ‘non-Samaal’. These include people of Arab-Persian descent in coastal cities, Somali-speaking people of slavery heritage, and Islamic Somali-speaking people of non-Somali ancestry along the Shabelle River. The definition of ‘minority groups’ varies between sources, but are generally held to include Bantu/Jareer (including Gosha, Makane, Shiidle, Reer Shabelle, Mushunguli); Bravenese, Rerhamar, Bajuni, Eeyle, Jaaji/Reer Maanyo, Barawani, Galgala, Tumaal, Yibir/Yibro, Midgan/Gaboye (Madhibaan; Muuse Dhariyo, Howleh, Hawtaar).” (UNHCR, 5. Mai 2010)

Laut einem von Joakim Gundel gemeinsam mit Ahmed A. Omar Dharbaxo verfassten Bericht, der im November 2006 vom Danish Refugee Council (DRC) veröffentlicht wurde, seien die Shiidle eine vom Ackerbau geprägte Gruppe, die an den Ufern des Flusses Shabelle in der Region Middle Shabelle lebe. Ihre genaue Herkunft sei nicht klar. Es werde weiterhin debattiert, ob die Shiidle ursprünglich aus diesem Gebiet stammen würden oder von den Arabern „importierte“ Bantu seien. Sie seien stärkeren Völkern untergeordnet gewesen und oftmals als Sklaven behandelt worden. Ihre Xeer [traditionelle Rechtsprechung durch Dorfälteste, Anm. ACCORD] sei das Ergebnis einer langen historischen Adaptierung hinsichtlich ihrer Koexistenz mit den nomadischen Abgaal-Clans und den halbsesshaften, sowohl Viehwirtschaft als auch Ackerbau betreibenden Mobleen. Die Shiidle hätten einen Suldaan und hätten zudem die nomadische Struktur mit Nabadoon, Samadoon und einem Akhyaar [Suldaan, Nabadoon, Samadoon und Akhyaar sind mit der traditionellen Rechtsprechung befasste Dorfälteste, Anm. ACCORD] adaptiert. Die Shiidle würden „af-maxatiri” sprechen. Diese Sprache sei aber sicherlich nicht ihre ursprüngliche Sprache. Sie hätten ihre Xeer zwar an jene der Nomaden angeglichen, jedoch würden sie intern nie „mag“ [Blutgeld, Anm. ACCORD] bezahlen oder einen Täter töten. Stattdessen werde der Familie eines Täters lediglich auferlegt für die Begräbniskosten des Opfers aufzukommen:

„The Shiidle is an agricultural people who resided along both banks of the Shabelle River in Middle Shabelle long before the Somali pastoralists arrived. However, their exact origin is not quite clear. Whether they originally came from the area or are Bantus imported by the Arabs from further south in East Africa is still an open debate. Nevertheless, they have always been sub-ordinated by other stronger people, and often treated as slaves. Their xeer are therefore the result of a long historical adaptation to their coexistence with the pastoralist Abgaal clans and the agro-pastoralist Mobleen. The Shiidle has a Suldaan, and has adapted the nomadic structure by also having Nabadoon and Samadoon, and finally an Akhyaar. They do speak af-maxatiri, which however certainly is not their original language. They have adapted their xeer to the nomads, however internally they never pay mag nor kill a perpetrator. Instead, the family of a perpetrator is only fined to pay for the funeral costs of the victim.” (DRC, November 2006, S. 36)

Die nomadischen Clans hätten die Shiidle „jene, über die niemand weint“ und „jene, die niemand rächt“ genannt, so der Bericht des DRC weiters. Daher hätten die Shiidle das Regime des Mohamed ‘Dheere’ [Kriegsherr, Anm. ACCORD] gutgeheißen. Sie hätten im Austausch für Schutz Steuern bezahlt. In Jowhar sei das Regime wegen der Verbesserung der Sicherheitslage - besonders von Frauen und ackerbauenden Minderheiten, die unter willkürlichen Angriffen und der Dominanz der Gruppe der Abgaal gelitten hätten – begrüßt worden:

„After the state collapsed, the nomads […] just trespassed through cultivated land, and went to the extent of raping Shiidle women with impunity. The nomadic clans called the Shiidle for looma ooye meaning ‘the ones no one cries for’ and looma aare meaning ‘the ones no one will revenge’. This was largely the background that made the Shiidle welcome the regime of Mohamed ‘Dheere’, to whom they paid taxes in exchange of protection and re-establishment of the old xeer.

In Jowhar, the capital of Middle Shabelle region, the regime of Mohamed ‘Dheere’ was generally praised, because of the improvements in security that his regime introduced, especially for women and the agriculturalist minorities who suffered severely from the arbitrary attacks and domination by the Abgaal pastoralists. They accepted the heavy taxes they paid to Mohammed ‘Dheere’ in exchange for the security he could provide. In exchange he received high taxes, and a high income from the resulting increase in agricultural production. Security was tightly controlled as in a dictatorship regime, and was based on a rule of fear. He established a council of elders of all the various communities residing in the Middle Shabelle.” (DRC, November 2006, S. 36 - 37)

In einer von Mohamed A. Eno an der Universität St. Clements verfassten Dissertation zur Gemeinschaft der Bantu in Somalia von 2005 wird erwähnt, dass Shanloow und Dhaxoow zwei Ortschaften der Gemeinschaft der Shidle Jareer in der Region Middle Shabelle seien:

„Shanloow and Dhaxoow are two villages of the Shidle Jareer community in Middle Shabelle region. They are at times read together as ‘Shanloow – Dhagaxow’ without the conjunction.“ (Eno, 2005, S. 135)

Weiters erwähnt Eno, dass sesshafte, landwirtschaftlich geprägte Stämme vormals im Zwischenstromland [Flüsse Shabelle und Juba, Anm. ACCORD] gesiedelt hätten. Reste dieser Suaheli-sprechenden Bantu-Bevölkerung würden heute noch unter den Shidle am Fluss Shabelle leben:

„Sedentary agricultural tribes settled in the inter-riverine area and akin to the North-Eastern Coastal Bantu formed one component. And residues of this Bantu, and Swahili-speaking population, supplemented by slaves from further south freed by the suppression of the slave trade at the end of the nineteenth century, survive today in the Shidle, Kaboole, Reer ‘Iise, Makanni and Shabelle peoples, on the Shabelle River, and on the Juba River in the WaGosha and Gobweyn.” (Eno, 2005, S. 135)

In einem im März 2014 veröffentlichten gemeinsamen Bericht zu einer Fact-Finding-Mission nach Nairobi (Kenia) und Mogadischu (Somalia) im November 2013 führen die dänische Einwanderungsbehörde (Danish Immigration Service, DIS) und das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo an, dass eine international Behörde hinsichtlich kürzlich erfolgter Konflikte in Jowhar zwischen den Abgal und Shiidle angegeben habe, dass es bei diesen Konflikten grundsätzlich um die Kontrolle von Wirtschaftsgütern, wie landwirtschaftliche Nutzflächen, Wasserquellen und Hafenstädte, gehe:

Referring to the recent conflict in Jowhar between the Abgal and the Shiidle as well as the ongoing tensions in Galkayo between the Habr Gedir and the Majerteen sub-clan Omar Mahamoud the international agency (A) made the point that these conflicts are essentially about control of economic assets such as agricultural land, water points, and port cities.” (DIS, März 2014, S. 16)

In einem Bericht der Beobachtungsgruppe zu Somalia und Eritrea an den UNO-Sicherheitsrat vom Oktober 2014 wird erwähnt, dass im Jahr 2013 clan-basierte politische Gewalt in den Regionen Lower Shabelle und Middle Shabelle ausgebrochen und eskaliert sei. In Middle Shabelle seien Clanmilizen der Abgaal (Hawiye) und der Shiidle (Bantu/Jareer) an den Kämpfen beteiligt gewesen und es sei zu Angriffen auf zivile Siedlungen gekommen:

„In addition, clan-based political violence broke out and sharply escalated from 2013 to the present in Lower Shabelle and Middle Shabelle. The fighting has involved clan militias of the Biyamal (Dir) and Habar Gedir (Hawiye) in Lower Shabelle and the Abgaal (Hawiye) and Shiidle (Bantu/Jareer) in Middle Shabelle and led to attacks on civilian settlements amounting to gross violations of human rights and, in some cases, international humanitarian law.” (UN Security Council, 13. Oktober 2014, S. 8)

In einem Brief des Vorsitzenden des Ausschuss des Sicherheitsrats nach den Resolutionen 751 (1992) und 1907 (2009) betreffend Somalia und Eritrea an den UNO-Sicherheitsrat vom Oktober 2015 wird erwähnt, dass die Landkonflikte zwischen den dominierenden Abgaal (Hawiye) und der Minderheit der Shiidle (Bantu) in der Region Middle Shabelle im Jahr 2015 offensichtlich von Konflikten innerhalb des Clans der Abgaal abgelöst worden seien:

„Land-related conflict in Middle Shabelle Region between the dominant Abgaal (Hawiye) clan and minority Shidle (Bantu) communities appear to have been superseded by intra-Abgaal clashes in 2015.” (UN Security Council, 19. Oktober 2015, S. 15)

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 12. Mai 2016)

·      ACCORD: Clans in Somalia - Bericht zum Vortrag von Dr. Joakim Gundel beim COI-Workshop in Wien am 15. Mai 2009 (überarbeitete Neuausgabe), 15. Dezember 2009 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1261131016_accord-bericht-clans-in-somalia-ueberarbeitete-neuausgabe-20091215.pdf

·      DIS - Danish Immigration Service: Report on Minority Groups in Somalia, 24. September 2000 (verfügbar auf UNHCR Refworld)
http://www.unhcr.org/refworld/docid/3ae6a5fa0.html

·      DIS - Danish Immigration Service; Landinfo: Update on security and protection issues in Mogadishu and South - Central Somalia; Including information on the judiciary, issuance of documents, money transfers, marriage procedures and medical treatment; Joint report from the Danish Immigration Service’s and the Norwegian Landinfo’s fact finding mission to Nairobi, Kenya and Mogadishu, Somalia 1 to 15 November 2013, März 2014 (veröffentlicht von DIS, verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1394700246_mogadishuandsouthcentralsomalia2014final.pdf

·      DRC – Danish Refugee Council: The predicament of the ‘Oday’; The role of traditional structures in security, rights, law and development in Somalia (Autoren: Joakim Gundel und Ahmed A. Omar Dharbaxo), November 2006
http://www.logcluster.org/sites/default/files/documents/Gundel_The%2520role%2520of%2520traditional%2520structures.pdf

·      Eno, Mohamed A.: The Homogeneity Of The Somali People: A Study Of The Somali Bantu Ethnic Community, 2005
http://www.stclements.edu/grad/gradeno.pdf

·      UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Somalia, 5. Mai 2010 (verfügbar auf UNHCR Refworld)
http://www.refworld.org/docid/4be3b9142.html

·      UN Security Council: Report of the Monitoring Group on Somalia and Eritrea pursuant to Security Council resolution 2111 (2013): Somalia [S/2014/726], 13. Oktober 2014 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1426687824_n1452986-727.pdf

·      UN Security Council: Letter dated 9 October 2015 from the Chair of Security Council Committee pursuant to resolutions 751 (1992) and 1907 (2009) concerning Somalia and Eritrea addressed to the President of the Security Council, 19. Oktober 2015
http://www.securitycouncilreport.org/atf/cf/%7B65BFCF9B-6D27-4E9C-8CD3-CF6E4FF96FF9%7D/s_2015_801.pdf