Torture Archipelago; Arbitrary Arrests, Torture and Enforced Disappearances in Syria's Underground Prisons since March 2011

Details zu 27 Haftanstalten: Lage, Name der Befehlshaber, Foltermethoden
 
3. Juli 2012
 
(New York) – Ehemalige Häftlinge und Überläufer haben Angaben zu Lage, verantwortlicher Behörde, eingesetzten Foltermethoden und vielfach sogar dem verantwortlichen Befehlshaber für 27 Hafteinrichtungen der syrischen Geheimdienste gemacht. Die von Human Rights Watch dokumentierten systematischen Muster von Misshandlung und Folter deuten darauf hin, dass dieses Vorgehen Teil der offiziellen Politik ist und deshalb ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt.

Der 78-seitige Bericht „Torture Archipelago: Arbitrary Arrests, Torture and Enforced Disappearances in Syria’s Underground Prisons since March 2011“ stützt sich auf über 200 Interviews, die Human Rights Watch seit Beginn der regierungskritischen Demonstrationen in Syrien im März 2011 durchführte. Der Bericht enthält Karten mit den Positionen der Hafteinrichtungen, Videos von Aussagen ehemaliger Häftlinge und schematische Zeichnungen der Foltermethoden, die von zahlreichen Opfern und Augenzeugen beschrieben wurden.

„Die Geheimdienste betreiben ein Netz von Folterzentren, die über das ganze Land verteilt sind“, so Ole Solvang, Human Rights Watch-Experte für Krisenregionen. „Wir veröffentlichen deren Lage, beschreiben die dort eingesetzten Foltermethoden und nennen ihre Leiter beim Namen, um ihnen klar zu machen, dass sie sich für diese schrecklichen Verbrechen verantworten müssen.“

Die Lage der Folterzentren auf Satellitenfotos: Damaskus, Homs, Idlib, Aleppo, Dara, Latakia.

Human Rights Watch rief den UN-Sicherheitsrat auf, die Lage in Syrien an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zu überweisen und gezielte Sanktionen gegen Beamte zu verhängen, die nach glaubwürdigen Informationen in die Verstöße verwickelt sind.

In dem Bericht werden nur jene Einrichtungen genannt, bei denen mehrere Zeugen übereinstimmende Angaben zur Lage machten und die eingesetzten Foltermethoden im Detail beschrieben. Die tatsächliche Anzahl von Hafteinrichtungen, die von den Geheimdiensten genutzt werden, ist wahrscheinlich deutlich höher.

Praktisch alle ehemaligen Häftlinge, die Human Rights Watch befragte, sagten, sie seien während ihrer Haft selbst gefoltert worden oder seien Zeuge geworden, wie andere Gefangene gefoltert wurden. Diejenigen, die die Verhöre führten, Wärter und andere Beamte setzten ein breites Spektrum von Foltermethoden ein. So wurden Opfern über längere Zeiträume Schläge, oft mit Objekten wie Stangen und Kabeln, zugefügt oder man fixierte sie über längere Zeit in schmerzhaften Zwangshaltungen. Außerdem seien Elektroschocks, Verätzungen mit Säure, das Abziehen von Fingernägeln und Scheinhinrichtungen eingesetzt worden. Zusammengenommen dokumentierte Human Rights Watch über 20 verschiedene Foltermethoden, die von Sicherheits- und Geheimdienstkräften angewendet wurden.

In den meisten Fällen wurden die befragten Ex-Häftlinge mehrerer dieser Foltermethoden unterworfen. Ein 31-Jähriger, der im Juni im Regierungsbezirk Idlib verhaftet wurde, schilderte gegenüber Human Rights Watch, wie Geheimdienstbeamte ihn im Zentralgefängnis von Idlib folterten:

„Sie zwangen mich, mich auszuziehen. Dann begannen sie, meine Finger mit Zangen zu quetschen. Dann schossen sie mir Heftklammern in Finger, Oberkörper und Ohren. Ich durfte sie erst herausnehmen, wenn ich bereit war, zu reden. Die Klammern in den Ohren taten am schlimmsten weh. Über zwei Kabel, die mit einer Autobatterie verbunden waren, gaben sie mir Elektroschocks. Zweimal benutzten sie Elektroschockpistolen an meinen Genitalien. Ich dachte, ich würde meine Familie nie wieder sehen. Auf diese Weise folterten sie mich über drei Tage insgesamt dreimal.“

Obwohl die meisten von Human Rights Watch befragten Folteropfer junge Männer zwischen 18 und 35 Jahren waren, gehörten zu den Opfern auch Kinder, Frauen und Senioren.

Die Recherchen von Human Rights Watch ergaben, dass sich die schlimmsten Folterfälle in den Haftanstalten ereigneten, die von den vier wichtigsten Geheimdiensten betrieben werden, die oft pauschal als mukhabarat bezeichnet werden:

  • der militärische Nachrichtendienst (Shu`bat al-Mukhabarat al-`Askariyya);
  • das Direktorat für politische Sicherheit (Idarat al-Amn al-Siyasi);
  • das Direktorat für allgemeine Sicherheit (Idarat al-Mukhabarat al-`Amma); und
  • das Direktorat für den Geheimdienst der Luftwaffe (Idarat al-Mukhabarat al-Jawiyya).

Jede dieser vier Behörden unterhält eine Zentrale in Damaskus und regionale, städtische und lokale Abteilungen im gesamten Staatsgebiet. Zu praktisch allen dieser Abteilungen gehören Hafteinrichtungen verschiedener Größe.

Alle von Human Rights Watch befragten Zeugen beschrieben Haftbedingungen, die schon für sich allein genommen eine Form von Misshandlung, in manchen Fällen sogar von Folter, darstellen. Dazu gehören extreme Überbelegung, unzureichende Ernährung und die routinemäßige Verweigerung medizinischer Versorgung. Ein in dem Bericht enthaltenes 3D-Modell veranschaulicht die von einem Ex-Häftling beschriebene Überfüllung einer Zelle, die klar gegen internationale Rechtsnormen verstößt.

Die Personen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübten oder diese anordneten, tragen nach internationalem Recht eine persönliche strafrechtliche Verantwortung für ihre Taten. Gleiches gilt für Vorgesetzte, deren Untergebene Verbrechen verübt haben, wenn sie von den Taten wussten bzw. hätten wissen müssen und diese dennoch weder verhindert noch bestraft haben. Diese Befehlsverantwortung gilt nicht nur für die leitenden Beamten in den Hafteinrichtungen, sondern auch für die Leiter der Geheimdienstbehörden, Mitglieder der Regierung und den Staatschef, Präsident Baschar al-Assad.

Da Syrien das Römische Statut zur Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs nicht ratifiziert hat, kann die Rechtsprechung über Verbrechen in Syrien nur durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrats an das Tribunal übertragen werden. Alle dahingehenden Bemühungen im UN-Sicherheitsrat wurden bislang jedoch durch Russland und China blockiert.

„Das Ausmaß und die Unmenschlichkeit dieses Folternetzwerks sind erschütternd“, so Solvang. „Russland soll die Menschen, die dafür verantwortlich sind, nicht in Schutz nehmen.“

Die folgende Tabelle listet die Einrichtungen auf, in denen der Einsatz von Folter dokumentiert wurde, und nennt zudem Lage, verantwortliche Behörde und Befehlshaber:

Behörde

Name der Unterabteilung

Stadt

Leiter

Militärgeheimdienst

Unterabteilung 215

Damaskus

Brigadegeneral Sha’afiq

Militärgeheimdienst

Unterabteilung 227

Damaskus

Generalmajor Rustom Ghazali

Militärgeheimdienst

Unterabteilung 291

Damaskus

Brigadegeneral Burhan Qadour (im Mai 2012 abgelöst durch Brigadegeneral Yousef Abdou)

Militärgeheimdienst

Unterabteilung 235 („Palästina“)

Damascus

Brigadegeneral Muhammad Khallouf

Militärgeheimdienst

Unterabteilung 248

Damaskus

unbekannt

Militärgeheimdienst

Unterabteilung 245

Dara

Oberst Loaial-Ali

Militärgeheimdienst

Unterabteilung Aleppo

Aleppo

Not identified

Militärgeheimdienst

Unterabteilung 271

Idlib

Brigadegeneral Nawfel al-Hussein

Militärgeheimdienst

Unterabteilung Homs

Homs

Muhammad Zamreni

Militärgeheimdienst

Unterabteilung Latakia

Latakia

unbekannt

Geheimdienst der Luftwaffe

Unterabteilung Flughafen Mezzeh

Damaskus

Brigadegeneral Abdul Salam Fajr Mahmoud (Direktor der Abteilung Ermittlungen)

Geheimdienst der Luftwaffe

Unterabteilung Bab Touma

Damaskus

unbekannt

Geheimdienst der Luftwaffe

Unterabteilung Homs

Homs

Brigadegeneral Jawdat al-Ahmed

Geheimdienst der Luftwaffe

Unterabteilung Dara

Dara

Oberst Qusay Mihoub

Geheimdienst der Luftwaffe

Unterabteilung Latakia

Latakia

Oberst Suhail Al-Abdullah

Politische Sicherheit

Unterabteilung Mezzeh

Damaskus

unbekannt

Politische Sicherheit

Unterabteilung Idlib

Idlib

unbekannt

Politische Sicherheit

Unterabteilung Homs

Homs

unbekannt

Politische Sicherheit

Unterabteilung Latakia

Latakia

unbekannt

Politische Sicherheit

Unterabteilung Dara

Dara

unbekant

Allgemeiner Geheimdienst

Unterabteilung Latakia

Latakia

Brigadegeneral Khudr Khudr

Allgemeiner Geheimdienst

Unterabteilung 285

Damaskus

Brigadegeneral Ibrahim Ma’ala (Ende 2011 abgelöst durch Brigadegeneral Hussam Fendi)

Allgemeiner Geheimdienst

Unterabteilung Al-Khattib

Damaskus

unbekannt

Allgemeiner Geheimdienst

Unterabteilung Aleppo

Aleppo

unbekannt

Allgemeiner Geheimdienst

Unterabteilung 318

Homs

Brigadegeneral Firas Al-Hamed

Allgemeiner Geheimdienst

Unterabteilung Idlib

Idlib

unbekannt

Gemeinsame Einrichtung

Zentralgefängnis von Idlib

Idlib

unbekannt

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