Anfragebeantwortung zum Irak: Bagdad: Berichte über Verfolgungshandlungen gegen Atheisten und gegen Personen, die sich in der Öffentlichkeit islamkritisch zeigen [a-10329-1]

18. September 2017

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

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Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO) gibt in einer Mitschrift eines Herkunftsländertreffens bezüglich Irak vom Juli 2017 die Aussage von Mark Lattimer, dem Leiter der Initiative Ceasefire Centre for Civilian Rights zum Thema Atheismus im Irak wieder. Laut Lattimer seien im Irak junge Menschen einer Reihe von Einflüssen ausgesetzt und es gebe auch eine Menge älterer Leute, die nicht religiös seien. Nur weil das Land immer stärker konfessionell geprägt sei, bedeute dies nicht notwendigerweise, dass alle Menschen religiöser würden. Es gebe eine starke kommunistische Strömung mit einer säkularen Einstellung im Irak, die immer noch stark in der irakischen Zivilgesellschaft verankert sei. Religion werde unterschiedlich stark praktiziert, dies heiße jedoch nicht, dass es leicht sei, sich als Atheist zu identifizieren, und nur selten geschehe so etwas öffentlich. Manchmal würden Personen angeben, sie seien Muslime, würden sich aber im Privaten als Atheisten definieren:

What is the situation of atheists in Iraq? (Lattimer) Young people in Iraq are coming under many different influences and there are many older Iraqis who are not religious. I think as the country becomes more and more sectarian it is easy to assume everyone is becoming more religious, but this is not necessarily the case. There is a strong strain of communism in Iraq associated with a secularist outlook and that is still quite strong among Iraqi civil society. You have varying degrees of religious adherence, but that doesn’t mean it is easy to identify as an atheists and it is rare that you would do that publicly. Sometimes people will say they are Muslim but privately are atheist.“ (EASO, Juli 2017, S. 25)

Die in den USA ansässige Nachrichtenagentur Religion News Service (RNS), die vor allem über religiöse, spirituelle und moralische Themen berichtet, geht in einem Artikel vom Dezember 2013 auf die Geschichte von Faisal Saeed Al-Mutar, einem Iraker, der sich offen zu seiner Haltung als säkularer Humanist und Atheist bekenne und mittlerweile in den USA lebe, ein. Als er noch im Irak gelebt habe, habe Al-Mutar Todesdrohungen von al-Qaida-Mitgliedern und der Mahdi-Armee, zwei einflussreichen und mächtigen religiösen Milizen im Irak, erhalten. Zwar sei es im Irak kein Verbrechen, atheistisch zu sein, doch würden religiöse Milizen Angelegenheiten in die eigenen Hände nehmen. Allerdings sei es laut Abdul Sattar Jawad, einem Gastprofessor an der Duke University (USA) und Experten für Nahost-Studien, falsch, anzunehmen, dass es im Nahen Osten eine weit verbreitete Verfolgung nicht religiöser Menschen gebe. Obwohl es religiöse Führer gebe, die nicht gläubige Menschen hassen oder ablehnen würden, werde die meiste Gewalt von „Extremisten“ verübt. Atheismus könne toleriert werden, wenn man sich nicht gegen die herrschenden Familien, Parteien, aufwiegelnden Geistlichen, Politiker und despotischen Herrscher und Regierungen stelle:

„Living in Iraq as a humanist activist, Al-Mutar received death threats from al-Qaida elements and the Mahdi Army, two influential and powerful religious militias operating in Iraq. While it is not a crime to be an atheist in Iraq, religious militias take matters into their own hands.

Still, it would be wrong to assume there is widespread persecution of irreligious people in the Middle East, said Abdul Sattar Jawad, visiting professor at Duke University and an expert in Middle Eastern studies. Jawad said that although there are religious leaders in the Middle East who hate or dislike nonobservant people, most of the violence is carried out by ‘extremists.’ ‘As a secularist myself, atheism can be tolerated if one doesn’t oppose the ruling families, parties, firebrand clerics, politicians and despotic rulers and governments in the Middle East,’ Jawad said.” (RNS, 3. Dezember 2013)

Your Middle East, eine schwedische non-profit Organisation und Medienplattform, die Beiträge von Journalisten, Bloggern und Aktvisten aus dem Nahen Osten und Nordafrika veröffentlicht, berichtet in einem Beitrag zum Thema Atheismus im Irak vom Februar 2014 über einen irakischen Aktivisten, dessen Mission es sei, seine Freunde und andere junge Menschen über Atheismus aufzuklären. Der Aktivist, der sich den Namen Omar al-Baghdadi gegeben habe, lebe in einem zumeist von Sunniten bewohnten Viertel in Bagdad. Seine Freunde und Eltern wüssten, dass er Atheist sei. In einer 2011 veröffentlichten Umfrage der nicht mehr existenten kurdischen Nachrichtenagentur AKnews seien irakische Bürger befragt worden, ob sie an Gott glauben würden. Vier Prozent hätten mit „wahrscheinlich nicht“ und sieben Prozent mit „Nein“ geantwortet. Laut Nawaf Al-Kaabi, einem Studenten aus Basra, könne die Zahl der Atheisten 2014 noch weit höher liegen. Junge Iraker seien des religiösen Extremismus und der Politiker überdrüssig, die für die konfessionellen Spaltungen im Land verantwortlich seien. Sie würden reisen, lesen, Fernsehen und Internet nutzen; durch die vielen verfügbaren Informationen seien sie daher zunehmend der Religion gegenüber skeptisch eingestellt. Al-Kaabi stimme jedoch auch zu, dass viele Atheisten im Irak, wenn sie offen über ihre Auffassungen sprechen würden, einer Gefahr durch Extremisten und Milizen, die in Verbindung mit religiösen Gruppen stehen würden, ausgesetzt sein könnten:

„One of the Iraqi capital’s most vocal young activists, who uses the pseudonym Omar Al-Baghdadi for his own security, is often described as ‘Baghdad’s Converter.’ His mission, among others, is to enlighten his friends and other young people about atheism. ‘I became an atheist at an early age, after I investigated my former religion, Islam, in depth. I discovered that my religion is not the only one that exists on earth; there are more than 1100 other faiths and their followers all claim that their religion tells the absolute truth. So religion is a form of Dogma,’ the 22-year old engineer and activist says from his home in one of the major Sunni-inhabited areas of Baghdad.

‘My parents know I am an atheist, and so do my friends’ […]

In a poll released in April 2011, by the now-defunct Erbil-based Kurdish news agency AKnews, ordinary Iraqi citizens were asked ‘Do you believe in God’? The answers were quite surprising for this Middle Eastern country, home to many holy sites for Muslims, Christians, Jews, and many other religions; 67% answered yes, 21% probably yes, 4% probably no, 7% no, and 1% had no answer. According to Nawaf Al-Kaabi, a 23-year old university student from Basrah in southern Iraq, the number of atheists could be much higher if that poll was held in 2014. ‘The new generation of Iraqis are tired of religious extremists and politicians, who are responsible for the ongoing sectarian divide in the country,’ he says. ‘Young people travel, read, watch TV, and are connected to the internet…with so much out there, they have become skeptical of their own religion now.’ But he agrees that many atheists in his country could be at danger from extremists and militias linked to religious groups, if they are too open about their views. And, that was the case with one of Iraq’s most well-known atheists.“ (Your Middle East, 4. Februar 2014)

Die in den USA ansässige Online-Zeitung Al-Monitor, die vor allem über den Nahen Osten berichtet, schreibt in einem etwas älteren Artikel vom März 2013, dass der Atheismus im Irak tiefgehende historische Wurzeln habe, seine Verbreitung in allen gesellschaftlichen Gruppen und Altersgruppen allerdings neu sei. Zusätzlich zum Atheismus gebe es Personen, die sich als Agnostiker bezeichnen würden, und solche, die gewisse religiöse Erscheinungsformen oder Überzeugungen kritisieren würden, ohne den allgemeinen Rahmen der Religiosität zu verlassen. Al-Monitor habe sich mit einer Reihe von nicht gläubigen Personen getroffen, um über ihre Forderungen zu erfahren. Unter anderem hätten sie die Notwendigkeit einer rechtlichen und sozialen Anerkennung ihrer Existenz, einer Richtigstellung des Bildes, das die Gesellschaft von ihnen habe, sowie einer Gewährleistung öffentlicher Freiheiten betont. Die vorherrschende gesellschaftliche Meinung sei, dass es sich bei ihnen um moralisch verdorbene Personen oder Agenten ausländischer Gruppen wie den Zionisten oder Freimaurern („Masons“) handle. Diese Wahrnehmung könnte mitunter auf alle ausgeweitet werden, die für Liberalismus und Säkularismus eintreten würden. Wie der Artikel anführt, sei es angesichts der vorherrschenden Atmosphäre religiöser Auseinandersetzungen und religiösen Fundamentalismus dringend notwendig, Atheisten, Agnostiker und Säkularisten zu schützen. Sie seien als Gruppe nicht anerkannt und es gebe keine irakischen oder internationalen Einrichtungen, die sie schützen oder verteidigen würden:

The phenomenon of atheism has deep historical roots in Iraq, but is new in its widespread and comprehensive spread through all societal and age classes. Atheism used to be an elitist phenomenon restricted to intellectuals and scholars only, but, today, it has metamorphosed into an all-encompassing one that is tirelessly increasing in scope. […] In addition to atheism, defined as total and complete rejection and denial of religion, there are those who identify themselves as agnostics and not full-blown atheists. In addition, there are large swaths of people who criticize certain religious manifestations or beliefs without abandoning the general framework of religiosity. […]

In this context, Al-Monitor met with a number of Iraqi nonbelievers to take toll of their demands. They stressed the need for legal and social recognition of their existence, the rectification of the image that society has of them, and a guarantee of the public freedoms described in humanitarian charters, such as freedom of belief and expression, among other things. They complained of the prevailing social view that they are morally corrupt, or that they are but agents and operatives of foreign entities, such as Zionists or Masons, among others. This negative perception might be expanded among some to include all those who call for liberalism or secularism, who would be looked at with suspicion and portrayed as members of global Masonic networks that have come to Iraq to destroy its values and social constructs. […]

Finally, and in light of the prevailing atmosphere of religious sectarianism and fundamentalism, protecting atheists, agnostics and secularists becomes a more pressing necessity. They are a minority whose right to freedom of belief must be defended, particularly considering that they are not even recognized as a group and that there are no Iraqi or global entities that protect or defend them, as a result of the lack of interest in mentioning their plight in international human rights reports.” (Al-Monitor, März 2014)

Senyar, eine Online-Zeitschrift für Kultur und Unterhaltung aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, berichtet im März 2015 über die Mutanabbi-Straße in Bagdad, die als Kulturzentrum bekannt sei und in der man allerlei Bücher mit sensiblem Inhalt kaufen könne, darunter auch die Werke des britischen Atheisten Richard Dawkins oder „Die Satanischen Verse“ des Schriftstellers Salman Rushdie. Der Artikel erwähnt, dass zur Zeit der Veröffentlichung des Artikels die meisten strenggläubigen Strafverfolgungsbeamten, die normalerweise den Bücher- und Alkoholverkäufern hinterherjagen würden, an der Front gegen den Islamischen Staat kämpfen würden. Daher gebe es weniger Aufsicht von offizieller Seite. Wie es scheine, seien die Behörden stärker darauf bedacht, Bücher und Websites zu verbieten, die die konfessionellen Spaltungen anheizen würden, als Atheisten zu verfolgen. (Senyar, 17. März 2015)

 

Pacific Standard, eine in den USA erscheinende Zeitschrift, die unter anderem über gesellschaftliche Probleme berichtet, veröffentlicht im Jänner 2016 einen Artikel zur Lage von Atheisten im Nahen Osten. Laut dem Artikel würden sich Atheisten nicht vorrangig vor ihrer Regierung, sondern vor ihren Mitbürgern fürchten. Ahmed, ein irakischer Atheist, habe angegeben, dass es in Bagdad kein Gesetz gebe, das Atheismus verbiete. Er setze sich daher viel lieber mit staatlichen Behörden auseinander als mit Mitmenschen, da letztere versuchen könnten, ihn für seine Ansichten zu töten:

Because most Middle Eastern rulers incorporate Islam into their policies in one way or another, challenging Islam is seen as challenging authority. But it is not the government that most non-believers say they fear the most; it's their fellow citizens.

As Ahmed, a 30-year-old Iraqi atheist, explains: ‘In Baghdad, there's no law saying you can't be an atheist. But I'd much rather deal with authorities than with people, because the people could try to kill me for it.‘“ (Pacific Standard, 21. Jänner 2016)

Die in Großbritannien ansässige Nachrichtenwebsite zu den Golfländern und der arabischen Welt Al-Khaleej Online berichtet in einem Artikel vom November 2016 über den 26-jährigen Hussein al-Nujaifi, der, obwohl er aus einer muslimischen Familie stamme, nun der atheistischen Strömung angehöre. Hussein habe vor drei Jahren sein Studium beendet und arbeite nun in einem Büro in Bagdad. Laut ihm seien „die Gläubigen“ für das Töten und die Zerstörung verantwortlich, die es seit 2003 im Land gebe. Hussein und viele andere Leute, so Al-Khaleej Online, seien davon überzeugt, dass der Irak von einer Gruppe Geistlicher kontrolliert werde, die das Töten Unschuldiger und die Zerstörung des Landes unterstützen würden. Für gebildete junge Leute stelle der Atheismus eine Art Zuflucht für ihre Ambitionen dar, da sie nach Frieden suchen würden und davon ausgehen würden, dass die Klasse von Politikern, die islamischen Gremien vorstehen und religiöse Predigten halten würden, diesen verloren hätten. Ahmad al-Dschumaili, ein Maler, habe al-Khaleej Online gesagt, dass Atheismus für ihn die Rettung vor der „Brutalität der Extremisten“ sei, jedoch sei es für eine Person nicht leicht, sich zu ihrem Atheismus zu bekennen, dies gelte insbesondere in den Gebieten, in denen Einheiten der Volksmobilisierung (zumeist schiitische Milizen, Anm. ACCORD) Kontrolle ausüben würden. Dort, so al-Dschumaili, würden solche Personen bestimmt getötet. (Al-Khaleej Online, 25. November 2016)

 

Die irakische Nachrichtenwebsite The Baghdad Post schreibt im Jänner 2017, dass laut Angaben von Experten die Anzahl junger irakischer Männer und Frauen, die sich dem Atheismus zuwenden würden, steige. Sie würden meist aus einem intellektuellen Milieu kommen und ihre radikalen Meinungen auf sozialen Medien verbreiten. Dort würden sie Gott, sowie den Propheten Mohammed und seine Familie angreifen. Das Phänomen des Atheismus habe soziale und intellektuelle Gründe, so The Baghdad Post weiters. Laut Experten habe sich der Atheismus ausgebreitet, da sunnitische und schiitische Politiker und Milizen die Religion missbraucht hätten, um mehr Anhänger zu gewinnen:

Experts asserted that the number of Iraqi young men and women and intellectuals who resort to atheism increased in the past period. They express their radical opinions on the internet especially via using the social networks that enabled them to say whatever they want whenever they want, the experts added. They attack Allah and Prophet Muhammad and his family. The reasons behind this phenomenon are summed in social or intellectual causes, experts said. They added that the spread of such ideas came after Sunni and Shiite politicians and militias continued to misuse religion to attract more followers to their gangs.“ (The Baghdad Post, 11. Jänner 2017)

Al-Monitor schreibt in einem weiteren Artikel vom Juni 2017, dass islamische Bewegungen im Irak in den letzten Wochen ihre gegen Atheismus gerichtete Rhetorik intensiviert hätten, Iraker über die Verbreitung des Phänomens gewarnt und von einer Notwendigkeit gesprochen hätten, Atheisten entgegenzutreten. Die islamischen Bewegungen und Parteien seien besorgt, dass die öffentliche Stimmung sich gegen sie richten und sich dies wiederum auf die Wahlen auswirken könne, die für Ende 2017/Anfang 2018 angesetzt seien. Ammar al-Hakim, der Führer des zumeist schiitischen Parteienbündnisses Irakische Nationalallianz, das die große Mehrheit im Parlament und in der Regierung stelle, habe gegen die Verbreitung des Atheismus gewarnt. Manche Menschen, so al-Hakim, würden die Orientierung der irakischen Gesellschaft an religiösen Prinzipien und ihre Verbindung zu Gott verübeln. Er rufe dazu auf, diesen fremden atheistischen Ideen mit gutem Denken zu konfrontieren und den Unterstützern solches Gedankenguts mit einer „eisernen Faust“ entgegenzutreten, indem man die Methoden offenlege, mit denen sie ihre Ideen propagieren würden. Hakims Aufruf richte sich gegen die irakische Verfassung, die Glaubensfreiheit und freie Meinungsäußerung garantiere sowie Anstiftung gegen Andere und Zwang, eine bestimmte Glaubensrichtung zu übernehmen oder abzulehnen, kriminalisiere. Während des Ramadan hätten religiöse Predigten in schiitischen Städten im Zentral- und Südirak die Verbreitung säkularer und atheistischer Ideen angegriffen, da diese als Bedrohung der irakischen Gesellschaft aufgefasst würden. Der ehemalige Premierminister Nuri al-Maliki, der weitreichenden Einfluss innerhalb der pro-iranischen Fraktionen der Volksmobilisierungseinheiten (Popular Mobilisation Units) habe, habe im Mai 2017 vor einer angeblichen gefährlichen Verschwörung säkularer und nichtreligiöser Bewegungen gewarnt, die die islamischen Parteien entmachten und selbst die Kontrolle erlangen wollen würden:

Iraq's Islamic movements and political parties have intensified their rhetoric in recent weeks against atheism, warning Iraqis about its spread and the need to confront atheists. Such movements and parties worry that public sentiment is turning against Islamic parties in politics and that this could be reflected in upcoming elections, scheduled for the end of 2017 and beginning of 2018.

In a lecture this month in Baghdad, Ammar al-Hakim — head of the mostly Shiite Iraqi National Alliance party, which holds the overwhelming political majority in parliament and government — warned against the prevalence of atheism. ‘Some people resent Iraqi society’s adherence to religious principles and its connection to God Almighty,’ he said. Hakim called for ‘confronting these extraneous atheistic ideas with good thinking and with an iron fist against the supporters of such ideas by exposing the methods they use in disseminating their ideas.’ Hakim’s message is contrary to the Iraqi Constitution, which guarantees freedom of belief and expression and criminalizes incitement against others and against compelling others to adopt or reject a specific faith. During Ramadan, religious lectures in Shiite cities in Iraq's center and south — the main base of the Islamic parties — attacked the spread of secular and atheistic ideas, which are viewed as threats to Iraqi society.

Former Prime Minister Nouri al-Maliki has extensive influence among the politically ambitious pro-Iranian factions within the Popular Mobilization Units military organization. He warned May 30 of a supposed dangerous conspiracy by secular and nonreligious movements to take power from Islamic parties and gain control for themselves.“ (Al-Monitor, 22. Juni 2017)

Al-Monitor berichtet weiter zum Phänomen Atheismus im Irak, dass ein bekannter Buchladen in Bagdad eine steigende Anzahl junger Leute verzeichnet habe, die Bücher über Atheismus kaufen würden. Selbst in der heiligen Stadt Najaf und innerhalb religiöser schiitischer Einrichtungen habe Al-Monitor mit mehreren religiösen Studenten gesprochen, die nicht nur damit begonnen hätten, die grundsätzlichen Bekenntnisse des Islam in Frage zu stellen, sondern sogar die grundsätzlichen Prinzipien von Religion im Allgemeinen. Diese Studenten würden unverzüglich von der Gesellschaft ausgeschlossen wenn sie ihre Auffassungen offen kundtun würden. Der Menschenrechtsaktivist, Autor und Satiriker Faisal al-Mutar habe al-Monitor gegenüber berichtet, dass Atheisten im Irak unter schwierigen Umständen leben würden, da die Regierung mehrheitlich aus islamischen Parteien bestehe und islamisch geprägte Milizen die Gesellschaft kontrollieren würden. Laut Faisal, der irakischen Atheisten auf sozialen Medien folgen würde, sei die Anzahl von Atheisten in verschiedenen Regionen des Irak steigend. Er habe vor kurzem die Organisation Ideas Beyond Borders gegründet, die irakische Atheisten verteidige und ihnen helfe, sich zu organisieren und ihre Rechte einzufordern. Viele Atheisten seien aufgrund von Schikanen und Drohungen gezwungen gewesen, aus dem Irak zu fliehen. Dschamal al-Bahadli, ein Atheist der auf sozialen Medien offen über seine Auffassungen spreche, habe gesagt, dass er Todesdrohungen von schiitischen Milizen in Bagdad erhalten habe, was ihn 2015 dazu gezwungen habe, das Land zu verlassen:

A prominent book store in Baghdad has seen more young people buying books on atheism from prominent nonbelievers such as Saudi writer Abdullah al-Qasemi and British philosopher Richard Dawkins. Even in a holy city like Najaf and within the Shiite religious establishments, Al-Monitor spoke to several religious students who not only have begun to question the fundamental beliefs of Islam, but the basic principles of religion in general. They would be ostracized by society in a heartbeat if they expressed their views freely.

Human rights activist, writer and satirist Faisal Saeed al-Mutar told Al-Monitor that atheists in Iraq face very difficult circumstances under a government with a majority of Islamic parties and with the dominance of Islamic militias over society. Faisal, who follows Iraqi atheists' activities on social media, said, ‘I clearly see that the numbers of atheists is rising in different areas in Iraq.’ Faisal recently founded the Ideas Beyond Borders organization, which defends Iraqi atheists and helps them organize and claim their rights.

Many atheists have been forced to flee Iraq because of harassment and threats. Jamal al-Bahadly, an atheist who is vocal about his views on social networking sites, said he received death threats from Shiite militias in Baghdad, forcing him to leave the country in 2015. He emigrated to Germany.“ (Al-Monitor, 22. Juni 2017)

Die US-amerikanische Tageszeitung The Washington Times veröffentlicht im August 2017 einen Artikel über die Lage von Atheisten in der arabischen Welt. Sie berichtet unter anderem über Lara Ahmed, eine Studentin an der Universität Babylon (Provinz Babil, südlich von Bagdad, Anm. ACCORD), die ein Kopftuch trage und sich wie eine Muslimin verhalte, jedoch Atheistin sei. Sie wage es nicht, ihre Ansichten mit Fremden zu teilen. Es sei auch schwierig, im Südirak kein Kopftuch zu tragen, und die wenigen Frauen, die sich kein Kopftuch anziehen würden, würden laufend schikaniert. Der Artikel verweist ebenfalls auf die Rede des schiitischen Führers Ammar al-Hakim im Mai 2017, in der er dazu aufgerufen habe, Atheismus als Teil „ausländischer Ideen“ zu bekämpfen. Atheismus sei im Irak und in Ägypten nicht illegal, jedoch würden Beamte häufig Blasphemie und andere Anklagepunkte gegen Atheisten vorbringen. Viele Atheisten in der arabischen Welt würden angeben, sich weniger davor zu fürchten, für ihre Ansichten bestraft zu werden, als von gewaltsamen konfessionellen Gruppen, die die politische Unterstützung der Gläubigen suchen würden, angegriffen zu werden. Osama Dakhel, ein 21-jähriger Student der bildenden Künste in Bagdad, berichtet wie seine atheistischen Freunde sich zunächst ausgiebig mit dem Islam befasst, dann die Werke islamischer Reformatoren gelesen und sich schließlich mit Atheisten online ausgetauscht und so zu ihrer atheistischen Weltanschauung gekommen seien:

Lara Ahmed wears a headscarf and behaves like a pious Muslim. But the 21-year-old Iraqi woman hides a secret from her peers at the University of Babylon: her atheism. ‘I was not convinced by the creation story in the Quran,’ she said. ‘Besides, I feel religions are unjust, violate our human rights and devalue women’s identities.’ She doesn’t dare share her strong beliefs with strangers. ‘I wear a headscarf despite being an atheist,’ said Ms. Ahmed, who studies biology at the school, about 115 miles south of Baghdad. ‘It is difficult not to wear it in southern Iraq. Few women take the risk not to cover their hair. They face harassment everywhere.’ Her fears stem from the remarks of powerful politicians such as Ammar al-Hakim, the head of Iraq’s Islamic Supreme Council, a major Shiite political party and the president of the National Alliance, a Shiite parliamentary bloc. ‘Some are resentful of Iraqi society’s adherence to its religious constants and its connection to God Almighty,‘ Mr. al-Hakim said on his party’s TV channel in May, claiming a rising tide of atheism was threatening the Arab world. ‘Combat these foreign ideas.‘ […]

Atheism is not illegal in Egypt or Iraq, but officials often level blasphemy or other charges against atheists in those countries. Those rejecting the faith face the death sentence in Saudi Arabia, Iran, the United Arab Emirates, Qatar, Yemen, Somalia, Sudan and Mauritania. Many atheists in the region say their bigger fear is not being punished for their beliefs but that they will become targets of violent sectarian groups seeking political support from the faithful. […]

‘Most of my atheist friends have not changed all of a sudden,’ said Osama Dakhel, 21, a fine arts student in Baghdad. ’Some were so devoted at first exploring the religion’s minute details. They start to read for Islamic reformers. Then they start to accept other opinions, discuss atheists online and end up atheists.(The Washington Times, 1. August 2017)

Die in saudischem Besitz befindliche, in London herausgegebene Onlinezeitung Elaph schreibt im August 2017, dass sich in den letzten Jahren das Phänomen des Atheismus insbesondere unter jungen Leuten im Irak ausgebreitet habe. Dies sei auf die Korruption in der Regierung und die Verbreitung von Technologie in allen Bereichen des Lebens zurückzuführen. Andere würden das Phänomen hingegen nicht als einen „echten Atheismus“, sondern viel mehr als eine Reaktion auf religiöse politische Parteien deuten. Der Autor des Artikels, der aus Bagdad berichtet, habe sich schließlich mit jemandem, der sich als Atheist bezeichne und weder an Gott noch die Propheten glaube, in einem Café getroffen. Weit entfernt von allen anderen Cafébesuchern habe der Atheist begonnen, von seiner Überzeugung zu erzählen und davon, wie er vor Jahren Zweifel an der Existenz Gottes bekommen habe und diese dann durch das Töten bestätigt worden sei, das gerade im Irak vorherrsche. Ein Bettler, der das Café betreten habe, habe laut zum Gebet aufgerufen. Der Atheist habe laut hörbar den Ruf mit der gebräuchlichen Antwort erwidert. (Elaph, 12. August 2017)

 

 

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Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 18. September 2017)

·      Al-Khaleej Online: al-ilhad yantashir bayn shabab al-ciraq wa-l-milishiyat tatasaddar al-‘asbab [Atheismus breitet sich unter jungen Leuten im Irak aus und Milizen sind unter den Hauptgründen], 25. November 2016
http://alkhaleejonline.net/articles/1477130411181205900/%D8%A7%D9%84%D8%A5%D9%84%D8%AD%D8%A7%D8%AF-%D9%8A%D9%86%D8%AA%D8%B4%D8%B1-%D8%A8%D9%8A%D9%86-%D8%B4%D8%A8%D8%A7%D8%A8-%D8%A7%D9%84%D8%B9%D8%B1%D8%A7%D9%82-%D9%88%D8%A7%D9%84%D9%85%D9%84%D9%8A%D8%B4%D9%8A%D8%A7%D8%AA-%D8%AA%D8%AA%D8%B5%D8%AF%D8%B1-%D8%A7%D9%84%D8%A3%D8%B3%D8%A8%D8%A7%D8%A8/

·      Al-Monitor: Iraqi atheists demand recognition guarantee of their rights, März 2014
http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2014/03/iraq-atheism-spread-rights-recognition.html

·      Al-Monitor: Islamic parties intimidate, fear atheists in Iraq (Autor: Ali Mamouri), 22. Juni 2017
http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/06/iraq-atheism-political-islam-human-rights.html

·      EASO - European Asylum Support Office: EASO COI Meeting Report: Iraq; Practical Cooperation Meeting, 25-26 April 2017, Brussels, Juli 2017 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1501570991_easo-2017-07-iraq-meeting-report.pdf

·      Elaph: iraqiyoun: al-ilhad yantashir bi-sabab al-fasad al-hukumi wa-l-mawt al-majani [Iraker: Atheismus verbreitet sich aufgrund von staatlicher Korruption und wahllosem Töten], 12. August 2017
http://elaph.com/Web/News/2017/8/1162319.html

·      Pacific Standard: The Hard Lives of Non-Believers in the Middle East, 21. Jänner 2016
https://psmag.com/social-justice/the-hard-lives-of-non-believers-in-the-middle-east

·      RNS - Religion News Service: Iraqi refugee works to make life safer for secular humanists, 3. Dezember 2013
http://www.religionnews.com/2013/12/03/iraqi-refugee-works-make-life-safer-secular-humanists/

·      Senyar: Baghdad … mulahada fi sharic al-mutanabbi [Bagdad … Atheismus in der Mutanabbi-Straße], 17. März 2015
http://www.snyar.net/%D8%A8%D8%BA%D8%AF%D8%A7%D8%AF-%D9%85%D9%84%D8%A7%D8%AD%D8%AF%D8%A9-%D9%81%D9%8A-%D8%B4%D8%A7%D8%B1%D8%B9-%D8%A7%D9%84%D9%85%D8%AA%D9%86%D8%A8%D9%8A/

·      The Baghdad Post: Iraq suffers from spread of atheism due to religious extremism, 11. Jänner 2017
http://www.thebaghdadpost.com/en/story/4938/Iraq-suffers-from-spread-of-atheism-due-to-religious-extremism

·      The Washington Times: Atheists in Muslim world: Silent, resentful and growing in number, 1. August 2017
http://www.washingtontimes.com/news/2017/aug/1/atheists-in-muslim-world-growing-silent-minority/

·      Your Middle East: Without God in Baghdad: 4. Februar 2014
http://www.yourmiddleeast.com/features/without-god-in-baghdad_21355