Anfragebeantwortung zu Nigeria: 1) Zwangsheirat (Verbreitung, Möglichkeit zu entkommen); 2) Innerstaatliche Fluchtalternative (IFA) für eine alleinstehende Frau (Gefahr der Prostitution); 3) Einfluss von Voodoo-Praktiken (Auswirkungen auf Frauen) [a-8656]

4. April 2014
Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.
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1) Zwangsheirat (Verbreitung, Möglichkeit zu entkommen)
Informationen zu Zwangsheirat entnehmen Sie bitte auch den Seiten 10 bis 11 eines etwas älteren Berichts von ACCORD:
 
Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Jahresbericht zur Menschenrechtslage vom Februar 2014 (Berichtszeitraum 2013), dass in den Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa Frauen von der Boko Haram entführt und gezwungen worden seien, Kämpfer zu heiraten:
„In the states of Borno, Yobe, and Adamawa, Boko Haram abducted women and forced them to marry militants throughout the year.“ (USDOS, 27. Februar 2014, Section 6)
Rechtlich sei in Nigeria ein Mindestalter von 18 Jahren für eine Ehe vorgesehen, so das USDOS weiters. 39 Prozent von befragten Frauen im Alter zwischen 20 und 24 Jahren hätten angegeben, dass sie, bevor sie ein Alter von 18 Jahren erreicht hätten, verheiratet oder in einer Partnerschaft gewesen seien. Weniger als die Hälfte der gesetzgebenden Versammlungen der Bundesstaaten hätten das Kinderrechtsgesetz unterzeichnet, welches das Mindestalter für Eheschließungen festlege. Der Großteil der Bundesstaaten, insbesondere die nördlichen Bundesstaaten, hätte das Gesetz nicht verabschiedet und das föderale offizielle Mindestalter für eine Eheschließung nicht eingehalten. Die Regierung habe religiöse Führer, Emire und Sultane zum Thema eingebunden, auf Gesundheitsrisiken hingewiesen und die Bewusstseinsbildung bezüglich des Problems verbessert. Einige Bundesstaaten hätten mit NGOs zusammengearbeitet, um schulische Fördermittel oder Gebührenerlässe für Kinder einzurichten, um gegen Frühehen vorzugehen. Die Regierung habe keine rechtlichen Schritte unternommen, um den Verkauf von jungen Mädchen zum Zweck einer Heirat zu unterbinden. Laut glaubwürdigen Berichten hätten arme Familien manchmal ihre Töchter zum Zweck einer Heirat verkauft, um das Familieneinkommen aufzubessern. Familien hätten manchmal junge Mädchen bereits in der Pubertät, ungeachtet des Alters, zu einer Heirat gezwungen, um die „Unanständigkeit“ zu vermeiden, die mit vorehelichem Geschlechtsverkehr in Verbindung gebracht werde oder aus anderen kulturellen oder religiösen Gründen. Am 16. Juli 2013 habe es der Senat verabsäumt, Abschnitt 29 (4)(b) der Verfassung zu streichen, der festlege, dass eine verheiratete Frau, ungeachtet ihres Alters, rechtlich als „volljährig“ eingestuft werden könne, um ihre Staatsbürgerschaft abzulegen. Lokale Medien hätten fälschlicherweise berichtet, dass bei der Abstimmung die Eheschließung von Minderjährigen legalisiert worden sei:
„The law sets a minimum age of 18 years for marriage. Of women ages 20 to 24, 39 percent reported being married or in a union before the age of 18. Fewer than half of the country’s state assemblies had adopted the Child Rights Act, which sets the minimum marriage age. Most states, especially northern states, did not adopt the act, and those states did not uphold the federal official minimum age for marriage. The government engaged religious leaders, emirs, and sultans on the subject, pointing out the health hazards and improving their awareness on the problem. Certain states worked with NGO programs to put in place school subsidies or fee waivers for children to help protect against early marriage. The government did not take legal steps to end sales of young girls into marriage. According to credible reports, poor families at times sold their daughters into marriage to supplement their incomes. Families sometimes forced young girls into marriage as early as puberty, regardless of age, to prevent ‘indecency’ associated with premarital sex or for other cultural and religious reasons. On July 16, the Senate failed to strike Section 29 (4)(b) from the constitution, which states that a married woman, regardless of age, could legally be considered ‘of age’ for the purpose of renouncing her citizenship. While this vote maintained the current language in the constitution, local media outlets erroneously reported that the vote had legalized underage marriage.” (USDOS, 27. Februar 2014, Section 6)
Die Jubilee Campaign, eine NGO, die sich laut eigenen Angaben weltweit für Menschenrechte von ethnischen und religiösen Minderheiten einsetze, schreibt in einer Stellungnahme an den UNO-Menschenrechtsrat (HRC) vom März 2014, dass es eine häufig angewandte Taktik der Boko Haram sei, christliche Frauen zu entführen. Viele junge Mädchen würden entführt, zu einer Konvertierung und dann zu einer Eheschließung mit Boko-Haram-Kämpfern gezwungen. Diese Entführten würden auch als menschliche Schutzschilde für Terroristen eingesetzt:
„Abducting Christian women is a more frequently used tactic of the Boko Haram militants. Many young girls are abducted, forced to convert and then forced into marriage with Boko Haram fighters. These abductees are also being used as human shields for the terrorists.” (Jubilee Campaign, 7. März 2014, S. 4)
Im März 2014 schreibt Catherine Angai von der Open Society for West Africa (eine Organisation, die sich für demokratische Werte einsetzt) in einem Artikel, der von Pambazuka News veröffentlicht wurde, dass Frauen noch immer diskriminiert und von sexuellem Missbrauch durch Väter, Ehemänner und Verwandte betroffen seien. Frühehen seien weiterhin ein Thema. Dies sei durch eine großangelegte Kampagne gegen Gesetzgeber im Jahr 2013 belegt. Die Kampagne sei als „#ChildNotBride-Protest“ („Kind, nicht Braut“) bezeichnet worden und sei gegen die Beibehaltung einer Verfassungsbestimmung gerichtet gewesen, die den „Anschein erweckt habe“, eine Eheschließung unter 18 Jahren sei für Mädchen „okay“:
„The protection of the rights of women is still a problematic subject matter. Women are still discriminated against and suffer sexual abuse from fathers, husbands and relatives. Early marriage is still an issue evidenced by a massive campaign held last year against legislators referred to as the #ChildNotBride protest that opposed retaining a clause in the constitution which made it 'appear' okay for girls under 18 to be married.“ (Pambazuka News, 13. März 2014)
Die folgenden Quellen enthalten ebenfalls Informationen zu oben genannter Fragestellung (Zugriff auf alle Quellen am 4. April 2014):
2) Innerstaatliche Fluchtalternative (IFA) für eine alleinstehende Frau (Gefahr der Prostitution)
Informationen zu oben genannter Frage entnehmen Sie bitte folgender ACCORD-Anfragebeantwortung vom Juli 2013:
  • ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Nigeria: Informationen zu einer innerstaatlichen Fluchtalternative (allgemein und in Lagos) [a-8453], 5. Juli 2013 (verfügbar auf ecoi.net)
    http://www.ecoi.net/local_link/252933/364158_en.html
 
Informationen zur Gefahr der Prostitution entnehmen Sie bitte dem dritten Teil dieser Anfragebeantwortung.
3) Einfluss von Voodoo-Praktiken (Auswirkungen auf Frauen)
Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) schreibt in einem Bericht zu Voodoo, Hexerei und Menschenhandel in Europa vom Oktober 2013, dass Voodoo bei der Versklavung zumindest von westafrikanischen Frauen und Mädchen eine wichtige Rolle spiele. Voodoo sei laut Victoria Nwogu, einer Expertin des Entwicklungsfonds der Vereinten Nationen für Frauen (UNIFEM) in Nigeria, eine Religion, die rituelle Schwüre beinhalte. Ein ritueller Schwur sei eine „Besiegelung“ einer rituellen Vereinbarung, die beide Seiten an die Bedingungen der Vereinbarung binde, unter Schmerz durch übernatürliche Vergeltung. Voodoo sei eine Religion, die auf der Existenz einer unsichtbaren Welt beruhe, die mit der sichtbaren Welt in Verbindung stehe. Voodoo habe seine Ursprünge in Westafrika, wo der Glaube an Voodoo, vor allem in Nigeria, Benin, Togo und Ghana, weiterhin weit verbreitet sei. Rituelle Schwüre seien eine Praxis, die aus dieser Religion abgeleitet würden. Diese Schwüre würden den Pakt zwischen Frauen, die nach Europa gehen möchten und den Menschenhändlern besiegeln. Die Menschenhändler würden sich bereit erklären, alle Reisekosten zu tragen, während die Frauen versprechen würden, das Geld zurückzuzahlen, den Menschenhändlern gegenüber ehrerbietig zu sein und die Menschenhändler nicht bei der Polizei anzuzeigen:
„Voodoo plays an important role in enslaving African women and girls (at least West African women and girls), without making a distinction between all the supernatural forces involved in sex trafficking. First of all it is important to differentiate between voodoo and ritual oaths. As Victoria Nwogu, Programme Specialist with UNIFEM/Nigeria, explains: ‘Voodoo is a religion (which includes ritual oaths in its practices), while a ritual oath is a seal placed on an agreement through rituals binding both parties to the terms of the agreement on pain of supernatural retaliation.’ Voodoo is a religion based on the existence of an invisible world interconnected to the visible world. It originated in West Africa, where voodoo beliefs are still widespread, mainly in Nigeria, Benin, Togo and Ghana. Rituals oaths are a practice derived from this religion. These oaths seal the pact between women who want to move to Europe and traffickers. Traffickers commit to pay all costs of the journey, while the women promise to repay the money, be respectful to the traffickers and engage not to denounce the traffickers to the police.” (UNHCR, Oktober 2013, S.)
Das britische Nachrichtenportal Sky News schreibt in einem Artikel vom Juni 2013, dass eine nigerianische Bande in Spanien laut Polizeiangaben Frauen zur Straßenprostitution gezwungen habe. Den Frauen seien Verbrennungen zugefügt worden und die Bande habe Voodoo-Rituale angewendet. Der Prostitutionsring habe in Benin City, in Nigeria, mutmaßlich Frauen rekrutiert, deren Ehemänner und Väter verstorben seien und die Mühen gehabt hätten, ihre Kinder großzuziehen. Bevor die Frauen Nigeria verlassen würden, würden die Opfer oftmals zu Schreinen gebracht, wo diese schwören würden, der Gruppe ihre Schulden zu bezahlen und sie nicht bei der Polizei anzuzeigen. Die Frauen würden Fingernägel, Haare, Unterwäsche und andere persönliche Gegenstände in den Schreinen zurücklassen. Den Frauen werde erzählt, dass Voodoo-Priester dadurch die Macht hätten, sie verletzen zu können, wo auch immer sie sich in der Welt aufhalten würden:
„A Nigerian gang forced women into street prostitution in Spain by burning them with irons and using voodoo rituals, according to police. […] The [prostitution] ring allegedly recruited women in Benin City, a run-down Nigerian port, whose husbands and fathers had died and who were struggling to raise their children. […] Before leaving Nigeria, the rings often take their victims to shrines where they swear to pay their debts to the group and not to denounce them to the police. The women leave fingernails, hair, underwear and other personal items at the shrines which they are told will give voodoo priests the power to harm them wherever they are in the world.“ (Sky News, 3. Juni 2013)
Der staatliche deutsche Auslandsrundfunk Deutsche Welle (DW) schreibt in einem etwas älteren Artikel vom März 2010, dass nigerianische Menschenhandelsnetzwerke oftmals eine Reihe von traditionellen Vorstellungen, die im Westen allgemein als Voodoo bezeichnet würden, anwenden würden, um ihre Opfer einzuschüchtern und zu manipulieren. Der Glaube an Voodoo sei in einigen Teilen Nigerias sehr stark und Frauen würden oft dazu gezwungen, vor einem Priester einen Eid abzulegen, bei dem sie ihrem Menschenhändler oder Zuhälter Gehorsamkeit schwören würden. DW erwähnt eine ehemalige Prostituierte aus Nigeria, die im September 2007 in Deutschland begonnen habe, als Prostituierte tätig zu sein. Im Mai 2008 sei sie in Frankfurt verhaftet worden. Mithilfe der deutschen Polizei und einer deutschen Frauenrechts-NGO habe sie ihre Angst, den Voodoo-Eid zu brechen, überwinden können. Die größte Herausforderung sei es laut DW, dem Glauben an Voodoo entgegen zu wirken. Obwohl die deutsche Polizei einigen Frauen helfen könne, den Menschenhändlern zu entkommen, würde sich der Großteil der Frauen erneut prostituieren. Die Frauen würden immer noch ihr Versprechen gegenüber dem Priester in Nigeria erfüllen wollen, die 60.000 Euro zurückzuzahlen:
„The Nigerian trafficking networks frequently use a set of traditional beliefs, commonly referred to in the West as voodoo, to intimidate and manipulate their victims. Belief in voodoo is very strong in parts of Nigeria, and the women are often forced to make an oath by one of the religion's priests, in which they swear obedience to their trafficker or pimp. […] Most of the illegal Nigerian prostitutes caught by the police [in Germany] have a lot of stories to tell, but getting them to talk can be difficult. It takes a lot of experience and patience for police to get the real truth from these women - and only then are they able to help them. Because the police are aware of the dangers for trafficking victims who return home, the women are offered political asylum. […] Ritha Ekweza has been through this process. She began working as a prostitute in Germany in September 2007. […] In May 2008, she was jailed in Frankfurt for being an illegal prostitute. But together with police and a local women's rights NGO, she overcame her fear of breaking the voodoo oath. […] But the biggest challenge remains that of countering the belief in voodoo, which complicates efforts to stop human trafficking from Nigeria. Although police are able to help some women escape from the traffickers, most end up returning to prostitution. They still want to fulfil their promise of paying back the 60,000 euros that they made in front of a priest in Nigeria.” (DW, 12. März 2010)
Die irische Tageszeitung Independent.ie schreibt in einem Artikel vom Dezember 2012 zu einem irisch-nigerianischen Prostitutionsring, dass kriminelle Banden Voodoo-Rituale anwenden würden, um junge afrikanische Frauen nach Irland zu bringen („traffic“), um sie als Prostituierte auszubeuten. Die Frauen würden zum Ziel örtlicher „Hexenmeister“, die von Banden in Gebieten angeheuert würden, wo Voodoo-Rituale Teil der Kultur seien. Die Opfer würden dann zur Prostitution gezwungen:
„Criminal gangs are using voodoo rituals to traffic young African women into the country [Ireland] to be exploited as prostitutes. […] The women are targeted by local 'witch doctors' who are hired by gangs to act as recruitment agents in areas where voodoo rituals are part of the culture. The victims are then forced into prostitution and put to work in brothels, earning huge profits for the gang controlling the racket. […] An investigation discovered evidence to show it was the first prostitution racket run jointly by Irish and Nigerian criminals.” (Independent.ie, 2. Dezember 2012)
Weitere detaillierte Informationen zu diesem Thema finden sich auf den Seiten 6 bis 11 des oben bereits zitierten Berichts von UNHCR sowie in einem Bericht von ACCORD vom Juni 2011:
 

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 4. April 2014)
1) Zwangsheirat (Verbreitung, Möglichkeit zu entkommen)
2) Innerstaatliche Fluchtalternative (IFA) für eine alleinstehende Frau (Gefahr der Prostitution)
  • ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Nigeria: Informationen zu einer innerstaatlichen Fluchtalternative (allgemein und in Lagos) [a-8453], 5. Juli 2013 (verfügbar auf ecoi.net)
    http://www.ecoi.net/local_link/252933/364158_en.html
3) Einfluss von Voodoo-Praktiken (Auswirkungen auf Frauen)